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BFH-Urteil vom 21.7.2009 (VII R 49/08) BStBl. 2010 II S. 13
Jedenfalls nach der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur
Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 konnte das FA den
Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers einer GmbH, der
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die von der GmbH geschuldeten
Lohnsteuern nicht abgeführt hat, nicht mit Haftungsbescheid in Anspruch
nehmen. Die Haftungsschuld war keine Masseverbindlichkeit. Die bloße Duldung
der Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter erfüllte nicht das
Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1
Nr. 1 2. Halbsatz InsO.
InsO § 35 Abs. 1 und 2, § 36 Abs. 1, § 38,
§ 55 Abs. 1 Nr. 1, § 60, § 80; AO § 34, § 69.
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 10.
November 2008 5 K 2040/08
Sachverhalt
I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG)
vom 8. Dezember 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des K
eröffnet. Zum Insolvenzverwalter bestellte das AG den Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger). K war zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus
Geschäftsführer einer GmbH.
Für die
Lohnsteueranmeldungszeiträume Januar 2006 bis September 2006 führte die GmbH
die geschuldeten Lohnsteuern nicht an den Beklagten und Revisionskläger
(Finanzamt - FA -) ab. Beitreibungsversuche blieben erfolglos.
Mit Haftungsbescheid vom
August 2007 nahm das FA den Kläger in seiner Eigenschaft als
Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers nach § 191 i.V.m.
§§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Bei der Haftungsschuld handele
es sich um eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 der Insolvenzordnung
(InsO). Die Haftungsschuld sei zwar nicht durch Handlungen des
Insolvenzverwalters, jedoch "in anderer Weise" durch die Verwaltung der
Insolvenzmasse begründet worden, denn sie stehe in direktem Zusammenhang mit
dem laufenden Arbeitseinkommen des Geschäftsführers, das der Masse als
Neumasseerwerb zugeflossen sei. Das FA sei insoweit Neumassegläubiger.
Das Finanzgericht (FG) hat
der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben, da
die Haftungsschuld des Geschäftsführers keine Masseverbindlichkeit im
Insolvenzverfahren über sein persönliches Vermögen darstelle. Sie könne
nicht als "in anderer Weise" vom Insolvenzverwalter, dem Kläger, begründete
Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO qualifiziert werden. Denn
die steuerlichen Rückstände seien nicht durch eine Verwaltung des Klägers
"in anderer Weise" dadurch begründet worden, dass er es vermeintlich
versäumt habe, auf die Geschäftsführung der GmbH Einfluss zu nehmen und
dadurch die Verletzung der Pflichten des Geschäftsführers als gesetzlicher
Vertreter i.S. der §§ 34, 69 AO zu verhindern. Zum Schadenersatz
verpflichtende oder den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO begründende
Handlungen des Insolvenzschuldners könnten nicht über das in § 55 Abs. 1 Nr.
1 2. Halbsatz InsO geregelte Tatbestandsmerkmal "in anderer Weise" als
Verwertung oder Verwaltung der Insolvenzmasse verstanden werden. Da die
Arbeitskraft des Insolvenzschuldners, anders als die daraus erzielten
Einkünfte, nicht zur Insolvenzmasse gehöre, sei es nicht Aufgabe des
Insolvenzverwalters, die Arbeit des Insolvenzschuldners zu kontrollieren
oder zu beaufsichtigen, da seine Rechtsmacht gegenständlich auf die
Insolvenzmasse beschränkt sei. Im Übrigen könne ein Insolvenzverwalter über
das Vermögen einer natürlichen Person, die zugleich Organ einer juristischen
Person ist, nicht für die steuerlichen Pflichten der juristischen Person
verantwortlich sein.
Mit seiner Revision macht
das FA geltend, entgegen der Auffassung des FG könne der Haftungsanspruch
insolvenzrechtlich nicht anders behandelt werden als das Arbeitseinkommen
des Insolvenzschuldners. Denn eine Haftung, die sich aus der
Geschäftsführerstellung ergebe, könne nicht behandelt werden wie eine andere
Schuld, die der Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens ohne
Zustimmung des Insolvenzverwalters begründe. Sofern eine den
Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO begründende Handlung unmittelbar aus dem
Arbeitseinsatz des Insolvenzschuldners resultiere, müsse sich der
Insolvenzverwalter dies zurechnen lassen. Es sei widersprüchlich, wenn der
Insolvenzschuldner - möglicherweise auf rechtswidrige Art und Weise - ein
hohes Arbeitsentgelt erziele, die damit zusammenhängenden Folgen aus Sicht
des Insolvenzverwalters hingegen völlig ausgeblendet würden. Das FA verweist
insoweit auf die Einfügung der Abs. 2 und 3 in § 35 InsO durch das Gesetz
zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (InsVereinfG) vom 13. April 2007
(BGBl I 2007, 509), wonach dem Insolvenzverwalter die Entscheidung obliegt,
ob das Vermögen aus einer während des Insolvenzverfahrens ausgeübten
selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche
aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.
Die Freigabe einer nichtselbstständigen Tätigkeit sehe die Insolvenzordnung
allerdings - auch nach der Einführung des § 35 Abs. 2 Inso - nicht vor, der
pfändbare Arbeitslohn sei regelmäßig in die Insolvenzmasse abzuführen.
Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit begründet
würden, seien dementsprechend aus der Insolvenzmasse zu zahlen.
Der Kläger schließt sich im
Wesentlichen den Ausführungen des FG an.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Urteil
des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht erkannt, dass der
Haftungsanspruch im Streitfall keine Masseverbindlichkeit ist.
1. Nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO hat
ein Vermögensverwalter, soweit seine Verwaltung reicht, die steuerlichen
Pflichten desjenigen zu erfüllen, über dessen Vermögen ihm die Verwaltung
übertragen ist.
a) Im Streitfall war der Kläger als
Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers bestellt, als der
- unstreitige - Haftungsanspruch des FA gegen den Geschäftsführer gemäß §§
34, 69 AO wegen Nichtabführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuern
materiell-rechtlich entstanden ist. Das Recht des Geschäftsführers, sein nun
zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten, war bereits auf den
Kläger als Insolvenzverwalter übergegangen (§ 80 Abs. 1 InsO). Nach § 35
InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner
zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des
Verfahrens erlangt.
b) Als Adressat des Haftungsbescheids kommt
der Kläger aber deshalb nicht in Betracht, weil der Haftungsanspruch sich
nicht gegen die seiner Verwaltung unterliegende Insolvenzmasse richtet.
Nach § 38 InsO dient die Insolvenzmasse zur
Befriedigung der Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben.
Der Haftungsanspruch durch Pflichtverletzungen des Geschäftsführers ist
jedoch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen begründet
worden. Eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
wäre die Haftungsschuld nur dann, wenn sie durch Handlungen des
Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung
und Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden wäre, ohne zu den Kosten
des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Voraussetzungen des hier allein in
Betracht kommenden Tatbestands "in anderer Weise durch die Verwaltung ...
der Insolvenzmasse" begründete Verbindlichkeit erfüllt der Haftungsanspruch
des FA indes nicht.
aa) Nach dem Wortlaut der Vorschrift müsste
der Anspruch auf eine - wie auch immer geartete - Verwaltungsmaßnahme des
Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein
(vgl. Braun/Bäuerle, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 55 Rz 15). Der
Haftungsanspruch des FA nach §§ 34, 69 AO ist durch die Verletzung der dem
Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter der GmbH gemäß § 34 AO
übertragenen steuerlichen Pflichten begründet. Die Arbeitskraft des
Schuldners gehört aber nicht zur Insolvenzmasse (Beschluss des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Dezember 2008 IX ZB 249/07, Deutsche
Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2009, 204, unter II.2.b
aa(3)). Die Überwachung der beruflichen Pflichterfüllung des
Insolvenzschuldners ist nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters.
bb) Der Senat teilt nicht die Auffassung
des FA, der Haftungsanspruch müsse im Wege der Auslegung des in § 55 Abs. 1
Nr. 1 InsO geregelten Tatbestands als "in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse begründet"
angesehen werden, sofern eine Haftung wie im Fall der Geschäftsführerhaftung
nach §§ 34, 69 AO unmittelbar auf den Arbeitseinsatz des Insolvenzschuldners
zurückzuführen sei.
Mit der Einbeziehung dessen in die
Insolvenzmasse, was der Insolvenzschuldner während des Verfahrens erlangt (§
35 Abs. 1 2. Halbsatz InsO), fallen zwar auch die Einkünfte aus einer
Erwerbstätigkeit, soweit sie der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs.
1 Satz 1 InsO), nunmehr - anders als unter der Geltung der Konkursordnung -
KO - (§ 1 KO) - auch dann in die Insolvenzmasse, wenn sie erst nach
Insolvenzeröffnung erzielt worden sind. Das allein rechtfertigt aber nicht
die in der Revisionsbegründung zum Ausdruck kommende Gesamtbetrachtung der
aus "dem Arbeitseinsatz" des Insolvenzschuldners resultierenden Ansprüche
und Verbindlichkeiten.
(1) War der Geschäftsführer
nichtselbstständig tätig, so hatte der Kläger von vornherein keine
Möglichkeit, diese Tätigkeit zu unterbinden oder sonst zu beeinflussen. Die
nach Insolvenzeröffnung neu erworbenen Lohn- und Gehaltsansprüche sind nicht
anders zu berücksichtigen als jene, auf die bereits bei Eröffnung des
Verfahrens ein Anspruch bestand (zum Neuerwerb von Vermögenswerten vgl.
BGH-Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung 2008, 77, m.w.N.). Sie fallen mit dem Betrag in die
Insolvenzmasse, mit dem sie auch der Einzelzwangsvollstreckung unterliegen,
d.h. mit dem Nettobetrag unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen (§
36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 850c, 850e der Zivilprozessordnung).
Schadenersatz- oder Haftungsansprüche aus der Tätigkeit beeinflussen den
Lohn- und Gehaltsanspruch nicht unmittelbar. Sie sind keine
Masseverbindlichkeiten.
(2) Auch wenn der Geschäftsführer seine
Funktion im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses ausgeübt haben und diese
nach den Umständen des Einzelfalls nicht als nichtselbstständige Tätigkeit
zu qualifizieren sein sollte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. April
2009 VI R 81/06, BFH/NV 2009, 1311), könnten nachinsolvenzlich daraus
herrührende Haftungsschulden nicht Masseverbindlichkeiten sein. Für
Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat der BGH in ständiger
Rechtsprechung erkannt, dass es in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe
des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse gehört
(BGH-Beschluss vom 18. Mai 2004 IX ZB 189/03, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht - ZInsO - 2004, 739, m.w.N.). Könnten danach - jedenfalls
nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage - Verbindlichkeiten, die aus
der selbstständigen Tätigkeit erwachsen sind - also auch Haftungsschulden,
sofern sie bei der Gewinnermittlung überhaupt berücksichtigt werden könnten
-, die Insolvenzmasse nicht mindern, so gilt dies umso mehr, falls die
Haftungsschuld aus der Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers
herrührte, der insoweit (nur) über Einkünfte aus Kapitalvermögen verfügt.
(3) Die bloße Duldung der
Geschäftsführertätigkeit erfüllte nach der hier maßgeblichen Rechtslage
nicht das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55
Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz InsO. Zwar konnte der Insolvenzverwalter schon vor
Inkrafttreten des InsVereinfG aufgrund seiner Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen (§§ 80, 60 InsO) mit dem
Schuldner vereinbaren, dass er ihm die für die Fortführung dieser Tätigkeit
erforderlichen Mittel aus der bereits vorhandenen Insolvenzmasse oder aus
den zukünftigen, gleichfalls zur Masse gehörigen Einkünften zur Verfügung
stellt (vgl. BGH-Beschluss vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, ZInsO 2003, 413,
Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2167). Da aber insoweit keine
Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters gesetzlich geregelt war, konnte in
dem bloßen Unterlassen solcher Vereinbarungen keine Verwaltungsmaßnahme
liegen, die eine Masseverbindlichkeit entstehen ließ.
2. Mit der Normierung des § 35 Abs. 2 InsO
durch das InsVereinfG zum 1. Juli 2007 hat der Gesetzgeber nun zwar dem
Insolvenzverwalter im Fall der Fortführung oder Aufnahme einer
selbstständigen Tätigkeit durch den Schuldner die Pflicht auferlegt, zu
erklären, ob Vermögen aus der Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob
Ansprüche aus der Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden
können (vgl. dazu Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 2. November 2006,
BTDrucks 16/3227, insbesondere Begründung zu Nr. 12, S. 17).
Da im Zeitraum der Verwirklichung des
Haftungsanspruchs (im Jahre 2006) die zum 1. Juli 2007 in Kraft getretene
Norm (Art. 103c des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung) noch nicht
anzuwenden war, erübrigen sich im Streitfall Erwägungen darüber, ob diese
Erklärungspflicht dazu führt, dass eine schlichte Duldung einer
selbstständigen Tätigkeit als Verwalten der Insolvenzmasse angesehen werden
kann, ob zu den "Ansprüchen aus einer solchen Tätigkeit", die im Fall des
Insolvenzbeschlags des Neuerwerbs "im Insolvenzverfahren geltend gemacht
werden können", auch Haftungsansprüche des FA wegen Nichterfüllung
steuerlicher Pflichten gehören können und ob die Regelung auch auf die
Haftung eines Gesellschafter-Geschäftsführers angewendet werden könnte.
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