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BFH-Urteil vom 20.8.2009 (V R 25/08) BStBl. 2010 II S. 15
1.
Bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG
handelt es sich um einen Grundlagenbescheid i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 AO.
2.
Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG kann
Rückwirkung zukommen, ohne dass dem der Grundsatz der Rechtssicherheit
entgegensteht.
UStG 1980 § 4 Nr. 21; Richtlinie 77/388/EWG
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j; AO § 175.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 17.
Juli 2008 16 K 207/07 (EFG 2008, 1933)
Sachverhalt
I.
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) war u.a. als selbständiger Musiklehrer an der
Musikschule H e.V. (Musikschule) tätig. Er reichte für das Streitjahr 2004
eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung ein, aus der sich eine Umsatzsteuer von 0
EUR ergab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte
dem nicht und setzte mit Bescheid vom 19. September 2005 Umsatzsteuer fest,
da die Leistungen des Klägers mangels Bescheinigung nicht steuerfrei seien.
Den hiergegen zunächst eingelegten Einspruch nahm der Kläger zurück. Mit
Schreiben vom 27. Februar 2006 beantragte der Kläger, den
Umsatzsteuerbescheid vom 19. September 2005 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der
Abgabenordnung (AO) zu ändern, da seine Unterrichtsleistungen an der
Musikschule steuerfrei seien. Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom
8. März 2006 ab, da keine Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a
Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) vorliege und die
Voraussetzungen des § 173 AO nicht erfüllt seien. Hiergegen legte der Kläger
erfolglos Einspruch ein.
Während des
Einspruchsverfahrens bescheinigte das Niedersächsische Ministerium für
Wissenschaft und Kultur (MWK) zum einen mit Bescheid vom 27. Juli 2006, dass
die Musikschule gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG unter
anderem mit dem Erteilen von Musikunterricht in den Kursen
Instrumentenkarussell, Bariton, Posaune, Tenorhorn, Trompete, Tuba,
Bläserklassen ab der Unterstufe (Anfänger) durch den Kläger auf einen Beruf
(Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik) oder eine vor einer
juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegenden Prüfung (Abitur)
ordnungsgemäß vorbereite. Die Bescheinigung wurde mit Wirkung ab dem 1.
September 2001 zur Vorlage beim FA erteilt. Am gleichen Tag bescheinigte das
Niedersächsische MWK zum anderen mit Wirkung ab 1. Januar 2001, dass der vom
Kläger als selbständiger Musiklehrer erteilte Musikunterricht in den Kursen
Bariton, Posaune, Tenorhorn, Trompete, Tuba ab der Unterstufe (Anfänger)
geeignet sei, seine Schüler und Vertragspartner i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst.
a Doppelbuchst. bb UStG auf einen Beruf (Aufnahmeprüfung an einer
Fachhochschule für Musik) oder eine vor einer juristischen Person des
öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung (Abitur) ordnungsgemäß
vorzubereiten.
Das Finanzgericht (FG) gab der
Klage statt (veröffentlicht in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2008,
1933). Materiell-rechtlich seien die Leistungen, die der Kläger an die
Musikschule erbracht habe, aufgrund der Bescheinigung des Niedersächsischen
MWK vom 27. Juli 2006 nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG
steuerfrei. Der Kläger habe als selbständiger Lehrer mit seinen Kursen in
den Fächern Bariton, Posaune, Tenorhorn, Trompete, Tuba unmittelbar dem
Schul- und Bildungszweck der Musikschule dienenden Unterricht erteilt. Das
Niedersächsische MWK habe u.a. für das Streitjahr 2004 bescheinigt, dass der
Kläger mit seiner selbständigen Unterrichtstätigkeit an der Musikschule
ordnungsgemäß auf einen Beruf vorbereite. Der bestandskräftige
Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 19. September 2005 sei nach § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO aufzuheben. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG setze für die
Steuerfreiheit der Umsätze die Erteilung einer Bescheinigung der zuständigen
Landesbehörde über die ordnungsgemäße Vorbereitung auf einen Beruf voraus.
Diese Bescheinigung binde im Umfang der durch diese Vorschrift geregelten
Aussage die Finanzbehörden. Die Bescheinigung stelle im Umfang ihrer
Bindungswirkung einen Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO dar. Zwar
sei die Bescheinigung der Landesbehörde nur ein Tatbestandsmerkmal des § 4
Nr. 21 UStG. Daneben habe die Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit zu
prüfen, ob die fragliche Einrichtung allgemeinbildend oder berufsbildend
sei. Liege keine allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung vor, sei
der Steuerbescheid trotz Vorlage einer Bescheinigung der Landesbehörde nicht
zu ändern. Unzutreffend sei entgegen der Auffassung des FA, dass eine
Änderung des Steuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nur in
Betracht komme, wenn der Grundlagenbescheid Bindungswirkung hinsichtlich
sämtlicher Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiungsvorschrift entfalte.
Diese einschränkende Auslegung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO finde in
dessen Wortlaut keinen Anhalt. Dass aufgrund der Neuregelung in § 175 Abs. 2
Satz 2 AO eine Änderung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht komme, sei somit unerheblich.
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts. Eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides sei
nicht möglich. Zwar sei in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG
vorgesehen, dass die zuständige Landesbehörde die ordnungsgemäße
Vorbereitung auf einen Beruf bescheinige. Diese Bescheinigung binde insoweit
auch die Finanzbehörden. Ob die Voraussetzungen der Steuerfreiheit im
Übrigen vorlägen - insbesondere, ob es sich um eine allgemeinbildende oder
berufsbildende Einrichtung handele -, entscheide die Finanzbehörde jedoch in
eigener Zuständigkeit. Grundlagenbescheide seien nach der Legaldefinition
des § 171 Abs. 10 AO alle Feststellungsbescheide, Steuerbescheide und alle
anderen Verwaltungsakte, die für die Festsetzung einer Steuer bindend seien.
Bindungswirkung habe ein Verwaltungsakt aber nur, wenn die Bindungswirkung
durch Gesetz ausdrücklich angeordnet sei. Bloße Zuständigkeitsvorschriften
oder die allgemeine Verpflichtung der Behörden, die von anderen
Verwaltungsbehörden erlassenen Verwaltungsakte zu beachten, reichten für die
Annahme eines Grundlagenbescheids nicht aus. Im Streitfall komme der
maßgeblichen Bescheinigung nur insoweit Grundlagencharakter zu, als die
Finanzbehörden an die Feststellung gebunden seien, dass eine Einrichtung auf
einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen
Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereite. Eine weiter gehende
Bindungswirkung, die eine Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zuließe,
komme der Bescheinigung nicht zu.
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Der Umsatzsteuerbescheid 2004
sei gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, da es sich bei der Bescheinigung
des Niedersächsischen MWK um einen Grundlagenbescheid handele. Auch
Bescheide anderer Behörden, die keine Finanzbehörden seien, könnten
Grundlagenbescheide sein, wie die Rechtsprechung zu
Schwerbehindertenausweisen zeige. Da die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21
Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG Tatbestandsmerkmal für die
Umsatzsteuerbefreiung sei, komme der Bescheinigung rechtliche Außenwirkung
zu.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die
Leistungen des Klägers sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb
i.V.m. Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei und der bestandskräftige
Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 19. September 2005 war nach § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO zu ändern, weil es sich bei der Bescheinigung des Niedersächsischen MWK
vom 27. Juli 2006 um einen Grundlagenbescheid handelte.
1.
Steuerfrei
sind nach § 4 Nr. 21 UStG
"a) die unmittelbar dem Schul- und
Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemein
bildender oder berufsbildender Einrichtungen,
aa) wenn sie als Ersatzschulen gemäß Artikel
7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt
sind oder
bb) wenn die zuständige Landesbehörde
bescheinigt, daß sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person
des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten,
b) die unmittelbar dem Schul- und
Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer
aa) an Hochschulen im Sinne der §§ 1 und 70
des Hochschulrahmengesetzes und öffentlichen allgemein bildenden oder
berufsbildenden Schulen oder
bb) an privaten Schulen und anderen
allgemein bildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit diese die
Voraussetzungen des Buchstabens a erfüllen;".
Die Vorschrift beruhte im Streitjahr 2004
gemeinschaftsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG.
Steuerfrei waren danach
"i) die Erziehung von Kindern und
Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die
Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen
Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des
öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere
Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter
vergleichbarer Zielsetzung;
j) den von Privatlehrern erteilten Schul-
und Hochschulunterricht".
2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die
Steuerfreiheit der durch den Kläger erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 21
Buchst. b Doppelbuchst. bb i.V.m. Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG bejaht.
a) Der Kläger erbrachte als selbständiger
Lehrer unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen im Sinne
des Einleitungssatzes von § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG. Nach den Feststellungen
des FG unterrichte der Kläger als selbständiger Lehrer Kurse in
unterschiedlichen Instrumentenfächern. Es handelte sich hierbei - wie das FG
zutreffend entschieden hat - um unmittelbar den Schul- und Bildungszweck
dienende Unterrichtsleistungen, da der Musikunterricht ein geistiges Gut
vermittelt, das Gegenstand der Allgemeinbildung ist (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Mai 1989 V R 83/84, BFHE 157, 458, BStBl II
1989, 815, unter II. 2. d). Es kommt im Übrigen nicht darauf an, ob die
jeweilige Unterrichtsleistung auf eine Berufsausbildung oder Prüfung
vorbereitet (BFH-Urteile in BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815, unter II. 2.
d, und vom 10. Januar 2008 V R 52/06, BFHE 221, 295, Umsatzsteuer-Rundschau
- UR - 2008, 276, unter II. 2. a aa; vgl. auch Urteil des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 14. Juni 2007 Rs. C-434/05, Horizon
College, Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389, UR 2007, 587 Rn. 26).
b) Der Kläger war auch - wie von § 4 Nr. 21
Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG vorausgesetzt - an einer privaten Schule
tätig, die die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb
UStG erfüllt. Zwar ergibt sich dies entgegen dem FG-Urteil nicht aus der
durch das Niedersächsische MWK für den Kläger selbst erteilten Bescheinigung
vom 27. Juli 2006. Nach der durch das Niedersächsische MWK darüber hinaus
für die Musikschule selbst erteilten Bescheinigung vom gleichen Tag
bereitete jedoch auch die Musikschule mit ihrem Musikunterricht in den in
der Bescheinigung aufgeführten Kursen (wie sie vom Kläger durchgeführt
worden sind) auf die Aufnahmeprüfung bei Musikfachhochschulen und die
Abiturprüfung vor, so dass es sich bei der Musikschule um eine berufs- und
prüfungsvorbereitende Einrichtung handelte, die aufgrund dieser Leistungen
weiter auch als allgemeinbildend und berufsbildend anzusehen ist.
3. Das FG hat weiter zutreffend entschieden,
dass der bestandskräftige Umsatzsteuerbescheid auch nach § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 UStG aufgrund der Bescheinigung zu ändern war. Danach ist ein
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein
Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen
Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
a) Der Umsatzsteuerjahresbescheid vom 19.
September 2005 war bestandskräftig, da der Kläger den gegen diesen Bescheid
eingelegten Einspruch zurückgenommen hatte.
b) Der Bescheid stand nicht unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Der Kläger hatte für das Streitjahr
eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgegeben, aus der sich eine Steuerschuld
von 0 EUR ergab. Zwar stand diese Steueranmeldung nach § 168 Satz 1 AO einer
Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, da sie weder
zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer noch zu einer
Steuervergütung führte (§ 168 Satz 2 AO). Bei dem durch das FA erlassenen
Umsatzsteuerbescheid vom 19. September 2005 handelte es sich daher nicht um
einen Erstbescheid, sondern um einen auf § 164 Abs. 2 Satz 1 AO gestützten
Änderungsbescheid. Da der Steuerbescheid vom 19. September 2005 keinen
Vorbehalt der Nachprüfung enthielt, galt jedoch der Vorbehalt der
Nachprüfung als aufgehoben. Ein Steuerbescheid ist nur dann wirksam unter
Vorbehalt gestellt, wenn die Kennzeichnung des Vorbehalts für den
Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar ist (z.B. BFH-Urteile vom 2. Dezember
1999 V R 19/99, BFHE 190, 288, BStBl II 2000, 284; vom 15. März 2007 III R
57/06, BFH/NV 2007, 1461). Denn der kraft Gesetzes für eine Steueranmeldung
geltende Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn das FA nach Eingang der
Steuererklärung erstmals einen Steuerbescheid ohne Nachprüfungsvorbehalt
erlässt (BFH-Urteil in BFHE 190, 288, BStBl II 2000, 284).
c) Wie das FG zutreffend entschieden hat,
handelt es sich bei der Bescheinigung des Niedersächsischen MWK um einen
Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, der Grundlage für eine
Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist.
aa) Die AO definiert in § 171 Abs. 10 AO den
Grundlagenbescheid als einen Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer
Steuer bindend ist, ohne die Voraussetzungen der Bindungswirkung näher zu
bestimmen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist für die Annahme einer
Bindungswirkung grundsätzlich eine gesetzliche Regelung erforderlich. Ohne
gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der BFH einen Grundlagenbescheid
nur dort für möglich gehalten, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die
Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag
(BFH-Entscheidungen vom 10. Juni 1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl II
1988, 981; vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679;
s. auch Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 171 Rz 102; Kruse in Tipke/ Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 90). Diese
Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Über die in § 4 Nr. 21 Buchst. a
Doppelbuchst. bb UStG aufgeführte Voraussetzung der Berufs- oder
Prüfungsvorbereitung hat nicht das FA, sondern die zuständige Landesbehörde
in einem gesonderten Bescheinigungsverfahren zu entscheiden. Die
Bescheinigung der Landesbehörde ist dabei für das FA bindend und der
Nachprüfung durch das FG entzogen (BFH-Urteil in BFHE 157, 458, BStBl II
1989, 815, erster Leitsatz). Die durch die zuständige Landesbehörde zu
erteilende Bescheinigung ist daher ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171
Abs. 10 AO (noch offen gelassen durch BFH-Urteil in BFHE 221, 295, UR 2008,
276, unter II. 3.).
bb) Unerheblich ist entgegen der Auffassung
des FA, dass im Bescheinigungsverfahren nur über eine, nicht aber über alle
Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst.
bb UStG zu entscheiden ist.
Nach der Rechtsprechung des BFH steht es dem
Vorliegen eines Grundlagenbescheides i.S. von § 171 Abs. 10 AO nicht
entgegen, dass sich die verbindlichen Feststellungen auf einzelne
Voraussetzungen einer steuerrechtlichen Vorschrift beschränken (BFH-Urteile
vom 15. Oktober 1996 IX R 47/92, BFHE 181, 312, BStBl II 1997, 176, unter 1.
b zur Bindungswirkung der Bescheinigung nach § 82i Abs. 2 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, und vom 21. August 2001 IX R 20/99,
BFHE 196, 191, BStBl II 2003, 910, unter II. 1. b zur Bindungswirkung der
Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes). Dass im
Bescheinigungsverfahren nach § 4 Nr. 21 UStG nicht über alle Voraussetzungen
der Steuerfreiheit zu entscheiden ist, spielt daher für das Vorliegen eines
Grundlagenbescheides keine Rolle.
d) Der Korrektur des bestandskräftigen
Steuerbescheides steht auch nicht § 175 Abs. 2 Satz 2 UStG entgegen. Danach
gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung nicht als
rückwirkendes Ereignis. Die Regelung bezieht sich nur auf die Änderung nach
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Änderung bei rückwirkendem Ereignis), nicht
aber auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (Änderung bei Grundlagenbescheid) und
betrifft daher nur Bescheinigungen, denen nicht der Charakter eines durch
eine Behörde erlassenen Grundlagenbescheides (§ 171 Abs. 10 AO) zukommt. 4. Die
Rückwirkung, die sich aus der im Streitfall erst nach Entstehen des
Steueranspruchs (§ 13 UStG) erteilten Bescheinigung ergibt, verstößt
entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geäußerten Bedenken
(BVerwG-Urteil vom 11. Oktober 2006 10 C 4/06, Neue Juristische
Wochenschrift 2007, 714, BFH/NV Beilage 2007, 325, unter 2.) nicht gegen den
Grundsatz der Rechtssicherheit. Dieser gebietet zwar, dass der Unternehmer
in der Lage sein muss, den Umfang der ihm damit auferlegten Verpflichtungen
genau zu erkennen (vgl. EuGH-Urteile vom 15. Dezember 1987 326/85,
NL/Kommission, Slg. 1987, 5091 Rn. 24, und vom 29. April 2004 C-17/01,
Sudholz, Slg. 2004, I-4243 Rn. 34). § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb
UStG entspricht jedoch den sich hieraus ergebenden Erfordernissen, da sich
aus der Vorschrift klar und eindeutig ergibt, dass die Steuerfreiheit eine
berufs- oder prüfungsvorbereitende Einrichtung voraussetzt und dies durch
die zuständige Landesbehörde zu bescheinigen ist. Erfolgt die somit
maßgebliche Beurteilung durch die Landesbehörde und dementsprechend die
Erteilung der Bescheinigung erst nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung,
verstößt dies ebenso wenig gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit wie die -
außerhalb des gesonderten Bescheinigungsverfahrens
- durch das FA z.B.
im Rahmen einer Außenprüfung erst nach der Steuerentstehung vorgenommene
Prüfung anderer Voraussetzungen der Steuerfreiheit.
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