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BFH-Urteil vom 21.7.2009 (X R 32/07) BStBl. 2010 II S. 38
1.
Die Verrechnung erstatteter oder zurückgezahlter mit gezahlten
Sonderausgaben setzt Gleichartigkeit voraus.
2.
Ob die Sonderausgaben gleichartig sind, richtet sich nach deren Sinn und
Zweck sowie deren wirtschaftlichen Bedeutung und Auswirkungen für den
Steuerpflichtigen. Bei Versicherungsbeiträgen kommt es auf die Funktion der
Versicherung und das abgesicherte Risiko an.
EStG 2002 § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 9.
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom
10. Juli 2007 5 K 358/04 (EFG 2007, 1590)
Sachverhalt
I.
Seit 1984 unterhielt der
Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) eine Krankentagegeldversicherung. In
dem Zeitraum vom 1. August 1993 bis 30. September 2002 zahlte er für die
Krankentagegeldversicherung (umgerechnet in EUR) insgesamt 14.092,95 EUR.
Die Beitragszahlungen machte er in den Jahren 1993 bis 2001 jeweils als
Sonderausgaben geltend. Steuerlich wirkten sie sich jedoch nicht aus, da in
diesen Jahren die Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen des Klägers bereits
durch andere abziehbare Vorsorgeaufwendungen überschritten waren. Im
September 2002 hob die Krankentagegeldversicherung den Vertrag mit dem
Kläger rückwirkend zum 1. August 1993 auf und erstattete dem Kläger alle bis
30. September 2002 geleisteten Beiträge.
In der
Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2002 gaben der Kläger
und seine Ehefrau u.a. folgende Sonderausgaben an:
Die im Jahre 2002
erstatteten Krankentagegeldversicherungsbeiträge zog der Kläger in der
Einkommensteuererklärung bei den im Jahre 2002 verausgabten Aufwendungen für
die Kranken- und Pflegeversicherung bis zu deren Höhe von 4.697 EUR ab.
Demnach verblieben von den im Jahre 2002 aufgewendeten 16.078 EUR an
Vorsorgeaufwendungen insgesamt 11.381 EUR grundsätzlich abzugsfähige
Sonderausgaben.
Im Einkommensteuerbescheid
für das Jahr 2002 vom 2. September 2004 kürzte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die als Sonderausgaben geltend
gemachten Versicherungsbeiträge um den gesamten erstatteten Betrag von
14.092 EUR und berücksichtigte lediglich den Rest von 1.985 EUR als
abziehbare Sonderausgaben.
Dagegen legte der Kläger
Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, zulässig sei nur die Verrechnung
mit gleichartigen Sonderausgaben. Das habe das FA missachtet.
Der Einspruch hatte keinen
Erfolg. Das FA führte aus, gleichartige Aufwendungen seien alle
Sonderausgaben der jeweiligen Nummern des § 10 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (EStG a.F.).
Im Klageverfahren machte der
Kläger geltend, das FA habe den Begriff der Gleichartigkeit bei der
Verrechnung der Erstattungsbeträge falsch ausgelegt. Vor dem Hintergrund der
Zweifel gegen die Zulässigkeit der Verrechnung im Erstattungsjahr müsse der
Begriff der Gleichartigkeit eng ausgelegt werden. Gegen die vom FA
vorgenommene Auslegung spreche auch die Unterscheidung bei den
Vorsorgeaufwendungen in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des § 10
EStG (n.F.) zwischen Rentenversicherungsbeiträgen und Krankenversicherungs-
sowie anderen Versicherungsbeiträgen.
Das FA entgegnete, trotz der
Unterteilung der Vorsorgeaufwendungen in Nr. 2 und 3 des § 10 Abs. 1 EStG
n.F. würden diese Aufwendungen insgesamt weiterhin unter dem Oberbegriff
"Vorsorgeaufwendungen" zusammengefasst. Es handele sich also weiterhin um
gleichartige Aufwendungen.
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1590
veröffentlichten Urteil statt. Es führte aus, eine Verrechnung erstatteter
mit gezahlten Sonderausgaben sei nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) im Jahr der Zahlung insoweit geboten, als
anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile eintreten würden.
Die vom FA vorgenommene
weitergehende Verrechnung sei unzulässig. Insofern handele es sich nicht um
eine Verrechnung mit gleichartigen Sonderausgaben. Als gleichartige
Sonderausgaben seien im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG a.F. grundsätzlich
solche anzusehen, die der jeweiligen in § 10 Abs. 1 Nr. 2a bzw. b EStG a.F.
aufgeführten Art der Versicherung (Kranken-, Pflege-, Unfall-,
Haftpflichtversicherung, gesetzliche Rentenversicherung,
Arbeitslosenversicherung, Lebensversicherung) entsprächen, wobei jedoch im
Hinblick auf die Ähnlichkeit des versicherten Risikos und vergleichbarer
Versicherungsstrukturen Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen noch
als gleichartig angesehen werden könnten. Der Abzug der Erstattungsbeträge
müsse somit auf die im Streitjahr als Sonderausgaben geltend gemachten
Beiträge zu den Kranken- und Pflegeversicherungen beschränkt werden. Also
seien im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F.
Versicherungsbeiträge in Höhe von 11.381 EUR abziehbar.
Mit der Revision rügt das FA
die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe bei der Auslegung des
Begriffs "gleichartig" außer Acht gelassen, dass das Gesetz bezüglich der
dogmatischen Grundlagen aller einzelnen Tatbestandsvarianten des § 10 Abs. 1
Nr. 1 bis 9 EStG a.F. nicht differenziere. Alle Varianten des § 10 Abs. 1
Nr. 1 bis 9 EStG a.F. seien daher als gleichartig zu behandeln. So wie dem
Steuerpflichtigen entgegen § 12 EStG der Abzug der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis
9 EStG a.F. genannten privaten Ausgabe von der Bemessungsgrundlage
ermöglicht werde, müsse daher der Rückfluss solcher Ausgaben die
Bemessungsgrundlage erhöhen, und zwar im Jahr des Mittelzuflusses. Würde -
mit dem FG - die Verrechnung auf eine einzelnen Variante des § 10 Abs. 1
EStG a.F. beschränkt, würde der Steuerpflichtige doppelt profitieren. Im
Jahr des Abflusses würden die privaten Kosten ausnahmsweise Steuer mindernd
berücksichtigt und im Jahr des Rückflusses bliebe die Erhöhung der
Leistungsfähigkeit unberücksichtigt.
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht,
entgegen der Auffassung des FA ergebe sich die Gleichartigkeit verschiedener
Aufwendungen nicht aus deren gleichartiger steuerlicher Behandlung. Die
steuerliche Abzugsfähigkeit sei nur ein Reflex, beantworte aber nicht die
Frage der Gleichartigkeit bestimmter Versicherungen. Es gehe um die
Gleichartigkeit von Aufwendungen und nicht um die Gleichartigkeit
steuerrechtlicher Auswirkungen. Erstattungsfälle im Bereich der
Sonderausgaben könnten durch die Rechtsfigur des rückwirkenden Ereignisses
steuersystematisch angemessen berücksichtigt werden, während das vom FA
angestrebte Ergebnis steuersystematisch nicht hinnehmbar sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückgewiesen. Zu Recht hat das
FG der Klage stattgegeben und die vom FA vorgenommene Kürzung der
Vorsorgeaufwendungen nicht zugelassen.
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. sind
bestimmte, im Einzelnen aufgeführte "Aufwendungen" als Sonderausgaben
abziehbar. Hierzu gehören auch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§
10 Abs. 1 Nr. 2a EStG a.F.).
a) Aus der Verwendung des Begriffs
"Aufwendungen" und aus dem Zweck des § 10 EStG, bestimmte, die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde
Privatausgaben vom Abzugsverbot des § 12 EStG auszunehmen, folgt nach
ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als
Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige
tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist.
b) Keine wirtschaftliche Belastung hat der
BFH beim Sonderausgabenabzug z.B. angenommen, wenn geleistete Aufwendungen
in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet werden. Ist der
Einkommensteuerbescheid des Zahlungsjahres noch nicht (materiell)
bestandskräftig, ist der Sonderausgabenabzug um die nachträgliche Erstattung
zu mindern. Ein bereits bestandskräftiger Bescheid kann nach § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) geändert werden. Dies gilt auch, wenn
der sog. Erstattungsüberhang daraus resultiert, dass die im
Veranlagungszeitraum erstatteten Sonderausgaben die im Veranlagungszeitraum
gezahlten übersteigen (vgl. für die Kirchensteuer: BFH-Urteile vom 7. Juli
2004 XI R 10/04, BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058, und vom 23. Februar 2005
XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304).
c) Unbeachtlich ist daher auch die
Überlegung des FA, durch die Erstattung sei die Leistungsfähigkeit des
Klägers gesteigert, so dass die Erstattung in die Bemessungsgrundlage für
die Ermittlung der zutreffenden Einkommensteuer eingehen müsse. Erstattete
Sonderausgaben führen zu keinen steuerbaren Einnahmen (vgl. Söhn, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz B 72).
2. An der Rechtsprechung, wonach die
Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit im Erstattungsjahr gezahlten
gleichartigen Sonderausgaben zulässig ist, hat der erkennende Senat in
Kenntnis der systematischen Bedenken und der Kritik im Schrifttum noch in
jüngster Zeit festgehalten (vgl. Senatsurteile vom 26. November 2008 X R
24/08, BFH/NV 2009, 568; vom 2. September 2008 X R 46/07, BFHE 222, 215,
BStBl II 2009, 229). Im Streitfall ist daher allein die Frage der
Gleichartigkeit der zur Verrechnung herangezogenen Sonderausgaben zu klären.
3. Das FA hat die Gleichartigkeit nach der
Ähnlichkeit des steuerrechtlichen Charakters der Sonderausgaben bestimmt,
die als privat veranlasste im Grundsatz nicht abziehbare Aufwendungen nur
aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung mit Rücksicht auf die
subjektive Leistungsfähigkeit zum Abzug zugelassen sind. Demgegenüber hat
das FG für die Frage der Gleichartigkeit auf die Ähnlichkeit bzw.
Unterschiedlichkeit des Sinn und Zwecks sowie der wirtschaftlichen Bedeutung
und Auswirkung der Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen abgestellt.
4. Der erkennende Senat erachtet den Ansatz
des FG für zutreffend (ebenso Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., §
10 Rz B 45; gegen eine weitere Differenzierung nach der Art der
Versicherungsbeiträge Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 42).
a) Die Auffassung des FA müsste -
konsequent weiter gedacht - zur Annahme der Gleichartigkeit sämtlicher
Sonderausgaben führen. Als Folge müssten z.B. Kirchensteuerzahlungen und
-erstattungen, Zahlungen für Steuerberatungskosten und - falls es solche im
Einzelfall gibt - Erstattungen von Steuerberatungskosten als gleichartig und
folglich als verrechenbar mit den unterschiedlichsten als Sonderausgaben
abziehbaren Versicherungsbeiträgen angesehen werden. Diese Konsequenz ist
bisher nicht gezogen worden. Vielmehr ist z.B. die Verrechenbarkeit von
Kirchensteuererstattungen immer nur mit Kirchensteuerzahlungen bejaht
worden. Andernfalls hätte sich in zahlreichen Fällen die Frage der
Behandlung eines Erstattungsüberhangs nicht gestellt.
b) Die Orientierung an der wirtschaftlichen
Bedeutung und Auswirkung der Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen
schließt die Gleichartigkeit aller Tatbestände des § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 9
EStG a.F. aus und rechtfertigt bei Versicherungsbeiträgen danach zu
unterscheiden, welche Funktion die jeweilige Versicherung für den
Steuerpflichtigen hat und welches Risiko sie absichert.
c) Auch das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) geht in seinem Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE
120, 125, unter D.III.1.) von der Unterschiedlichkeit der verschiedenen
Versicherungen aus. Es teilt zur Ermittlung der verfassungsrechtlich
gebotenen steuerlichen Entlastungswirkung der Kranken- und
Pflegepflichtversicherungsbeiträge den in § 10 Abs. 3 EStG a.F. geregelten
gesetzlichen Höchstbetrag der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen auf die
unterschiedlichen Versicherungsarten auf.
d) Die Berechtigung dieser
differenzierenden Beurteilung wird in gewisser Weise auch durch die Praxis
der Finanzverwaltung bestätigt, wie der Vordruck für die
Einkommensteuererklärung zeigt (a.A. Verfügungen der Oberfinanzdirektion
Frankfurt/M. vom 6. Mai 2003 - S 2221 A - 8 - St II 27, Deutsches
Steuerrecht 2003, 1705, und vom 19. Juni 2006 - S 2221 A - 8 - St 218,
Deutsche Steuer-Zeitung 2006, 673). Dort ist differenziert nach der Art der
Versicherung die Eintragung der Versicherungsbeiträge in unterschiedliche
Zeilen vorgesehen, die mit unterschiedlichen Kennzahlen versehen sind.
e) Eine weitere Bestätigung dieser
Betrachtungsweise liefern die Überlegungen der Bundesregierung zu der vom
BVerfG im Beschluss in BVerfGE 120, 125 aufgegebenen Neuregelung der
steuerlichen Berücksichtigung der Aufwendungen für die Kranken- und die
Pflegeversicherung. Hier hatte die Bundesregierung längere Zeit die Absicht
verfolgt, für einen Teil der entstehenden steuerlichen Entlastung eine
Gegenfinanzierung durch vollständige Aberkennung der Abziehbarkeit der
Beiträge zu anderen Versicherungen, wie der Haftpflicht-, der Arbeitslosen-,
der Berufsunfähigkeits- oder Unfallversicherung zu erreichen. Das zeigt die
fehlende Gleichartigkeit der unterschiedlichen Versicherungsarten (vgl. dazu
BTDrucks 16/12254 vom 16. März 2009, S. 23). Die eingeschränkte
Verwirklichung der ursprünglichen Absicht durch § 10 Abs. 5 EStG in der
Fassung des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von
Vorsorgeaufwendungen beruht entscheidend auf politischen Erwägungen und
nicht auf systematischen Bedenken. 5. Die
Bestimmung der Gleichartigkeit nach dem tatsächlichen Charakter und der
Funktion der jeweiligen Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen steht der
vom FA vorgenommenen Verrechnung der erstatteten Krankentagegeldversicherung
mit allen vom Kläger im Streitjahr gezahlten Versicherungsbeiträgen
entgegen. Dem FA bleibt es jedoch unbenommen, gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 AO den sich durch die Beschränkung der Verrechnung ergebenden
Erstattungsüberhang mit den der Krankentagegeldversicherung gleichartigen
Sonderausgaben im jeweiligen Zahlungsjahr zu verrechnen (vgl. oben II.1.b).
Ob und in welcher Höhe sich Erstattung und Verrechnung im jeweiligen
Zahlungsjahr steuerlich auswirken, ist von dem jeweils geltenden
Höchstbetrag der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen abhängig.
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