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BFH-Beschluss vom 27.8.2008 (I R 33/05) BStBl. 2010 II S. 63
Es
wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob
§ 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 gegen Art. 20 Abs. 3,
Art. 76 Abs. 1 GG verstößt.
KStG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 § 23
Abs. 2 Satz 5, § 54 Abs. 9 Satz 1; UmwStG 1995 § 10 Abs. 1, § 14 Satz 1; GG
Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1.
Vorinstanz: FG Münster vom 28. Januar 2005
9 K 1514/02 K,F (EFG 2005, 1225)
Sachverhalt
A.
Streitpunkt ist die
Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes
in der durch Art. 4 Nr. 10 Buchst. h des Gesetzes zur Bereinigung
steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 1999 (Steuerbereinigungsgesetz
1999 - StBereinG 1999 -, BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) geänderten
Fassung (KStG 1999), welcher die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG
1999 betreffend die höhere Besteuerung bestimmter
umwandlungssteuerrechtlicher Übernahmegewinne bereits für den
Veranlagungszeitraum 1999 angeordnet hat.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, war im Streitjahr 1999 als
geschäftsleitende Holdinggesellschaft Alleingesellschafterin u.a. von fünf
Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH. Diese wandelten sich
aufgrund von Umwandlungsbeschlüssen jeweils vom 14. Dezember 1999 durch
Formwechsel gemäß §§ 190 ff. des Umwandlungsgesetzes zum steuerlichen
Umwandlungsstichtag 31. Dezember 1999 in Kommanditgesellschaften (GmbH &
Co. KG) um, an denen die Klägerin nunmehr die Kommanditbeteiligungen hielt.
Die jeweils für die
Tochtergesellschaften zuständigen Finanzämter stellten die auf die Klägerin
entfallenden umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinne bzw. -verluste
und die anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 180 der Abgabenordnung (AO)
gesondert fest. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -)
ermittelte die in den Übernahmegewinnen der Klägerin enthaltenen Einnahmen
aus EK 45 (Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals - vEK -, der aus
Einkommensbestandteilen entstanden ist, die einem Körperschaftsteuersatz von
45 v.H. unterlagen) auf zuletzt 20.923.186 DM und unterwarf diesen Betrag im
Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer 1999 nach § 23 Abs. 2 Satz 5,
§ 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 einem Steuersatz von 45 v.H. Auf dieser
Grundlage erfolgte auch die Feststellung der Teilbeträge des vEK der
Klägerin gemäß § 47 Abs. 1 KStG 1999 zum 31. Dezember 1999.
Hiergegen wendet sich die
Klägerin, die die durch § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 angeordnete Geltung des
§ 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 für
verfassungswidrig hält. Ihre auf eine Besteuerung der Übernahmegewinne aus
dem EK 45 mit einem Körperschaftsteuersatz von nur 40 v.H. und eine
entsprechende Änderung der Feststellung der Teilbeträge des vEK zum
31. Dezember 1999 gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) Münster
abgewiesen. Sein Urteil vom 28. Januar 2005 9 K 1514/02 K,F ist in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1225 abgedruckt.
Gegen das Urteil richtet
sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen
Rechts rügt.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und "den Körperschaftsteuerbescheid 1999 in
der Fassung - wie in der Einspruchsbegründung begehrt - zu ändern und die
Körperschaftsteuer entsprechend herabzusetzen".
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B.
Das durch Beschluss des Senats vom 10. Juli
2007 gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der
Zivilprozessordnung zum Ruhen gebrachte Verfahren ist fortzusetzen. Der
Ruhensgrund ist entfallen, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit
Beschluss vom 15. Januar 2008 2 BvL 12/01 (BGBl I 2008, 481) über die ihm
vom Senat durch Beschluss vom 18. Juli 2001 I R 38/99 (BFHE 196, 232, BStBl
2002, 27) nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Normenkontrolle
vorgelegte Rechtsfrage entschieden hat.
C.
Die für die Entscheidung des
Revisionsverfahrens maßgebliche Vorschrift des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999
ist nach der Überzeugung des Senats nicht in formell verfassungsmäßiger
Weise zustande gekommen, so dass das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1
GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen ist.
I.
Auf der Grundlage der einschlägigen
gesetzlichen Bestimmungen wäre - was auch die Klägerin nicht anders sieht -
die Revision unbegründet.
1. Beim Formwechsel von einer
Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft ist ein nach Maßgabe von
§ 14 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 und 5 des Umwandlungssteuergesetzes 1995
(UmwStG 1995) zum steuerlichen Umwandlungsstichtag vorhandener
Übernahmegewinn auf der Ebene der Gesellschafter der übernehmenden
Personengesellschaft zu versteuern. Dabei ist gemäß § 14 Satz 1 i.V.m. § 10
Abs. 1 UmwStG 1995 die Körperschaftsteuer, die unter Geltung des
seinerzeitigen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens auf den
Teilbeträgen des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals der
übertragenden Kapitalgesellschaft i.S. des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und
Nr. 2 KStG 1999 lastete, auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der
Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft zu übertragen. Der
Übernahmegewinn (oder ein etwaiger Übernahmeverlust) ist im Rahmen der
gesonderten Feststellung der Einkünfte gemäß § 180 AO einheitlich und
gesondert festzustellen (vgl. van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut,
UmwStG, 2008, § 4 Rz 139; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz,
Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., § 4 UmwStG Rz 84,
m.w.N.).
2. Für den gesondert festgestellten, zum
31. Dezember 1999 entstandenen Übernahmegewinn der fünf im Streitfall
umgewandelten Gesellschaften folgt hieraus, dass dieser von der Klägerin als
alleiniger Gesellschafterin nach dem für sie im Streitjahr geltenden
Körperschaftsteuersatz zu versteuern war. Der allgemeine
Körperschaftsteuersatz betrug im Streitjahr nach der mit Art. 5 Nr. 9
Buchst. a des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999
(StEntlG 1999/2000/2002, BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) erstmals für
den Veranlagungszeitraum 1999 vorgenommenen Absenkung um 5 v.H. gemäß § 23
Abs. 1 KStG grundsätzlich nur noch 40 v.H.
Von der ebenfalls mit dem
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 eingefügten Ausnahmebestimmung des
§ 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999, wonach die dort aufgeführten Einkünfte
weiterhin einer Steuerbelastung von 45 v.H. unterlagen, sind die in Rede
stehenden Übernahmegewinne nicht umfasst. Es handelt sich dabei - wie das FG
zutreffend ausgeführt hat - weder um Dividenden bzw. verdeckte
Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG
-) noch um Bezüge, die nach der Auflösung unbeschränkt steuerpflichtiger
Körperschaften oder Personenvereinigungen anfallen (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG).
Soweit das FG in Bezug auf die Übernahmegewinne eine Analogie ("ergänzende
Auslegung") zu § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 erwägt, ist hierfür angesichts des klar eingegrenzten
Wortlauts dieser detailliert gefassten Ausnahmebestimmung kein Raum.
Die mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999
angefügte Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 betrifft jedoch die
umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinne und unterwirft diese, soweit
sie auf Gewinnrücklagen aus dem EK 45 der übertragenden Kapitalgesellschaft
beruhen, dem höheren Steuersatz von 45 v.H. Wendet man diese Bestimmung -
wie durch § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in Ausnahme von der allgemeinen
Anwendungsregel des § 54 Abs. 1 KStG 1999 angeordnet - auf den
Veranlagungszeitraum 1999 an, unterliegt der auf dem EK 45 beruhende
Übernahmegewinn der Klägerin, dessen Höhe von 20.923.186 DM mittlerweile
zwischen den Beteiligten außer Streit steht, einem Körperschaftsteuersatz
von 45 v.H.
II.
Danach wäre die Revision, die
Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 unterstellt, als
unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Einfügung dieser
Gesetzesbestimmung verstößt indes gegen das Demokratieprinzip in Gestalt des
Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG), weil sie auf einer
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und
Bundesrat beruht, die die diesem von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen
überschreitet.
1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf
der Vermittlungsausschuss eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom
Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser
Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde
liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Er ist somit an den Gegenstand
des Anrufungsbegehrens und an den Rahmen gebunden, der nach den bisherigen
Beratungen in Bundestag und Bundesrat inhaltlich und formal gezogen ist, und
darf keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen
Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit
zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt. Diese Beschränkung entspricht der
Funktion des Vermittlungsausschusses, der nicht eigenständig
Gesetzesvorlagen einbringen darf, sondern nur eine Brücke zwischen schon
innerhalb der Gesetzgebungsorgane erörterten Alternativen schlagen soll.
Überschreitet der Vermittlungsausschuss die dergestalt gezogenen Grenzen
seiner Befugnisse, so ist ein hierauf beruhendes Gesetz nicht ordnungsgemäß
zustande gekommen (BVerfG-Beschlüsse vom 13. Mai 1986 1 BvR 99/85 und
1 BvR 461/85, BVerfGE 72, 175; vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und 2 BvL 3/86,
BVerfGE 78, 249, 271; BVerfG-Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98,
BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162; BVerfG-Beschluss in BGBl I 2008, 481;
Senatsbeschlüsse vom 29. November 2000 I R 38/99, BFHE 194, 49, BStBl II
2001, 374; vom 22. August 2006 I R 25/06, BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793;
vom 8. November 2006 I R 69, 70/05, BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662).
2. Hieran gemessen hat der
Vermittlungsausschuss mit dem Vorschlag der in § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999
getroffenen Regelung die ihm von der Verfassung gesetzten Grenzen
überschritten.
a) Das Gesetzgebungsverfahren hat folgenden
Verlauf genommen:
Im Zuge der Absenkung des allgemeinen
Körperschaftsteuersatzes von 45 v.H. auf 40 v.H. durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zum 1. Januar 1999 hatte der
Gesetzgeber in § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 eine Ausnahme für Bezüge aus
Gewinnausschüttungen und aus der Auflösung von Körperschaften eingeführt,
die - soweit sie auf Gewinnrücklagen aus dem EK 45 beruhten - weiterhin mit
45 v.H. zu versteuern waren (s. oben C.I.2.). Mit dieser Ausnahmeregelung
sollte ausweislich der Begründung des Entwurfs der Regierungsfraktionen zum
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (BTDrucks 14/23, S. 192, 193)
insbesondere bei Konzernen verhindert werden, dass bis zum 31. Dezember 1998
entstandene Gewinne zum Zwecke der Steuerentlastung auf 40 v.H.
ausgeschüttet würden.
Der Fraktionsentwurf des
Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 27. August 1999 (BTDrucks 14/1514), das
als Artikelgesetz Regelungen zu einer Vielzahl steuerlicher Gesetze -
darunter auch das Einkommensteuergesetz und das Körperschaftsteuergesetz -
enthielt, sah eine Änderung oder Ergänzung der in § 23 KStG geregelten
Materie nicht vor. Die das Körperschaftsteuergesetz betreffenden Änderungen
durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 sollten nach der Gesetz gewordenen
Regelung in § 54 Abs. 1 KStG 1999 grundsätzlich erstmals für den
Veranlagungszeitraum 2000 anzuwenden sein. Der Finanzausschuss
(7. Ausschuss) des Bundestages schlug in seiner Beschlussempfehlung zum
Fraktionsentwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 10. November 1999
(BTDrucks 14/2035, S. 30) neben vielen anderen Änderungen und Ergänzungen
die Einfügung des späteren § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 vor, der die
Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 auf
umwandlungssteuerrechtliche Übernahmegewinne ausdehnte. Zur Begründung des
Vorschlags heißt es im Bericht des Finanzausschusses vom 11. November 1999
(BTDrucks 14/2070, S. 23, 24):
"Die Regelung soll verhindern, dass über
den Umweg der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine
Personengesellschaft, an der Kapitalgesellschaften als Gesellschafter
beteiligt sind, eine Steuerentlastung von EK 45 eintritt, die bei
Gewinnausschüttungen durch § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG versagt wird. ... Die
Herabschleusung der Belastung von 45 v.H. auf 40 v.H. kann außer durch
Ausschüttung auch durch Umwandlung in eine Personengesellschaft erreicht
werden. Soweit an der Personengesellschaft wiederum Kapitalgesellschaften
beteiligt sind, würden sie den Übernahmegewinn ... nach allgemeinen Regeln
mit dem Tarifsteuersatz von 40 v.H. versteuern, die auf der Ebene der
umgewandelten Kapitalgesellschaft entstandene Körperschaftsteuer von 45 v.H.
wäre gemäß § 10 UmwStG anzurechnen. Der angefügte Satz 5 schließt die Lücke,
indem er den Übernahmegewinn einer Belastung von 45 v.H. unterwirft."
Eine besondere, von § 54 Abs. 1 KStG 1999
abweichende Bestimmung über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens dieser Regelung
enthielt der Vorschlag nicht.
Das Steuerbereinigungsgesetz 1999 wurde in
der Sitzung des Bundestages vom 12. November 1999 in zweiter und dritter
Beratung verhandelt und in der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Fassung
beschlossen (Plenarprotokoll des Bundestages 14/70, S. 6339).
Der Bundesrat beschloss in der Sitzung vom
26. November 1999 (Plenarprotokoll 745) auf der Grundlage eines Antrags des
Freistaates Sachsen vom 24. November 1999 (BRDrucks 636/2/99) die Anrufung
des Vermittlungsausschusses. In dem Antrag wird die Anrufung des
Vermittlungsausschusses mit dem Verlangen nach Streichung der vom Bundestag
beschlossenen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes über die Einführung
einer Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen begründet
(ebenso das gleichlautende Unterrichtungsschreiben des Präsidenten des
Bundesrates an den Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses vom 7. Dezember
1999, BTDrucks 14/2328).
Die nach Durchführung des
Vermittlungsverfahrens vom Vermittlungsausschuss beschlossene
Beschlussempfehlung vom 15. Dezember 1999 (BTDrucks 14/2380) sieht neben der
vom Bundesrat verlangten Streichung der Besteuerung von Erträgen aus
Kapitallebensversicherungen eine Reihe anderer Änderungen und Ergänzungen
vor, u.a. auch die Einfügung des später Gesetz gewordenen § 54 Abs. 9 Satz 1
KStG 1999, der die Anwendung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 bereits für
das Veranlagungsjahr 1999 vorschreibt. Am 16. Dezember 1999 nahm der
Bundestag den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ohne inhaltliche
Aussprache an (Plenarprotokoll des Bundestages 14/79, S. 7291). Nachdem am
Tag darauf auch der Bundesrat zugestimmt hatte (Plenarprotokoll des
Bundesrates 746, S. 485), ist das Steuerbereinigungsgesetz am 29. Dezember
1999 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und am 1. Januar 2000 in Kraft
getreten.
b) Der Vermittlungsausschuss hat mit dem
Vorschlag der Einfügung von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 die vom
Anrufungsbegehren vorgegebenen Grenzen seiner Aufgabe überschritten.
aa) Im Unterschied zu der aus anderen
Gesetzgebungsverfahren bekannten Praxis (vgl. etwa die den Entscheidungen
des BVerfG in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162, und in BGBl I 2008, 481
zugrundeliegenden Sachverhalte) enthielt der Vermittlungsauftrag des
Bundesrates zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 eine konkrete Beschreibung und
Konkretisierung des Vermittlungsauftrags. Dieser betraf ausschließlich die
im vom Bundestag verabschiedeten Entwurf enthaltenen Änderungen des
Einkommensteuergesetzes betreffend die Einführung einer Besteuerung von
Erträgen aus Kapitallebensversicherungen, die vom Bundesrat abgelehnt wurden
und deren Streichung im Anrufungsbegehren verlangt worden ist.
bb) Zu der Problematik der Besteuerung von
Erträgen aus Kapitallebensversicherungen und der damit zusammenhängenden,
übergeordneten Materie der steuerlichen Rahmenbedingungen der privaten
Altersvorsorge steht die eine Detailfrage des Körperschaftsteuerrechts
betreffende Thematik der Besteuerung von umwandlungssteuerrechtlichen
Übernahmegewinnen in keinerlei inhaltlicher Beziehung. Es handelt sich um
zwei thematisch gänzlich verschiedene Bereiche, die keine Wechselwirkungen
zeitigen.
Das vom Vermittlungsausschuss
vorgeschlagene zeitliche Vorziehen der höheren Besteuerung der
Übernahmegewinne beruhte offenkundig auch nicht auf einem Entgegenkommen des
Bundesrates, zu dem dieser gleichsam als "Gegenleistung" für die
durchgesetzte Streichung der Besteuerung der Kapitallebensversicherungen
bereit gewesen wäre. Aus den Plenarprotokollen und sonstigen
Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Anhalt dafür, dass die Besteuerung der
Übernahmegewinne überhaupt jemals Gegenstand einer politischen Kontroverse
innerhalb von Bundestag und Bundesrat bzw. zwischen diesen beiden
Gesetzgebungsorganen war. Auch führte die Streichung des geplanten Einstiegs
in eine Besteuerung der Erträge von Kapitallebensversicherungen nicht zu
kurzfristigen Steuerausfällen, die einer anderweitigen fiskalischen
Kompensation bedurften. Die vom Bundestag beschlossene Besteuerung bezog
sich nämlich nur auf neu abgeschlossene Lebensversicherungsverträge und
hätte folglich erst auf lange Sicht zu Mehreinnahmen führen können (vgl.
auch die Begründung des Antrags des Freistaates Sachsen im Bundesrat vom
24. November 1999, BRDrucks 636/2/99).
Es spricht deshalb alles dafür, dass -
wovon auch das FG ausgegangen ist - der Vermittlungsausschuss das
Vermittlungsverfahren über das Anrufungsbegehren hinausgehend zum Anlass
genommen hat, das gesamte Gesetzesvorhaben auf seine Stimmigkeit und
Effizienz zu prüfen, und er dabei festgestellt hat, dass die mit der
geplanten Einführung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 beabsichtigte
Lückenschließung zur größtmöglichen Effektivität eines zeitlichen Vorziehens
auf den laufenden Veranlagungszeitraum bedurfte. Diese Vorgehensweise des
Vermittlungsausschusses zeigt sich insbesondere daran, dass seine
Beschlussempfehlung außer der streitgegenständlichen Ergänzung des
Körperschaftsteuergesetzes noch Vorschläge zur Änderung und Ergänzung einer
Anzahl weiterer Gesetze (z.B. Umsatzsteuergesetz, Kraftfahrzeugsteuergesetz)
enthält, die ebenfalls keinen inhaltlichen Bezug zum Gegenstand des
Vermittlungsauftrags aufweisen.
c) Der Vermittlungsausschuss bewegte sich
mit seiner Beschlussempfehlung zur Einfügung von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG
1999 mithin außerhalb der seine Anrufung auslösenden Auffassungsunterschiede
zwischen Bundestag und Bundesrat und überschritt damit seine Befugnisse.
Diese sehen es nicht vor, dass der Vermittlungsausschuss seine Anrufung dazu
nutzt, das geplante Gesetzesvorhaben außerhalb der Materie des hier
vorliegenden konkret eingegrenzten Anrufungsbegehrens einer Kontrolle auf
Stimmigkeit, Zweckmäßigkeit und Effizienz zu unterziehen. Denn der
Vermittlungsausschuss fungierte damit nicht mehr als Brücke zwischen
Bundesrat und Bundestag, sondern als in der Verfassung nicht vorgesehene
legislative Qualitätskontrollinstanz. Mangels Grundlage in der Verfassung
kann dem Vermittlungsausschuss eine solche Funktion auch nicht - wie das FG
meint - aus Gründen der Effizienz des Gesetzgebungsverfahrens zugebilligt
werden.
Aus dem vom FG in Bezug genommenen
BVerfG-Beschluss in BVerfGE 72, 175 zum 2. Haushaltsstrukturgesetz 1981
folgt nichts Gegenteiliges. Der dortige Sachverhalt unterscheidet sich vom
Streitfall wesentlich dadurch, dass dort die Anrufung des
Vermittlungsausschusses durch den Bundestag sachlich nicht konkretisiert und
eingegrenzt worden war, dass die in die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses einbezogene gesetzliche Regelung aus dem Bereich der
Wohnungsbauförderung zuvor schon Gegenstand einer Stellungnahme des
Bundesrates im zur Anrufung führenden Gesetzgebungsverfahren gewesen ist und
dass die betreffende Regelung bereits in erster Lesung Gegenstand der
Verhandlungen des Bundestages war, mithin die Abgeordneten des Bundestages
und auch der Bundesrat bereits Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Mit
diesen Gegebenheiten hatte das BVerfG seine Entscheidung im Wesentlichen
begründet, so dass daraus nicht auf die Verfassungsmäßigkeit des im
Streitfall zu beurteilenden Gesetzgebungsverfahrens geschlossen werden kann.
Schließlich kann dem FG in diesem
Zusammenhang nicht in der Differenzierung zwischen bloßen Ergänzungen bzw.
Modifikationen bereits beschlossener gesetzlicher Regelungen - die dem
Vermittlungsausschuss auch außerhalb des Anrufungsgegenstandes erlaubt sein
sollen - und der originären Kreation eines eigenständigen Normgefüges - das
der Gesetzesinitiative der dazu von Verfassungs wegen berufenen Gremien
vorbehalten bleibe - gefolgt werden. Denn der Vornahme von Veränderungen und
Modifikationen vorhandener Gesetze kommt in gleicher Weise Gesetzesqualität
zu wie der erstmaligen Schaffung neuer Gesetze. Die Komplexität der jeweils
vorgeschlagenen Normen und die für die Normgebung erforderliche Kreativität
des Normgebers sind keine tauglichen Abgrenzungskriterien für die
Zuständigkeit zur Gesetzesinitiative. Dem entsprechend heißt es sowohl im
BVerfG-Beschluss in BGBl I 2008, 481 als auch im ersten Leitsatz des
BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 ohne jede
Differenzierung, der Vermittlungsausschuss dürfe "Änderungen, Ergänzungen
oder Streichungen" des Gesetzesbeschlusses nur vorschlagen, wenn und soweit
dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm
zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibe.
3. Das nicht verfassungsgemäße
Zustandekommen des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 führt zur Nichtigkeit der
Norm. An der dazu erforderlichen Evidenz des Verfassungsverstoßes
(BVerfG-Urteil vom 26. Juli 1972 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9, 25;
BVerfG-Beschlüsse vom 11. Oktober 1994 1 BvR 337/92, BVerfGE 91, 148, 175;
in BGBl I 2008, 481) fehlt es nicht.
a) Nach dem BVerfG-Beschluss in BGBl I
2008, 481 kommt es für die Evidenz eines Verfassungsverstoßes aufgrund
unzulässiger Gesetzesinitiative des Vermittlungsausschusses entscheidend
darauf an, ob sich der Gesetzgeber bis zum Abschluss des betreffenden
Gesetzgebungsverfahrens auf die Grundsätze des BVerfG-Urteils in BVerfGE
101, 297, BStBl II 2000, 162 hat einstellen können. Erst unter Heranziehung
der in jenem BVerfG-Urteil entwickelten und konkretisierten Maßstäbe lassen
sich die Grenzen der zulässigen Tätigkeit des Vermittlungsausschusses
hinreichend klar bestimmen.
b) In dem Gesetzgebungsverfahren betreffend
das Steuerbereinigungsgesetz 1999 hätten die Maßstäbe des BVerfG-Urteils in
BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 berücksichtigt werden können. Das
Urteil datiert vom 7. Dezember 1999. Am gleichen Tag hat das BVerfG eine
ausführliche Pressemitteilung veröffentlicht (Pressemitteilung Nr. 134/99
vom 7. Dezember 1999, www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg134-99.html), in
der die entscheidenden Auszüge aus den Urteilsgründen wiedergegeben werden.
Dazu zählt u.a. die Passage, wonach der Vermittlungsausschuss eine Änderung,
Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur
vorschlagen darf, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des
Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens
verbleibt. Die Maßstäbe des BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II
2000, 162 zu den Grenzen der Initiativbefugnisse des Vermittlungsausschusses
hätten demnach bis zum 15. Dezember 1999, als der Vermittlungsausschuss
seine Beschlussempfehlung zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 abgegeben hat,
bzw. bis zu den Folgetagen, als Bundestag und Bundesrat der
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zugestimmt haben, von den an
der Gesetzgebung Beteiligten noch berücksichtigt werden können.
Soweit das FA meint, das BVerfG-Urteil in
BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 sei für die Evidenz des im Streitfall
in Rede stehenden Verfassungsverstoßes nicht maßgeblich, weil dem
Tätigwerden des Vermittlungsausschusses im Urteilsfall ein sog. "offenes
Anrufungsbegehren" zugrunde gelegen hatte, in welchem ein konkretes
Vermittlungsbegehren nicht formuliert worden sei, ist dem nicht zuzustimmen.
Denn in dem BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 (und in
der Pressemitteilung Nr. 134/99 des BVerfG vom 7. Dezember 1999) wird
ausdrücklich und unmissverständlich der "Rahmen des Anrufungsbegehrens" als
Grenze für die Vermittlungstätigkeit hervorgehoben. Dass diese Grenze im
Urteilsfall selbst nicht relevant geworden war, ist demgegenüber nicht von
entscheidender Bedeutung.
D.
Ob und inwieweit § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG
1999, wie von der Klägerin gerügt, auch unter dem Gesichtspunkt eines
Verstoßes gegen das sog. Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist, lässt der
Senat offen. Die zuvor dargestellte Unvereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 3 und
Art. 76 Abs. 1 GG reicht aus, um die Vorlage zu rechtfertigen. Die
Beurteilung sonstiger verfassungsrechtlicher Fragen und Vorfragen obliegt
allein dem BVerfG; sie gehört nicht zur Begründung des Vorlagebeschlusses
(vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 133,
BStBl II 1995, 655, 660; in BGBl I 2008, 481, dort unter III. der Gründe).
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