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BFH-Urteil vom 28.5.2009 (V R 7/08) BStBl. 2010 II S. 80

1. Die Steuerfreiheit für die Tätigkeit als Versicherungsvertreter nach § 4 Nr. 11 UStG 1999 setzt voraus, dass die Leistungen des Unternehmers die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Versicherungsvermittlung erfüllen, nämlich die am Abschluss der Versicherung interessierten Personen zusammen zu führen.

2. Dies ist der Fall, wenn ein Unternehmer einem Versicherungsmakler am Abschluss eines Versicherungsvertrages potentiell interessierte Personen nachweist und hierfür eine sog. "Zuführungsprovision" erhält.

UStG 1999 § 4 Nr. 11; Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. a.

Vorinstanz: FG Hamburg vom 13. Dezember 2007 5 K 132/05 (EFG 2008, 1415)

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) für die Benennung von am Abschluss von Versicherungen interessierten Kunden gegenüber einem Versicherungsmakler gegen Unterprovision.

T war selbständiger Versicherungsmakler nach § 93 des Handelsgesetzbuches (HGB), der im Auftrag eines Lebensversicherungsunternehmens Kunden warb und ein spezielles rentenversicherungsgestütztes Versicherungsmodell entwickelt hatte. Da die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit häufig Kontakt zu Kunden hatte, die am Abschluss dieser Lebensversicherungen interessiert und an fremdfinanzierten Immobilienobjekten beteiligt waren, schloss die Klägerin mit T am 15. Januar 1999 einen Vertrag, wonach ihr bei Benennung eines Interessenten und Abschluss eines Versicherungsvertrages eine "Zuführungsprovision" von 80 bis 85 % der Provision des T zustehen sollte.

Demgemäß führte die Klägerin diese potentiellen Versicherungsnehmer dem T unter Hinweis auf den konkreten Versicherungsbedarf zu.

In ihrer Umsatzsteuererklärung für 1999 erklärte die Klägerin steuerpflichtige Umsätze in Höhe von ... DM; die von T erhaltenen Zahlungen in Höhe von ... DM beließ sie steuerfrei und erklärte eine verbleibende Umsatzsteuer von ... DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat im Anschluss an eine Außenprüfung die Auffassung, die Klägerin habe gegenüber T steuerpflichtige Umsätze erbracht und erfasste diese zunächst in vollem Umfang und in dem während des Einspruchsverfahrens nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Umsatzsteuerbescheid 1999 abzüglich der enthaltenen Umsatzsteuer als zusätzliche steuerpflichtige Umsätze. Der Einspruch der Klägerin blieb ebenso wie die Klage ohne Erfolg.

Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, die Umsätze der Klägerin seien nicht nach § 4 Nr. 11 UStG (Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler) befreit, weil ihre Tätigkeit nicht im Wesentlichen dem Aufgabenbild eines Versicherungsvertreters entspreche. Die Klägerin habe lediglich einen Ausschnitt aus der im Gesetz beschriebenen Tätigkeit erbracht. Zur Bestimmung der wesentlichen Aspekte einer Versicherungsvermittlungstätigkeit sei die Richtlinie 77/92/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 über "Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die Tätigkeiten des Versicherungsagenten und des Versicherungsmaklers" (Richtlinie 77/92/EWG) heranzuziehen. Dazu gehörten nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 77/92/EWG die Herstellung einer Verbindung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer, die Vorbereitung des Abschlusses der Versicherungsverträge und gegebenenfalls die Mitwirkung bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen. Diese Tätigkeiten eines Versicherungsvertreters seien abzugrenzen zur Tätigkeit eines Gelegenheitsvermittlers, der für Rechnung eines Versicherungsvertreters handele und mit der Durchführung von einführenden Arbeiten, der Vorlage der Versicherungsverträge oder der Einziehung von Prämien beauftragt sei, ohne dass er dadurch Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit übernehme. Um einen derartigen Gelegenheitsvermittler handele es sich im Streitfall, weil die Klägerin über die von ihr vorgenommene Akquisition von Kunden hinaus weder Vertragsabschlüsse vorbereitet noch bei der Erfüllung oder Verwaltung von Versicherungsverträgen mitgewirkt habe. Unter diesen Umständen könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin zum Versicherer und zum Versicherten in einer Beziehung stehe und möglicherweise auch Vertragsunterlagen überreicht habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Die Entscheidung des FG stehe in Widerspruch zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. September 2007 V R 50/05 (BFHE 219, 237, BStBl II 2008, 829) und vom 20. Dezember 2007 V R 62/06 (BFHE 221, 92, BStBl II 2008, 641). Danach seien die Wirtschaftsteilnehmer bei einer Kreditvermittlung berechtigt, ein ihnen zusagendes Organisationsmodell zu wählen, ohne dass dies zur Steuerpflicht der Leistung führe. Entscheidend sei, dass die Leistung ein "im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes" darstelle, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Vermittlungsleistung erfülle. Im BFH-Urteil in BFHE 219, 237, BStBl II 2008, 829 sei die Steuerfreiheit versagt worden, weil zu den Aufgaben des dortigen Klägers lediglich der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Kunde und Vermittler gehört habe sowie die Aufnahme von persönlichen Daten. Entscheidend sei gewesen, dass der Steuerpflichtige nicht an der Suche nach potentiellen Interessenten beteiligt worden sei. Gerade dies sei aber ihre Aufgabe gewesen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe zu Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) entschieden, dass eine Mittlertätigkeit darin bestehen könne, einer Vertragspartei Gelegenheiten zum Abschluss eines Vertrages nachzuweisen, mit der anderen Partei Kontakt aufzunehmen oder über die gegenseitigen Leistungen zu verhandeln. Für den Begriff der Vermittlungstätigkeit nach Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG könne nichts anderes gelten. Dies ergebe sich auch aus dem zur Versicherungsvermittlungstätigkeit ergangenen Urteil des EuGH vom 3. April 2008 Rs. C-124/07, J.C.M. Beheer (BFH/NV Beilage 2008, 216). Dem Regelungsinhalt von Art. 2 der Richtlinie 77/92/EWG über das erforderliche Maß der Vermittlungstätigkeit komme nur indizielle Bedeutung zu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils den Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 19. November 2002 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ... DM herabzusetzen sei.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin habe nicht die wesentlichen Teile einer Versicherungsvermittlungstätigkeit erbracht. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 219, 237, BStBl II 2008, 829 komme es darauf an, ob die einzelnen Leistungen innerhalb eines Organisationsmodells ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes darstellten, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Vermittlungstätigkeit erfülle. Daran fehle es, da die Klägerin lediglich potentielle Versicherungsnehmer zugeführt habe. Das EuGH-Urteil vom 21. Juni 2007 Rs. C-453/05, Ludwig (BFH/NV Beilage 2007, 398 Rdnrn. 29 ff. zur umsatzsteuerfreien Kreditvermittlung) sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1415 veröffentlicht.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur antragsgemäßen Herabsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Rechtsauffassung des FG, wonach die Leistungen der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei sind, folgt der Senat nicht.

1. § 4 Nr. 11 UStG befreit die Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG. Danach befreien die Mitgliedstaaten Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazu gehörenden Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden.

a) Die von Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG verwendeten Begriffe sind nach der Rechtsprechung des EuGH autonom gemeinschaftsrechtlich auszulegen, um eine in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems zu verhindern (EuGH-Urteil vom 3. März 2005 Rs. C-472/03, Arthur Andersen, BFH/NV Beilage 2005, 188 Rdnr. 25). Auf die handelsrechtlichen Begriffe des Versicherungsvertreters und Versicherungsmaklers nach §§ 92 f. HGB kommt es nicht an (BFH-Urteil in BFHE 219, 237, BStBl II 2008, 829).

b) Für die Anforderungen an den Inhalt der steuerbefreiten Tätigkeit eines Versicherungsvertreters gelten folgende Rechtsgrundsätze:

aa) Nach der Rechtsprechung (EuGH-Urteil Arthur Andersen in BFH/NV Beilage 2005, 188 Rdnr. 36) ist es für die steuerfreie Versicherungsvermittlungstätigkeit wesentlich, Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzubringen. Die Vermittlung kann in einer Nachweis-, einer Kontaktaufnahme- oder in einer Verhandlungstätigkeit bestehen, wobei sich die Tätigkeit auf ein einzelnes Geschäft, das vermittelt werden soll, beziehen muss (BFH-Urteil vom 30. Oktober 2008 V R 44/07, BFH/NV 2009, 330).

bb) Nicht steuerfrei sind hingegen Leistungen, die keinen spezifischen und wesentlichen Bezug zu einzelnen Vermittlungsgeschäften aufweisen, sondern allenfalls dazu dienen, als Subunternehmer den Versicherer bei den ihm selbst obliegenden Aufgaben zu unterstützen, ohne Vertragsbeziehungen zu den Versicherten zu unterhalten, wie z.B. bei der Festsetzung und Auszahlung der Provisionen der Versicherungsvertreter, das Halten der Kontakte mit diesen und die Weitergabe von Informationen an die Versicherungsvertreter (zu sog. "Backoffice"-Tätigkeiten EuGH-Urteil Arthur Andersen in BFH/NV Beilage 2005, 188 Rdnrn. 37, 38). Demgemäß sind nach der Rechtsprechung des BFH nicht steuerfrei die Tätigkeit eines Schadensabwicklers, der sich mit Schadensmeldungen, Kundenanfragen, der Regulierung von Schäden und Begutachtung vor Ort befasst (BFH-Beschluss vom 14. August 2006 V B 65/04, BFH/NV 2007, 114), die Tätigkeit eines Werbeagenten, der Kundendaten zur Vorbereitung eines Versicherungsabschlusses erhebt (BFH-Urteil in BFHE 219, 237, BStBl II 2008, 829) oder eines "Overhead-Handelsvertreters", der Betreuungs-, Schulungs- und Überwachungsleistungen erbringt (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 330).

2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG zu Unrecht die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 11 UStG versagt, weil die Tätigkeit der Klägerin die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Versicherungsvermittlung erfüllt.

a) Die Klägerin hat dem Handelsvertreter T am Abschluss einer Lebensversicherung interessierte Kunden nachgewiesen und hierfür vereinbarungsgemäß eine "Zuführungsprovision" von 80 bis 85 % der dem T zustehenden Abschlussprämie erhalten. Wie der EuGH in seinem Urteil J.C.M. Beheer in BFH/NV Beilage 2008, 216 ausführt, schließt Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG seinem Wortlaut nach nicht aus, dass die Tätigkeit eines Versicherungsvertreters sich in verschiedene Dienstleistungen aufteilen lässt. Daher können auch Untervermittler, die bei der Vermittlung von Krediten ohne unmittelbare Beauftragung durch eine der beiden Parteien des abzuschließenden Kreditvertrages tätig werden, steuerfreie Vermittlungsleistungen erbringen. Dies folgt aus dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, wonach die Wirtschaftsteilnehmer befugt sind, das Organisationsmodell zu wählen, das ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen am ehesten entspricht, ohne Gefahr zu laufen, eine Steuerbefreiung zu verlieren. Hierzu gehört auch die Befugnis, die Dienstleistungen eines Versicherungsvertreters i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG in verschiedene Dienstleistungen aufzuteilen (EuGH-Urteil J.C.M. Beheer in BFH/NV Beilage 2008, 216 Rdnrn. 27, 28).

Bei der Nachweistätigkeit der Klägerin handelt es sich auch nicht nur um eine Übertragung eines Teils der mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen verbundenen Sacharbeit, sondern um den Kern der steuerbefreiten Tätigkeit, nämlich die am Abschluss einer Versicherung interessierten Personen ausfindig zu machen und mit dem Versicherer zusammen zu bringen.

b) Zu Unrecht hat das FG die Steuerfreiheit unter Hinweis auf die Richtlinie 77/92/EWG verneint, weil die Klägerin nicht auch bei der Vorbereitung des Abschlusses der Versicherungsverträge und "gegebenenfalls" bei der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen mitgewirkt hat. Es liegt im Wesen eines arbeitsteiligen Zusammenwirkens, dass von jedem der Mitwirkenden lediglich ein Teil der gesamten die Vermittlung betreffenden Arbeit geleistet wird.

3. Der Steuerfreiheit der von der Klägerin erbrachten Leistungen als Versicherungsvertreter steht auch nicht bereits entgegen, dass sie ihre Leistungen gegenüber dem Hauptvermittler T, nicht aber gegenüber dem Lebensversicherer erbrachte und somit nicht unmittelbar durch eine der Parteien des zu vermittelnden Vertrages beauftragt wurde. Denn für die erforderliche Verbindung zwischen dem Versicherungsvermittler und den Vertragsparteien genügt nach der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (Urteil J.C.M. Beheer in BFH/NV Beilage 2008, 216), der sich der BFH angeschlossen hat (Urteil in BFH/NV 2009, 330), dass der Versicherungsvertreter zu dem Versicherungsunternehmen eine mittelbare Verbindung über einen anderen Steuerpflichtigen unterhält, der selbst in unmittelbarer Verbindung zu einer dieser Parteien steht.