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BFH-Beschluss vom 10.12.2009 (XI R 39/08) BStBl. 2010 II S. 321
EuGH-Vorlage zum Anwendungsbereich der mehrwertsteuerrechtlichen
"Sonderregelung für Reisebüros"
Dem
EuGH wird folgende Frage zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:
Gilt die "Sonderregelung für Reisebüros" in Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG auch für den isolierten Verkauf von Opernkarten durch ein
Reisebüro ohne zusätzlich erbrachte Leistungen?
UStG 1993 § 25; Richtlinie 77/388/EWG
Art. 26.
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 6. Februar
2008 5 K 80/03
Sachverhalt
I. Sachverhalt
1
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Reisebüro. U.a. erwarb sie in den
Jahren 1993 bis 1998 (Streitjahre) von einer Oper Eintrittskarten und
veräußerte diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Endabnehmer und
Reisebüros entweder im Zusammenhang mit anderen von ihr erbrachten
Leistungen (Unterbringung, Stadtführung, Shuttleservice, Bewirtung) oder
ohne solche Leistungen.
2
Im Revisionsverfahren ist
nur noch streitig, ob der Verkauf von Karten an Endabnehmer ohne zusätzlich
erbrachte Leistungen der Margenbesteuerung nach § 25 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) unterliegt.
3
Das Finanzgericht hat die
Klage der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1993 bis 1997 vom
28. September 2000 und den Umsatzsteuerbescheid für 1998 vom 27. März 2001,
jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2002
abgewiesen. Es hat dies in dem noch streitigen Punkt damit begründet, die
Sonderregelung des § 25 UStG erfasse nur die bei Durchführung einer Reise
vom Reisebüro erbrachten Umsätze als einheitliche Dienstleistung an den
Reisenden. Soweit die Klägerin aber lediglich durch An- und Verkauf von
Eintrittskarten tätig werde, erbringe sie gerade nicht die Dienstleistung
"Durchführung einer Reise". Ihre Tätigkeit unterscheide sich insoweit nicht
von der Tätigkeit anderer gewerblicher Eintrittskartenverkäufer.
4
Der Senat hat die Revision
der Klägerin gegen dieses Urteil zugelassen (Beschluss vom 25. September
2008 XI B 26/08) und ferner die angefochtenen Bescheide bis zum Abschluss
des Revisionsverfahrens insoweit von der Vollziehung ausgesetzt, als die
Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten nicht dem Regelsteuersatz
zu unterwerfen, sondern nach § 25 Abs. 3 UStG zu versteuern sind (Beschluss
vom 25. September 2008 XI S 4/08, BFH/NV 2009, 232).
5
Zur Begründung hat der Senat
in seinem Beschluss in BFH/NV 2009, 232 dargelegt, im Streitfall sei
ernstlich zweifelhaft, ob ausschließlich die Erlöse eines Reisebüros aus dem
Verkauf von Veranstaltungskarten im Rahmen eines Leistungsbündels oder auch
die Erlöse aus dem Einzelkartenverkauf der Margenbesteuerung i.S. von § 25
UStG unterliegen könnten. Zu klären sei, ob die Rechtsprechung im Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. November 1992
Rs. C-163/91 - Van Ginkel - (Slg. 1992, I-5723, Umsatzsteuer-Rundschau - UR
- 1995, 302) auch für den alleinigen Verkauf von Eintrittskarten gelte.
6
Die Klägerin hat zur
Begründung ihrer Revision im Wesentlichen ausgeführt, der Verkauf von
Eintrittskarten für Veranstaltungen durch ein Reisebüro sei als
Reiseleistung i.S. von § 25 UStG einzustufen. Das Reisebüro biete mit dem
Besuch z.B. einer kulturellen Veranstaltung ein Angebot aus seinem Portfolio
von verschiedenen Reisemöglichkeiten und Reisedienstleistungen an. Die
Einstufung als Reiseleistung liege damit gerade in seiner Tätigkeit als
Reisebüro begründet.
7
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerbescheide für
1993 bis 1997 vom 28. September 2000 und den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom
27. März 2001, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, dahingehend zu
ändern, dass die Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten der
Besteuerung nach § 25 UStG unterworfen werden.
8
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Der Senat legt dem EuGH die im Leitsatz
wiedergegebene Frage zur Vorabentscheidung vor und setzt das
Revisionsverfahren aus.
10
Im Streitfall ist entscheidungserheblich,
ob die Umsätze aus dem isolierten Verkauf von Opernkarten bei
richtlinienkonformer Auslegung des § 25 UStG unter diese Sonderregelung
fallen.
11
1. Die maßgeblichen Vorschriften und
Bestimmungen
12
a) Nationales Recht
13
§ 25 UStG über die "Besteuerung von
Reiseleistungen" bestimmt u.a.:
14
"(1) Die nachfolgenden Vorschriften gelten
für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des
Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber
dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in
Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung
anzusehen. ... Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen
Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen.
(2) ...
15
(3) Die sonstige Leistung bemisst sich nach
dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet,
um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die
Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur
Bemessungsgrundlage ...
..."
16
b) Gemeinschaftsrecht
17
§ 25 UStG setzt Art. 26 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie
77/388/EWG) in nationales Recht um.
18
Abschnitt XIV, "Sonderregelungen", der
Richtlinie 77/388/EWG enthält den mit "Sonderregelung für Reisebüros"
überschriebenen Art. 26, dessen Abs. 1 und 3 lauten:
19
"(1) Die Mitgliedstaaten wenden die
Mehrwertsteuer auf die Umsätze der Reisebüros nach den Vorschriften dieses
Artikels an, soweit die Reisebüros gegenüber den Reisenden im eigenen Namen
auftreten und für die Durchführung der Reise Lieferungen und
Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Die
Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Reisebüros, die lediglich als
Vermittler handeln und auf die Artikel 11 Teil A Absatz 3 Buchstabe c)
anzuwenden ist. Im Sinne dieses Artikels gelten als Reisebüros auch
Reiseveranstalter.
...
20
(3) Werden die Umsätze, für die das
Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb
der Gemeinschaft erbracht, so wird die Dienstleistung des Reisebüros einer
nach Artikel 15 Nummer 14 befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt.
Werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft
erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als
steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft
entfällt."
21
2. Zur Anrufung des EuGH
22
§ 25 UStG stellt vorrangig auf die Art der
Leistung ("Reiseleistungen") ab. Dagegen spricht Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG primär gegenüber Reisenden ausgeführte Umsätze bestimmter
Unternehmer der Reisebranche an (vgl. EuGH-Urteile in Slg. 1992, I-5723, UR
1995, 302, Randnr. 12; vom 22. Oktober 1998 Rs. C-308/96 und C-94/97 - T.P.
Madgett -, Slg. 1998, I-6229, UR 1999, 38).
23
Der EuGH hat zu Art. 26 der Richtlinie
77/388/EWG in seinem Urteil Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302
entschieden, dass die Sonderregelung für Reisebüros und Reiseveranstalter
auch dann anzuwenden ist, wenn diese nicht die Beförderung des Reisenden
übernehmen, sondern sich darauf beschränken, dem Reisenden eine
Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen.
24
Der Senat hält es aus folgenden Gründen für
zweifelhaft, ob diese zur Vermietung einer Ferienwohnung als einer typischen
Reiseleistung ergangene Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen für den
isolierten Verkauf von Opernkarten gilt.
25
a) Der EuGH hat sein Urteil Van Ginkel in
Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 (Randnr. 21 ff.) wie folgt begründet:
26
"21 Nach Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie ist dieser Artikel anwendbar, wenn der Reiseveranstalter
gegenüber dem Reisenden im eigenen Namen und nicht als Vermittler handelt.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, bei dem der Rechtsstreit über die
Anwendung dieses Artikels anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten
Sachverhalts, insbesondere der vertraglichen Verpflichtungen des
Reiseveranstalters gegenüber dem Reisenden, zu entscheiden, ob diese
Voraussetzung erfüllt ist.
27
22 Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie macht es jedoch nicht zum Tatbestandsmerkmal der
Mehrwertsteuer-Sonderregelung des Artikels 26, dass die Anreise des
Reisenden zum Ort der Unterkunft und seine Abreise vom Reiseveranstalter
erbracht wird.
28
23 Eine solche Auffassung liefe nämlich den
Zwecken des Artikels 26 der Richtlinie zuwider. Wie bereits ausgeführt,
passt Artikel 26 die Mehrwertsteuervorschriften dem besonderen Wesen der
Tätigkeit von Reiseveranstaltern an. Diese Veranstalter bieten, um den
Wünschen der Kundschaft zu entsprechen, sehr unterschiedliche Ferien- und
Reiseformen an, die es dem Reisenden erlauben, nach seinen Vorstellungen
Beförderungs-, Unterkunfts- und sonstige Leistungen zu kombinieren, die
diese Veranstalter erbringen können. Würden vom Anwendungsbereich des
Artikels 26 der Sechsten Richtlinie Leistungen eines Reiseveranstalters
ausgeschlossen, die nur die Unterkunft und nicht die Beförderung des
Reisenden umfassten, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung,
in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche
Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche
Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.
29
24 Dass ein Reiseveranstalter einem
Reisenden nur eine Ferienwohnung zur Verfügung stellt, ist somit kein
hinreichender Grund dafür, diese Leistung vom Anwendungsbereich des
Artikels 26 der Richtlinie auszuschließen. Wie der Gerichtshof im Übrigen in
seinem Urteil vom 26. Februar 1992 in der Rechtssache C-280/90 (Hacker,
Slg. 1992, I-1111) zur Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens
vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ausgeführt hat, kann die vom Reiseveranstalter erbrachte Leistung selbst
dann mehr als eine Leistung umfassen, wenn nur die Unterkunft erbracht wird,
da neben die Vermietung der Wohnung noch Leistungen wie die Unterrichtung
und Beratung treten, durch die der Reiseveranstalter für Ferien- und
Wohnungsbuchungen eine große Auswahl anbietet. Somit besteht kein Grund
solche Leistungen vom Anwendungsbereich des Artikels 26 der Sechsten
Richtlinie auszuschließen, soweit der Eigentümer oder Nutznießer der
Wohnung, mit dem der Veranstalter einen Vertrag geschlossen hat, selbst
mehrwertsteuerpflichtig ist, wie es Artikel 26 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie vorschreibt."
30
b) Diesen Ausführungen vermag der Senat
nicht mit hinreichender Sicherheit den - im Rahmen einer
richtlinienkonformen Auslegung des § 25 UStG zu berücksichtigenden -
Anwendungsbereich von Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu entnehmen.
31
aa) Einerseits könnten die Ausführungen in
Randnr. 23 des Urteils Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302
bedeuten, dass eine Einzelleistung eines Reisebüros oder Reiseveranstalters
nur dann unter Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG fällt, wenn sie in
einer der Kernleistungen der von dieser Bestimmung erfassten
Wirtschaftsteilnehmer, nämlich entweder in einer Beförderungsleistung oder
in einer Unterbringungsleistung (z.B. Vermietung einer Ferienwohnung),
besteht.
32
bb) Andererseits spricht die Begründung in
Randnr. 21 des Urteils Van Ginkel in Slg. 1992, I-5723, UR 1995, 302 dafür,
dass Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG - unabhängig von der Art der
erbrachten Leistung und deren Bezug zu einer Reise - bereits dann anwendbar
ist, wenn das Reisebüro oder der Reiseveranstalter im eigenen Namen und
nicht als Vermittler handelt.
33
Dafür lässt sich auch das EuGH-Urteil vom
13. Oktober 2005 Rs. C-200/04 - IST - (Slg. 2005, I-8691, BFH/NV Beilage
2006, 34) anführen, in dem es zum Anwendungsbereich von Art. 26 der
Richtlinie 77/388/EWG in Randnr. 34 heißt:
34
"34. Zwar enthält dieser Artikel keine
Definition des Reisebegriffs. Doch ist es für seine Anwendung nicht
erforderlich, dass die Bestandteile der Reisen vorher näher angegeben
werden. Er ist nämlich anwendbar, sofern der betreffende
Wirtschaftsteilnehmer die Eigenschaft eines Wirtschaftsteilnehmers im Sinne
der Sonderregelung für Reisebüros besitzt, dass er im eigenen Namen auftritt
und dass er für seine Umsätze Lieferungen und Leistungen anderer
Steuerpflichtiger in Anspruch nimmt. Insbesondere ist bei den nach
Artikel 26 der Sechsten Richtlinie zu besteuernden Umsätzen eines
Wirtschaftsteilnehmers das einzige relevante Kriterium für die Anwendung
dieses Artikels der Haupt- oder Hilfscharakter der Reiseleistung."
35
cc) Die Klärung dieser Zweifel, wie der
Anwendungsbereich des Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu bestimmen
ist, ist dem EuGH vorbehalten.
36
3. Die Anrufung des EuGH beruht auf
Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.
37
4. Die Aussetzung des Revisionsverfahrens
beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.
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