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BFH-Urteil vom 20.12.2006 (I R 94/02) BStBl. 2010 II S. 331
1.
Eine Stiftung fördert auch dann die Allgemeinheit i.S. des § 52 Abs. 1 AO
1977, wenn sie ihre Zwecke ausnahmslos oder überwiegend im Ausland erfüllt
(gegen BMF-Schreiben vom 20. September 2005, BStBl I 2005, 902) und ihre
Förderung vorzugsweise auf die Jugend eines Staates (hier: der Schweiz) oder
einer Stadt (hier: Bern) beschränkt ist.
2.
Die formelle Satzungsmäßigkeit nach § 59 AO 1977 erfordert hinsichtlich der
steuerbegünstigten Zweckverfolgung nicht die ausdrückliche Verwendung der
Begriffe "ausschließlich" und "unmittelbar" (ebenfalls gegen BMF-Schreiben
vom 20. September 2005, BStBl I 2005, 902).
3.
Die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 AO 1977) ist bei einer
staatlich beaufsichtigten Stiftung - jedenfalls im Grundsatz und innerhalb
der EU - auch dann nach § 62 AO 1977 i.d.F. vor Änderung durch das JStG 2007
entbehrlich, wenn es sich um eine Stiftung ausländischen Rechts handelt, die
der Stiftungsaufsicht eines EU-Mitgliedstaates unterfällt. Allerdings muss
die ausländische Stiftungsaufsicht dem (Mindest-) Standard der
Stiftungsaufsicht der deutschen Bundesländer entsprechen.
4.
§ 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996, wonach u.a. die Befreiung gemeinnütziger
Körperschaften von der Körperschaftsteuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG
1996 für beschränkt Steuerpflichtige i.S. von § 2 Nr. 1 KStG 1996 nicht
gilt, ist gemeinschaftsrechtswidrig (Anschluss an EuGH-Urteil vom 14. September
2006 Rs. C-386/04 "Centro di Musicologia Walter Stauffer", ABlEU 2006 Nr. C 281,
9 vom 18. November 2006).
KStG 1996 § 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 9 und
Abs. 2 Nr. 3; EStG § 21, § 49 Abs. 1 Nr. 6; AO 1977 § 52, § 55 Abs. 1 Nr. 4,
§ 59, § 60, § 61 Abs. 1, § 63, § 62; EGV Art. 73b.
Vorinstanz: FG München vom 30. Oktober 2002
7 K 1384/00 (EFG 2003, 481)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) ist eine Stiftung italienischen Rechts mit Sitz in
Italien. In seiner für das Streitjahr 1997 maßgeblichen Satzung ist sein
Zweck und die Art seiner Verwirklichung in § 2 (in die deutsche Sprache
übersetzt) wie folgt beschrieben: "Die Stiftung hat ausschließlich
Ausbildungs- und Erziehungszwecke. Für die Erreichung ihrer Ziele soll die
Stiftung die Lehrfächer der klassischen Herstellung von Saiteninstrumenten,
der Streichinstrumente, der Musikgeschichte und der Musikwissenschaft im
allgemeinen sowie das Wiederaufleben der Kunst in der Herstellung der Geigen
und Streichinstrumente unterstützen. ... Die Stiftung darf außerdem eine
oder mehrere Studienbeihilfen stiften, die jungen Schweizern, vorzugsweise
aus Bern, den Aufenthalt in Cremona für die ganze Periode des Unterrichts
und der Prüfungen ermöglichen, die die Kunst in der Herstellung von
Saiteninstrumenten lernen und sich darin fortbilden wollen ...".
2
Der Kläger ist Eigentümer
eines Geschäftsgrundstücks in München und erzielt daraus Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA -) der Körperschaftsteuer unterwarf.
3
Die dagegen gerichtete Klage
blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 30. Oktober
2002 7 K 1384/00, das sich inhaltlich weitgehend auf den vorangegangenen
Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2002 bezieht, ist auszugsweise in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 481 abgedruckt.
4
Seine Revision stützt der
Kläger auf Verletzung materiellen Rechts.
5
Er beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und ihn von der Körperschaftsteuer 1997 zu befreien.
6
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Das durch Beschluss des Senats vom 14. Juli
2004 I R 94/02 (BFHE 206, 350, BStBl II 2005, 721) gemäß § 121 Satz 1 i.V.m.
§ 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzte Revisionsverfahren ist
durch Senatsbeschluss vom 6. November 2006 fortgeführt worden. Der
Aussetzungsgrund war entfallen, nachdem der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom 14. September 2006 Rs. C-386/04
"Centro di Musicologia Walter Stauffer" (Amtsblatt der Europäischen Union -
ABlEU - 2006 Nr. C 281, 9 vom 18. November 2006) über die ihm vom Senat
durch den Beschluss in BFHE 206, 350, BStBl II 2005, 721 nach Art. 234
Abs. 3 des Vertrages von Nizza vom 26. Februar 2001 (Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 2002 Nr. C 325/1) zur Änderung des
Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte
(EG) zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage entschieden hat.
III.
8
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Dessen bisherige Feststellungen zu den Satzungsanforderungen sowie der
tatsächlichen Geschäftsführung des Klägers reichen für eine abschließende
Entscheidung durch den Senat nicht aus.
9
1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1996 sind Körperschaften, die nach ihrer
Satzung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und
unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen
(§§ 51 bis 68 der Abgabenordnung - AO 1977 -), von der Körperschaftsteuer
befreit. Die Steuerbefreiung ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als
wirtschaftliche Geschäftsbetriebe - ausgenommen selbst bewirtschaftete
Forstbetriebe - unterhalten werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 und 3 KStG
1996). Sie gilt gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996 überdies nicht für
beschränkt steuerpflichtige Körperschaften i.S. von § 2 Nr. 1 KStG 1996,
also für Körperschaften mit inländischen Einkünften, die weder ihre
Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben.
10
2. Der Kläger ist eine in Italien ansässige
Stiftung privaten Rechts mit inländischen Vermietungseinkünften i.S. von
§ 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die im Inland an sich der
beschränkten Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 2 Nr. 1,
§ 8 Abs. 1 KStG 1996 unterfallen. Vorausgesetzt, der Kläger erfüllt die
gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1996, sind
diese Einkünfte jedoch steuerbefreit. § 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996, der die
Steuerbefreiung für beschränkt Steuerpflichtige ausschließt, steht dem nicht
entgegen. Der EuGH hat durch Urteil in ABlEU 2006 Nr. C 281, 9 entschieden,
dass diese Rechtsfolge gegen die Grundfreiheit des Kapitalverkehrs gemäß
Art. 73b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV -
(jetzt Art. 56 EG) verstößt. Dies ist aufgrund des Anwendungsvorrangs
gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der
gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) vor nationalem Recht verbindlich;
§ 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG 1996 ist gegenüber dem Kläger in diesem Sinne
auszulegen und anzuwenden.
11
3. Ob der Kläger im Streitjahr gemeinnützig
und damit nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1996 steuerbefreit war, lässt
sich nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht abschließend
beurteilen.
12
a) Ausgangspunkt und Maßstab für die
Beurteilung als gemeinnützig ist allein das (innerstaatliche) deutsche
Recht, gleichviel, ob die betreffende Körperschaft im In- oder im Ausland
ansässig ist. Deutschland ist auch aus Gründen des Gemeinschaftsrechts nicht
verpflichtet, den Gemeinnützigkeitsstatus ausländischen Rechts anzuerkennen
(EuGH-Urteil in ABlEU 2006 Nr. C 281, 9 Tz. 39; eingehend Schäfers, Die
steuerrechtliche Behandlung gemeinnütziger Stiftungen in
grenzüberschreitenden Fällen, 2005, S. 332 ff.; Reimer, Steuer und
Wirtschaft International - SWI - 2006, 197; Reimer/Ribbrock, Recht der
internationalen Wirtschaft - RIW - 2005, 611 und Internationales Steuerrecht
- IStR - 2006, 679, 684, jeweils m.w.N.). Ausgangspunkt und Maßstab ist
sonach allein § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1996 i.V.m. §§ 52 ff. AO 1977.
13
b) Auf dieser Basis verfolgte der Kläger
nach den tatrichterlichen Feststellungen gemeinnützige Zwecke i.S. der §§ 51
bis 68 AO 1977.
14
Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige
Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf
materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52
Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben,
wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugute kommt, fest
abgeschlossen ist, zum Beispiel bei einer Zugehörigkeit zu einer Familie
oder der Belegschaft eines Unternehmens oder infolge seiner Abgrenzung,
insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein
sein kann (§ 52 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Unter diesen Voraussetzungen sind
als Förderung der Allgemeinheit (u.a.) insbesondere die Förderung von
Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, von Kunst und Kultur
anzuerkennen (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977).
15
Der Kläger hat Ausbildungs- und
Erziehungszwecke. Er unterstützt die Lehrfächer der klassischen Herstellung
von Saiteninstrumenten, der Streichinstrumente, der Musikgeschichte und der
Musikwissenschaft im Allgemeinen sowie das Wiederaufleben der Kunst in der
Herstellung der Geigen und Streichinstrumente. Diese Zielsetzung ist eine
solche, die auf die Förderung der Kunst und Kultur gerichtet ist. Sie ist in
diesem Rahmen auf die Förderung der "Allgemeinheit" ausgerichtet. Dass die
gewährte Studienförderung "jungen Schweizern", vorzugsweise solchen aus
Bern, zugute kommen soll, steht dem nicht entgegen. Dem Kläger ist darin
beizupflichten, dass der Kreis der geförderten "jungen Schweizer" - selbst
wenn dieser regional auf die Stadt Bern beschränkt wäre - keine i.S. des
§ 52 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 schädliche Einengung darstellt. Denn bei "jungen
Schweizern" handelt es sich um die Jugend der gesamten Schweiz mit mehr als
7 Mio. Einwohnern, bei solchen aus der Stadt Bern mit immerhin rund 125.000
Einwohnern. Ein derart weitgesteckter Personenkreis ist kein solcher, der
auf Dauer nur "klein" wäre. Die Förderung braucht sich keineswegs auf die
gesamte Bevölkerung eines Landes oder einer Großstadt zu erstrecken.
16
Es schadet nicht, wenn die Stiftungszwecke
ausnahmslos oder jedenfalls ganz überwiegend im Ausland erfüllt werden. Das
deutsche Steuerrecht anerkennt die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke
unabhängig davon, ob dies im Inland oder im Ausland geschieht. Eine
Förderung der Allgemeinheit i.S. des § 52 AO 1977 setzt (ebenso wie -
bezogen auf die italienische Bevölkerung - augenscheinlich das italienische
Recht) gleichermaßen nicht voraus, dass die Fördermaßnahmen unmittelbar den
Bewohnern oder Staatsangehörigen Deutschlands zugute kommen (vgl. z.B.
Hufeld in Grupp/Hufeld [Hrsg.? Recht-Kultur-Finanzen, Festschrift für
Reinhard Mußgnug, 2005, S. 255; Hüttemann/Helios, Der Betrieb - DB - 2006,
2481; s. auch Schäfers, a.a.O., S. 131 ff., 141 ff., 332 ff.; Thömmes,
Internationale Wirtschaftsbriefe - IWB - Fach 11A, 1061, 1064; derselbe,
Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht - JbFSt - 1999/2000, 123, 125 unter
Hinweis auf den Spendenabzug; Widmann, daselbst, S. 128 unter Hinweis auf
die in § 52 AO 1977 als förderungswürdig erwähnte Entwicklungshilfe). Die
insoweit von der Finanzverwaltung (s. Bundesministerium der Finanzen - BMF
-, Schreiben vom 20. September 2005, BStBl I 2005, 902) getroffene
Unterscheidung zwischen der Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke im Ausland
einerseits und der Förderung der Bevölkerung anderer Länder auf
gemeinnützige Weise andererseits überzeugt nicht. Denn beides kann im
Ergebnis "positive Rückwirkungen auf das Ansehen Deutschlands und die
deutsche Bevölkerung (Allgemeinheit) haben" und damit eine Förderung auch
der nur "deutschen Allgemeinheit" nach sich ziehen. Für die dem
entgegenstehende Verwaltungspraxis gibt das Gesetz deshalb nichts her
(ebenso z.B. Thömmes, IWB Fach 11A, 1061, 1064; Hufeld, ebenda; Hüttemann/
Helios, DB 2006, 2481; wohl auch Schäfers, a.a.O., S. 141 ff., 332 ff.;
Thömmes/Nakhai, DB 2005, 2259).
17
c) Ob der Kläger im Streitjahr auch
sämtliche satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 5
Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1996 erfüllte, ist derzeit unklar.
18
aa) Das betrifft allerdings nicht die
Erfordernisse des § 59 AO 1977. Danach ist Voraussetzung der
Steuerbefreiung, dass sich aus der Satzung ergibt, welche Zwecke die
Körperschaft verfolgt (= welchen Zwecken sie dient), dass diese Zwecke den
Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO 1977 entsprechen, und dass sie von der
Körperschaft ausschließlich und unmittelbar verfolgt werden. Gemäß § 60
Abs. 1 AO 1977 müssen die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung so
genau bestimmt sein, dass bereits aufgrund der Satzung geprüft werden kann,
ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für Steuervergünstigungen gegeben
sind. Hinsichtlich der Körperschaftsteuerbefreiung müssen die
satzungsmäßigen Voraussetzungen während des ganzen Veranlagungszeitraums
erfüllt sein (§ 60 Abs. 2 AO 1977).
19
Die im Streitjahr geltende und vom FG - für
den Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) - festgestellte Satzung des
Klägers bestimmte in § 2 dessen Zweck und die Art seiner Verwirklichung wie
im Tatbestand wiedergegeben. Das genügt, um aufgrund der Satzung zu prüfen,
ob die Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen vorliegen.
Ausschlaggebend ist, dass die im Einzelnen aufgelisteten Zielsetzungen
keinen Zweifel daran belassen, dass sie zur Verwirklichung des
Stiftungszwecks dienen. Die Satzung belässt gleichermaßen keinen
begründbaren Zweifel daran, dass der Kläger den Satzungszweck ausschließlich
und unmittelbar verfolgt. Zwar ergibt sich dies nicht erklärtermaßen unter
Verwendung der Begriffe "ausschließlich" und "unmittelbar" aus der Satzung.
Dieser kann aber an keiner Stelle Gegenteiliges entnommen werden. Der
Umstand, dass der Kläger seine Zwecke teilweise mittels "Unterstützung"
bestimmter Zielsetzungen verwirklichen will, ändert daran nichts. Der
Begriff der "Unterstützung" ist als solcher ebenso neutral wie der Begriff
der Förderung. Er suggeriert nicht, dass die Zielsetzung lediglich in
mittelbarer Weise erfüllt werden soll. Andere Anhaltspunkte in diese
Richtung hat das FG nicht festgestellt. Ohnehin gilt es, bei der Auslegung
der Satzungen von Körperschaften, die Steuervergünstigungen wegen Verfolgung
gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke beanspruchen, eine allzu
kleinliche "Wortklauberei" (so Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 60 AO Rz 3) zu vermeiden. Die Satzungen haben nicht
lediglich den Zweck, die satzungsmäßigen Voraussetzungen der
Steuervergünstigungen zu erfüllen. Sie dienen auch und oft sogar vorrangig
dazu, die Organisation der Vereine und die Befugnisse ihrer Organe
festzulegen (Senatsurteil vom 18. Dezember 2002 I R 15/02, BFHE 201, 395,
BStBl II 2003, 384). Auch in diesem Punkt folgt der Senat der
entgegenstehenden Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben in
BStBl I 2005, 902) nicht.
20
bb) Die in Rede stehende Satzung des
Klägers erfüllte jedoch, wie insoweit unstreitig ist, aus sich heraus nicht
sämtliche Anforderungen, die nach § 61 AO 1977 für den Fall der Auflösung
oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks an
die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977) zu stellen
sind. Allerdings sind diese Anforderungen u.a. bei staatlich beaufsichtigten
Stiftungen verzichtbar (§ 62 AO 1977 i.d.F. bis zur Änderung durch das
Jahressteuergesetz 2007 - AO 1977 a.F. -). Der Kläger ist eine staatlich
beaufsichtigte Stiftung; er unterliegt der italienischen Stiftungsaufsicht.
21
Das italienische Stiftungsrecht genügt nach
Auffassung des FG indes nicht sämtlichen Anforderungen des § 61 Abs. 1 AO
1977, die gemäß § 62 AO 1977 a.F. infolge der staatlichen Aufsicht ersetzt
werden. Dem kann schon aus systematischen Gründen nicht gefolgt werden. Zwar
stellt § 62 AO 1977 a.F. der Sache nach eine Ausnahme zu dem Gebot der
satzungsmäßigen Vermögensbindung des § 61 Abs. 1 AO 1977 dar. Der Tatbestand
des § 62 AO 1977 a.F. ist mit jenem des § 61 Abs. 1 AO 1977 jedoch nicht
ausdrücklich verknüpft, weshalb insoweit auch nicht uneingeschränkt auf die
tatbestandlichen Vorgaben des § 61 Abs. 1 AO 1977 zurückgegriffen werden
darf. Es gibt - jedenfalls im Ausgangspunkt und bezogen auf die
Stiftungsaufsicht eines EU-Mitgliedstaates - keine Veranlassung, die
staatliche Aufsicht des anderen Staates (hier des italienischen) nicht
ausreichen zu lassen, um § 62 AO 1977 a.F. zu genügen. Vielmehr wird der
Steuerpflichtige im Grundsatz auch dann von den satzungsmäßigen
Vermögensbindungserfordernissen suspendiert, wenn er allgemein einer
ausländischen staatlichen Aufsicht unterliegt (insoweit anders Reimer, SWI
2006, 197; Reimer/Ribbrock, RIW 2005, 611 und IStR 2006, 679, 684).
22
Dennoch ist zu verlangen, dass die
ausländische Stiftungsaufsicht den deutschen Aufsichtserfordernissen in
ihren wesentlichen materiellen Belangen entspricht. Auch wenn § 62 AO 1977
a.F. typisiert, allein auf die Existenz der staatlichen Aufsicht abstellt
und sich der Vorschrift nichts zur Intensität und Ausgestaltung der
staatlichen Aufsicht entnehmen lässt, so liegt gleichwohl auf der Hand, dass
der Gesetzgeber die staatliche Aufsicht der (deutschen) Bundesländer (s.
dazu z.B. Andrick/Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, 2001, passim;
Seifarth/von Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Aufl., § 35, s.
auch § 12; Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 2. Aufl., § 3
Rz 156 ff., jeweils m.w.N.) vor Augen gehabt hat und sich an dem hiernach
bestehenden gesetzlichen Aufsichtsstandard orientiert hat. Dieser
(Mindest-)Standard ist folglich schon aus Gründen der Gleichbehandlung auch
der Stiftungsaufsicht eines anderen Mitgliedstaates der EG abzuverlangen. Es
ist Sache des FG, den gebotenen Abgleich zwischen den Aufsichtsgesetzen der
deutschen Bundesländer einerseits und dem italienischen Aufsichtsrecht
andererseits vorzunehmen.
23
d) Ungewiss ist derzeit vor dem Hintergrund
der tatrichterlichen Feststellungen überdies, ob der Kläger auch den
gesetzlichen Anforderungen an seine tatsächliche Geschäftsführung genügt
(vgl. § 63 AO 1977), insbesondere, ob er seine vereinnahmten Mittel zeitnah
für ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet hat (vgl. § 55
Abs. 1 Nr. 5, § 58 Nr. 7 Buchst. a AO 1977).
24
Auch das ist vom FG weiter aufzuklären. Zu
beachten sind dabei die Vorgaben, welche der EuGH in seinem Urteil in ABlEU
2006 Nr. C 281, 9 (dort Tz. 47 ff.) gegeben hat: Einerseits haben sich die
Mitgliedstaaten der Möglichkeiten zu bedienen, die sich aufgrund der
Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige
Amtshilfe der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABlEG
Nr. L 336, 15), geändert durch die Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom
16. November 2004 (ABlEU Nr. L 359, 30), ergeben. Andererseits ist die
Stiftung, die die Befreiung von der Körperschaftsteuer und damit eine
Steuervergünstigung begehrt, gehalten, an der Aufklärung des Sachverhalts
nach Maßgabe des § 90 Abs. 2 AO 1977 mitzuwirken (vgl. dazu auch Sutter,
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2006, 629). In diesem
Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine wirksame Steueraufsicht schon
deswegen zu verlangen ist, um vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes dem andernfalls drohenden Vorwurf eines sog. strukturellen
Vollzugsdefizits und damit einer gleichheitswidrigen Besteuerung gegenüber
vergleichbaren inländischen Stiftungen zu entgehen (s. grundlegend zu einem
derartigen Vollzugsdefizit Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 27. Juni
1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).
25
4. Die Vorinstanz hat eine abweichende
Rechtsauffassung vertreten. Ihr Urteil war deswegen aufzuheben. Die Sache
ist zur erneuten Entscheidung und Verhandlung zurückzuverweisen, um die
aufgezeigten Feststellungen nachzuholen.
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