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BFH-Urteil vom 2.4.2009 (III R 92/06) BStBl. 2010 II S. 345
1.
Leistet ein als Betreiber einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34
SGB VIII anerkannter Trägerverein einer Pflegeperson Zahlungen für die
Erziehung und Unterbringung eines fremden Kindes, so scheidet die Annahme
eines Pflegekindschaftsverhältnisses aus, weil das Kind zu Erwerbszwecken in
den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen worden ist(§ 32 Abs. 1 Nr. 2
EStG).
2.
Die sozialrechtliche Einordnung als sonstige betreute Wohnform hat
steuerrechtliche Tatbestandswirkung. Es kommt daher nicht darauf an, ob die
Unterbringung des Kindes sozialrechtlich als Vollzeitpflege nach § 33
SGB VIII hätte behandelt werden müssen.
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 1;
SGB VIII § 33, § 34.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 19. Oktober
2006 14 K 4922/05 Kg (EFG 2007, 368)
Sachverhalt
I.
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau nahmen im Juli 2002 die im
Jahre 1993 geborene C in ihren Haushalt auf, in dem auch die vier leiblichen
Kinder lebten. Seit Oktober 2005 war die Ehefrau des Klägers für den Verein
"... e.V." tätig. Nach dem zwischen der Ehefrau des Klägers und dem Verein
abgeschlossenen "Erziehungsstellenvertrag nach § 34 SGB VIII" vom
27. September 2005 sollte in der sog. Fachfamilie des Klägers und seiner
Ehefrau eine Erziehungsstelle eingerichtet werden. Die Fachfamilie sollte C
für die Dauer der Hilfe zur Erziehung nach § 1688 des Bürgerlichen
Gesetzbuches vertreten. Der Verein hat ein Weisungsrecht in grundsätzlichen
Fragen der Betreuung. Er bietet der Fachfamilie Beratung und Unterstützung
an. Seine monatlichen Zahlungen an die Ehefrau des Klägers schlüsselte der
Verein wie folgt auf:
Die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) gewährte dem Kläger Kindergeld, da sie der
Ansicht war, C befinde sich in Vollzeitpflege (§ 33 des Achten Buchs
Sozialgesetzbuch - SGB VIII -). Mit Bescheid vom 16. September 2005 hob sie
die Festsetzung ab 1. Oktober 2005 auf. Die Familienkasse war nunmehr der
Auffassung, bei der Aufnahme von C in den Haushalt des Klägers und seiner
Ehefrau handele es sich um eine sonstige betreute Wohnform nach § 34
SGB VIII, die der Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. von § 32
Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entgegenstehe.
Der Einspruch des Klägers
hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den
Bescheid vom 16. September 2005 auf (Urteil vom 19. Oktober 2006
14 K 4922/05 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 368). Es führte im
Wesentlichen aus, zwischen C sowie dem Kläger und dessen Ehefrau bestehe ein
familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band. C sei auch nicht zu
Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen worden. Dies sei nicht etwa
deshalb anzunehmen, weil nach dem System der Pflegekonzepte der Jugendhilfe
eine Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII gewährt worden sei. Die Höhe des
für die Unterbringung von C gezahlten Entgelts rechtfertige nicht den
Schluss auf eine Entlohnung nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der
Trägerverein zahle nach Abzug der Sachkosten einen Tagessatz von ca. 44 €.
Dieser entspreche nicht den Marktpreisen für eine vollzeitige
Tagesbetreuung, die sich auf mindestens 100 € je Tag beliefen.
Zur Begründung der Revision
trägt die Familienkasse im Wesentlichen vor, C sei zu marktüblichen Preisen
untergebracht worden. Auch wenn ein Trägerverein zwischengeschaltet worden
sei, handele es sich dennoch um eine sonstige Unterbringung i.S. von § 34
SGB VIII. Die zwischen dem Jugendamt und dem Verein festgelegte Entlohnung
von täglich 110 € zur Deckung des Unterhalts- und Betreuungsaufwandes sei
marktüblich und beruhe auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Die Familienkasse beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Er führt aus, der vom FG
festgestellte Tagessatz von ca. 44 €, der auf die Betreuungsleistung der
Pflegeeltern entfalle, könne nicht als marktgerechte Entlohnung für eine
Vollzeitbetreuung betrachtet werden. Es dürfe nicht danach unterschieden
werden, ob Pflegegelder nach § 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII geleistet
würden. Beide Betreuungsformen müssten kindergeldrechtlich gleich behandelt
werden. Die psychische Störung von C sei so gravierend, dass eine
Unterbringung in einer normalen Pflegefamilie nach § 33 Satz 1 SGB VIII
nicht möglich sei. Der Trägerverein habe zu Unrecht die Betriebserlaubnis
für eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII erhalten, vielmehr
sei die Betreuung von C von Anfang an als Vollzeitpflege für besonders
entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche nach § 33 Satz 2 SGB VIII
zu beurteilen gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126
Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat dem Kläger zu
Unrecht einen Anspruch auf Kindergeld zuerkannt.
1. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32
Abs. 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld auch für Pflegekinder gewährt.
Pflegekinder sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645)
Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf
längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu
Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und
Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Die jetzige
Gesetzesfassung löste die Vorgängerregelung ab, der zufolge ein
Pflegekindschaftsverhältnis u.a. davon abhing, dass der Steuerpflichtige das
Kind mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten
unterhielt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) war dies der
Fall, wenn die Pflegeeltern nach Abzug der Erstattung ihrer Aufwendungen
mindestens 20 % der tatsächlich entstandenen, angemessenen Unterhaltskosten
(einschließlich der Kosten für Betreuung, Ausbildung und Erziehung) trugen
(Urteil vom 29. Januar 2003 VIII R 71/00, BFHE 201, 292, BStBl II 2003,
469). Da nach Ansicht des Gesetzgebers diese Rechtsprechung zu praktischen
Schwierigkeiten und zu erheblichem Verwaltungsaufwand führte (vgl. BTDrucks
15/1945, S. 9), wurden die Tatbestandsvoraussetzungen für die Annahme eines
Pflegekindschaftsverhältnisses geändert. Entscheidend ist nach neuer
Rechtslage, ob das Kind zu Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen worden
ist. Betreiber einer Einrichtung nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung und
sonstige betreute Wohnform) haben keinen Anspruch auf Kindergeld für
Pflegekinder (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 1998 XI R 11/98, BFHE 187,
39, BStBl II 1999, 133).
2. Pflegegelder, die bei Aufnahme eines
Kindes in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII geleistet
werden, stellen den gesamten Unterhalt einschließlich der Kosten für die
Erziehung sicher (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge
bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese einen angemessenen
Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Bei der
Unterbringung in einer Pflegefamilie ist im Pflegesatz kein pauschalierter
Ersatz für Personal- und Sachkosten der Pflegeeinrichtung enthalten
(BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448). Auch wenn
Pflegegelder nach § 33 SGB VIII einen Anreiz zur Aufnahme fremder Kinder
schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer Bemessungsgrundlage
kein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechnetes Entgelt für
Unterbringung und Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz. Nur wenn
Pflegeeltern ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen Jugendamtes
liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann angenommen werden, dass sie nach
marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Unterbringung und Betreuung
entlohnt werden (Senatsurteil vom 30. Juni 2005 III R 80/03, BFH/NV 2006,
262).
3. Im Streitfall bezog die Ehefrau des
Klägers nicht die pauschalen Pflegebeträge, die bei der Unterbringung eines
Kindes in einer Pflegefamilie nach § 33 Satz 1 SGB VIII vorgesehen sind.
Vielmehr erhielt sie Leistungen von dem Trägerverein, der mit dem Träger der
Jugendhilfe ein Entgelt für die Unterbringung in einer sonstigen betreuten
Wohnform nach § 34 SGB VIII vereinbart hatte. Dieses Entgelt unterscheidet
sich schon wegen der darin enthaltenen Erstattung von Personal- und
Sachkosten von den Pauschalbeträgen, die bei einer Vollzeitpflege nach § 33
Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 SGB VIII geleistet werden. Bei
der Aufnahme eines Kindes in ein Heim oder in eine sonstige betreute
Wohnform nach § 34 SGB VIII sind deshalb Erwerbszwecke i.S. von § 32 Abs. 1
Nr. 2 EStG zu bejahen.
4. Der Einwand des Klägers, der
Trägerverein habe zu Unrecht die Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII für
eine sonstige betreute Wohnform erhalten, vielmehr habe von Anfang an eine
Vollzeitpflege für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und
Jugendliche nach § 33 Satz 2 SGB VIII vorgelegen, führt zu keiner anderen
Betrachtung. Die Unterbringung von C in der Familie des Klägers und seiner
Ehefrau ist im streitigen Zeitraum nach § 34 SGB VIII behandelt worden.
Diese sozialrechtliche Tatbestandswirkung ist steuerrechtlich zu beachten.
Ob der Kläger bei einer anderen sozialrechtlichen Einordnung
kindergeldberechtigt gewesen wäre, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
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