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BFH-Urteil vom 2.9.2009 (I R 111/08) BStBl. 2010 II S. 387
1.
Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht
für eine Abfindungszahlung, die eine zuvor in Deutschland wohnende Person
nach ihrem Wegzug in die Schweiz von ihrem bisherigen inländischen
Arbeitgeber aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhält
(Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2.
Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und Schweizer Steuerbehörden (hier:
Verständigungsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der
Frage des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt
gegeben durch BMF-Schreiben vom 13. Oktober 1992, RIW 1993, 82) nach Maßgabe
von Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 bindet die Gerichte nicht (ebenfalls
Bestätigung der ständigen Rechtsprechung; entgegen BMF-Schreiben vom 20. Mai
1997, BStBl I 1997, 560).
3.
Die Besteuerung der Abfindung nach der sog. überdachenden Besteuerung gemäß
Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 scheidet aus, wenn der Zuzug der zuvor in
Deutschland wohnenden Person in die Schweiz erfolgte, um dort eine
unselbständige Tätigkeit auszuüben; daneben bestehende anderweitige
Beweggründe für den Zuzug (hier: beabsichtigte Eheschließung mit einer in
der Schweiz ansässigen Person und Begründung eines gemeinsamen Hausstands)
sind unschädlich.
DBA-Schweiz 1971 Art. 4 Abs. 4 Satz 1 und
4, Art. 15 Abs. 1, Art. 26 Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 59 Abs. 2, Art.
80 Abs. 1; WÜRV Art. 4, Art. 31; EStG 2002 § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 39b Abs.
6, § 41a; EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d; AO §
167 Abs. 1 Satz 1.
Vorinstanz: FG München vom 24. Oktober 2008
8 K 3902/07 (EFG 2009, 228)
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine italienische Staatsangehörige, war bis
zum 23. Dezember 2005 in Deutschland ansässig. Seit 20. November 2004 war
sie Arbeitnehmerin der Beigeladenen, eines inländischen Unternehmens. Das
Arbeitsverhältnis sollte ursprünglich bis zum 16. Januar 2009 dauern. Es
endete jedoch bereits am 4. November 2005, nachdem die Klägerin ihren
Dienstvertrag gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beigeladene gekündigt
hatte.
Am 29. Juli 2006 beantragte
die Klägerin im Hinblick auf die zu erwartende Abfindungszahlung deren
Freistellung vom Lohnsteuerabzug gemäß § 39b Abs. 6 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) i.V.m. Art. 15 Abs. 1 des Abkommens
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972,
1022, BStBl I 1972, 519) - DBA-Schweiz 1971 -. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies unter Hinweis auf das
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Mai 1997 (BStBl
I 1997, 560) i.V.m. dessen - zwischenzeitlich aufgehobenen (vgl.
BMF-Schreiben vom 29. März 2007, BStBl I 2007, 369) - Schreiben vom 13.
Oktober 1992 (Recht der Internationalen Wirtschaft - RIW - 1993, 82) und die
darin bekannt gegebene Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 26 Abs. 3
DBA-Schweiz 1971 mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des
Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer ab; der
Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig.
Die Beigeladene zahlte die
Abfindung im September 2006 (streitgegenständlicher Besteuerungszeitraum)
aus, behielt darauf Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ein und meldete die
Steuerbeträge (am 9. Oktober 2006) beim FA an. Der - nach erfolglosem
Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2007) - dagegen
gerichteten Klage der Klägerin gab das Finanzgericht (FG) München durch
Urteil vom 24. Oktober 2008 8 K 3902/07 statt; das Urteil ist in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 228 abgedruckt.
Das FA stützt seine Revision
auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich
nicht geäußert und keine Anträge gestellt. Das dem Revisionsverfahren
beigetretene BMF hat ebenfalls keine Anträge gestellt, sich in der Sache
aber dem FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat
die Klage der Klägerin (als sog. Drittbetroffene) gegen die
Lohnsteueranmeldung der Beigeladenen für den streitgegenständlichen Zeitraum
(vgl. § 41a EStG 2002, § 167 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung) zu Recht als
zulässig (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1995 I R 39/95, BFHE 179, 91,
BStBl II 1996, 87; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 20. Juli 2005 VI R
165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005, 890, und vom 5. Oktober 2005 VI R
152/01, BFHE 211, 249, BStBl II 2006, 94) und begründet angesehen.
1. Die Klägerin war mit ihren inländischen
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG
2002 (i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften -
Steueränderungsgesetz 2003 [StÄndG 2003] - vom 15. Dezember 2003, BGBl I
2003, 2645, BStBl I 2003, 710) beschränkt steuerpflichtig. Zu diesen
Einkünften gehört gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2003 auch die in Rede stehende Abfindung. Denn diese
wurde nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen als Entschädigung
i.S. des § 24 Nr. 1 EStG 2002 für die Auflösung eines Dienstverhältnisses
gezahlt, und die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte haben
der inländischen Besteuerung unterlegen. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1
Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 sind damit
erfüllt. Das ist unter den Beteiligten auch nicht (mehr) streitig.
2. Das Deutschland nach innerstaatlichem
Recht zustehende Besteuerungsrecht für die Abfindung wurde durch das
DBA-Schweiz 1971 beschränkt; das Besteuerungsrecht steht nach Art. 15 Abs. 1
DBA-Schweiz 1971 der Schweiz als dem (nunmehrigen) Wohnsitzstaat der
Klägerin zu.
a) Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DBA-Schweiz
1971 bestimmt, dass Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in
einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur
in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, dass die Arbeit in dem
anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so
können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert
werden.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat
(z.B. Urteile vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988,
819; vom 27. August 2008 I R 81/07, BFHE 222, 560, BStBl II 2009, 632; vom
10. Juli 1996 I R 83/95, BFHE 181, 155, BStBl II 1997, 341; Beschluss vom
12. September 2006 I B 27/06, BFH/NV 2007, 13, jeweils m.w.N.), folgt
daraus, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses
nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind.
Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem
insoweit maßgebenden innerstaatlichen Recht (vgl. Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweiz
1971) Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt
für eine frühere Tätigkeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971.
Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte
Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein
bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem
Abkommenswortlaut ("dafür") indes nicht. Die Finanzverwaltung hat sich dem
prinzipiell angeschlossen (BMF-Schreiben vom 14. September 2006, BStBl I
2006, 532, dort Tz. 6.3).
b) An dieser Rechtsauffassung, an welcher
der Senat festhält, ändert sich infolge der ursprünglich (vgl. BMF-Schreiben
in BStBl I 1997, 560) durch BMF-Schreiben in RIW 1993, 82 bekannt gegebenen
Verständigungsvereinbarung der deutschen und eidgenössischen Finanzbehörden
zur Besteuerung von Abfindungen nichts.
aa) Das BMF und die Eidgenössische
Steuerverwaltung haben sich in jener Vereinbarung auf der Basis von
Konsultationsverhandlungen nach Maßgabe des Art. 26 Abs. 3 Satz 1
DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das Besteuerungsrecht der beiden
Vertragsstaaten danach zuzuteilen, ob der Abfindung Versorgungscharakter
beizumessen ist oder ob es sich um eine Nachzahlung von Löhnen, Gehältern
oder Tantiemen aus dem früheren Arbeitsverhältnis handelt oder die Abfindung
allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt wird. In dem
ersten Fall kann die Abfindung danach gemäß Art. 18 DBA-Schweiz 1971 nur im
Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden, im zweiten Fall soll gemäß
Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 das sog. Tätigkeitsortsprinzip gelten.
Hintergrund dieser Vereinbarung ist der Umstand, dass andernfalls aufgrund
der unterschiedlichen Verwaltungspraxis in Deutschland und in der Schweiz
über die Besteuerungszuordnung die Gefahr sog. weißer Einkünfte, also der
doppelten Nichtbesteuerung, bestand. Für den Streitfall ergeben sich daraus
jedoch keine Konsequenzen.
bb) Die Vereinbarung betrifft die Auslegung
des zwischenstaatlichen vereinbarten Abkommenstextes. Sie wird als solche
nach Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 ermöglicht und soll eine weitgehende
Widerspruchsfreiheit bei der Abkommensanwendung sicherstellen. Die Frage
nach der Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung ist indes umstritten.
Überwiegend (s. z.B. Lehner in
Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 25 Rz 154, Rz 166; Vogel, daselbst, Einl.
Rz 109, 200 f.; Lüthi in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 25 Rz 94; Gosch
in Lüdicke [Hrsg.], Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht?, 2009,
S. 130 ff., 134; Schmitz in Strunk/Kaminski/ Köhler,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 25 OECD-MA Rz 64; Eilers
in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 25 OECD-MA Rz 61; Frotscher,
Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 209 f.; Ismer, Internationales
Steuerrecht - IStR - 2009, 366; O. Schmidt in Haase,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 Rz 51 ff.; Becker,
daselbst, Art. 25 Rz 42; Kopf in Lang/Jirousek [Hrsg.], Praxis des
Internationalen Steuerrechts, Festschrift Loukota, 2005, S. 253; s. auch
Brandis in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 18 Schweiz Rz 21, jeweils
m.w.N.) wird angenommen, dass zwischen der (völkerrechtlichen) Bindung
gegenüber dem anderen Vertragsstaat, der Bindung innerstaatlicher
Rechtsanwendungsorgane und der Selbstbindung der die
Verständigungsvereinbarung abschließenden und der ihnen nachgeordneten
Behörden zu unterscheiden ist. Innerstaatliche Wirkungen kann hiernach eine
solche Vereinbarung für die rechtsanwendenden Organe, also vor allem die
Rechtsprechung, nur nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben des
einzelnen Vertragsstaats entfalten. Das kann ihre unmittelbare Wirksamkeit
zur Folge haben. Es kann aber auch, wie im Regelfall in Deutschland,
voraussetzen, dass die Vereinbarung zunächst nach den Grundsätzen des
einschlägigen Verfassungsrechts in einfaches Gesetzesrecht transformiert
werden muss (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG -).
Andernfalls bleibt es bei der Letztverbindlichkeit des Abkommens in seiner
in diesem Sinne in nationales Recht umgesetzten Fassung. Diese Fassung
allein ist vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts
(Art. 20 Abs. 3 GG) für die Abkommensauslegung maßgeblich. Denn aus
innerstaatlicher Sicht handelt es sich bei der nicht transformierten
Verständigungsvereinbarung der beteiligten Finanzverwaltungen lediglich um
ein Verwaltungsabkommen und damit der Rechtsnatur nach um eine
Verwaltungsvorschrift, die nicht auf einer ihrerseits demokratisch
legitimierten Rechtsverordnung i.S. von Art. 80 Abs. 1 GG beruht und die
deswegen nicht geeignet ist, positives Recht in verbindlicher Weise zu
verändern. In Einklang mit diesen Vorgaben hat der Senat bereits durch seine
Urteile vom 1. Februar 1989 I R 74/86 (BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4) sowie
vom 10. Juli 1997 I R 4/96 (BFHE 181, 158, BStBl II 1997, 15) entschieden.
Der Streitfall gibt keine Veranlassung, davon abzurücken.
cc) Das schließt es nicht aus, die
Abkommenspraxis der Vertragsstaaten, wie sie in der
Verständigungsvereinbarung zum Ausdruck kommt, bei der Abkommensauslegung zu
berücksichtigen; es gilt der Grundsatz der Entscheidungsharmonie. In
Einklang damit stehen die Grundsätze zur Auslegung von Verträgen nach Art.
31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 -
WÜRV - (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit
Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3. August 1985 (BGBl II 1985, 926)
am 20. August 1987 (BGBl II 1987, 757): Ein Vertrag ist danach nach Treu und
Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner Bestimmung in ihrem
Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes
auszulegen. Außer dem bei der Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31
Abs. 2 WÜRV näher beschriebenen systematischen "Zusammenhang" sind nach Art.
31 Abs. 3 WÜRV in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede spätere
Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages
oder die Anwendung seiner Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der
Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien
über seine Auslegung hervorgeht. So gesehen kann ein übereinstimmendes
Abkommensverständnis und eine gemeinsame "Übung" der beteiligten
Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein (s. z.B.
Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BFHE 215, 237, sowie I R
18/04, BFH/NV 2007, 875, beide zu leitenden Angestellten als sog.
Grenzgänger i.S. von Art. 15 Abs. 4, Art. 15a DBA-Schweiz 1971), das aber
immer nur insofern, als sie nicht dem Wortlaut des Abkommens zuwiderläuft
(vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 I R 64/07, BFHE 222, 553, BStBl II
2009, 97). Abgesehen davon, dass das Wiener Übereinkommen (nach Art. 4 WÜRV)
nur auf Verträge Anwendung findet, die von Staaten geschlossen werden,
nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist - und damit, ohne
dass dem weiter nachzugehen wäre, nach Lage der Dinge nicht für das
DBA-Schweiz 1971 -, erzwingen auch diese Grundsätze eine Regelungsauslegung
also immer nur nach Maßgabe des Abkommenswortlauts; dieser stellt in
abschließender Weise die "Grenzmarke" für das "richtige"
Abkommensverständnis dar.
Daran scheitert die vom FA und vom BMF
verfochtene Auslegung im Streitfall: Der Abkommenstext ist aus Sicht des
erkennenden Senats aus den beschriebenen Gründen hinreichend eindeutig. Wenn
eine Staatenpraxis dennoch wechselseitig von der bisherigen
Abkommensauslegung abweicht, so wird dadurch nicht eine Auslegung, die
insbesondere auf dem Abkommenswortlaut gründet, bestätigt. Vielmehr läuft
dies auf eine - für den Steuerpflichtigen steuerverschärfende und damit
belastende - Abkommensänderung hinaus und ist es allein aus dem bilateralen
Bemühen zu erklären, etwaigen Nichtbesteuerungen der betreffenden
Abfindungen vorzubeugen. Die Umsetzung dieses Bemühens mag (unbeschadet des
Abkommensprinzips der nur virtuellen Doppelbesteuerung) gerechtfertigt und
vor allem in der abkommensrechtlich (in Art. 26 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz
1971) vereinbarten Bekundung angelegt sein, Schwierigkeiten oder Zweifel,
die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in
gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Sie kann vor dem Hintergrund des
Abkommenstextes indes aus deutscher Sicht nur gelingen, wenn die "spätere
Übung" oder "Übereinkunft" in positives und mit dem Abkommen gleichrangiges
Recht erhoben wird. Es gilt erneut der verfassungsrechtliche
Gesetzesvorbehalt. Auf der Basis einer bloßen Verwaltungsvereinbarung
gelingt das deswegen nicht (vgl. Senatsurteil in BFHE 157, 39, BStBl II
1990, 4; s. auch H. Loukota, Steuer und Wirtschaft International - SWI -
2000, 299, 304 ff.; s. auch abgrenzend Senatsurteile vom 4. Juni 2008 I R
62/06, BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793; vom 20. August 2008 I R 39/07,
BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234). Ob das - wie das BMF vorträgt - nach den
Verfassungsordnungen anderer Staaten abweichend gehandhabt werden kann und
wird (vgl. dazu, insbesondere in Bezug auf die Niederlande, Prokisch in
Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 15 Rz 17a f.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer,
a.a.O., Art. 15 MA Rz 144; s. auch aus österreichischer Sicht M.
Lang/Schuch, DBA-Österreich, Art. 21 Rz 13; H. Loukota, SWI 2000, 299; Kopf
in Festschrift Loukota, a.a.O., S. 253), ist insofern unbeachtlich.
dd) Ein anderes Ergebnis folgt weder aus
dem vom BMF herangezogenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu
den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vom 12. Juli 1994 2 BvE 3/92, 2 BvE
5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 (BVerfGE 90, 286) noch aus dem Urteil des
BVerfG vom 22. November 2001 2 BvE 6/99 (BVerfGE 104, 151, 209) zum
NATO-Strategiekonzept. Zwar hebt das BVerfG insbesondere in dem Urteil in
BVerfGE 90, 286 hervor, dass in der völkerrechtlichen Praxis "fließende
Übergänge zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung" bestehen (unter
III.3.a dd der Entscheidungsgründe). Es liege auch in der Hand der
Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung eine neue Praxis der
Vertragsanwendung begründen zu wollen, selbst dann, wenn diese Praxis -
entgegen der Auffassung der Vertragsparteien - über den Vertragsinhalt
hinausgehe; eines Zustimmungsvorbehalts des Gesetzgebers (nach Art. 59 Abs.
2 Satz 1 GG) bedürfe es in derartigen Situationen nicht (ebenda). Das BVerfG
stellt aber zugleich klar, dass der Vollzug solcher Vereinbarungen dann auf
jene Tätigkeiten beschränkt ist, die nicht dem Gesetzesvorbehalt
unterliegen. Ist das nicht der Fall - und der Senat nimmt dies unter den
Gegebenheiten des Streitfalls für den steuerrechtlich belastenden Zugriff
auf die in Rede stehende Abfindungszahlung aus den dargelegten Erwägungen an
- "besteht ein Handlungsverbot, solange nicht entweder das nationale
Zustimmungsgesetz den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder
das Parlament eine sonstige ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen
hat" (unter III.3.a ee der Entscheidungsgründe), woran es vorliegend jedoch
fehlt.
ee) Aus demselben Grund scheidet
schließlich die vom BMF angemahnte verfassungskonforme Auslegung des
Abkommens (nach Maßgabe des Leistungsfähigkeitsprinzips, Art. 3 Abs. 1 GG)
aus, um der Gefahr einer doppelten Nichtbesteuerung der Klägerin (und damit
sog. weißer Einkünfte) entgegenzutreten (s. dazu erneut auch Senatsurteile
in BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793, und in BFHE 222, 509, BStBl II 2009,
234).
3. Weitere Rechtsgrundlagen, welche ein
deutsches Besteuerungsrecht an der gezahlten Abfindung zu begründen
vermöchten, sind nicht ersichtlich. Eine solche ergibt sich namentlich nicht
aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1971. Danach kann die Bundesrepublik
Deutschland bei einer in der Schweiz ansässigen natürlichen Person, die
nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in der
Bundesrepublik Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt
steuerpflichtig gewesen ist, in dem Jahr, in dem die unbeschränkte
Steuerpflicht zuletzt geendet hat und in den folgenden fünf Jahren die aus
der Bundesrepublik Deutschland stammenden Einkünfte besteuern. Die
Bestimmungen des Satzes 1 gelten jedoch ausnahmsweise nicht, wenn die
natürliche Person in der Schweiz ansässig geworden ist, um dort eine echte
unselbständige Tätigkeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem sie über
das Arbeitsverhältnis hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch
Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert sei
(Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz 1971). In diesen Fällen verzichtet
Deutschland auf den ergänzenden Besteuerungsanspruch, da der Zuzug in die
Schweiz auf Gründen beruht, die eine "Steuerflucht" aus dem Inland nicht
vermuten lasse.
Die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 4
Satz 4 DBA-Schweiz 1971 erfordert, dass das Ansässigwerden in der Schweiz in
der Absicht erfolgt, um dort eine unselbständige Tätigkeit auszuüben. Dabei
muss diese Absicht nicht der alleinige Beweggrund für den Zuzug in die
Schweiz sein. Es ist denkbar, dass andere Beweggründe (u.U. sogar
vorrangiges) Motiv für den Umzug in die Schweiz waren, z.B. eine Heirat,
wenn nur die Absicht hinzu kommt, dort einer unselbständigen Arbeit
nachzugehen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die beabsichtigte
Arbeitsaufnahme schon konkrete Formen angenommen hat. Insbesondere müssen
weder der Arbeitgeber noch der Arbeitsplatz noch die Art der auszuübenden
Tätigkeit beim Zuzug in der Schweiz feststehen. Schließlich genügt es, wenn
beim Zuzug in die Schweiz die Absicht der Arbeitsaufnahme vorhanden gewesen
ist, selbst wenn diese Absicht dann später endgültig und auf Dauer
aufgegeben wird.
Im Streitfall hat das FG dazu festgestellt,
dass die Klägerin bereits im Dezember 2005 ihren Wohnsitz in die Schweiz
verlagert hat und der Zuzug in die Schweiz nicht erfolgt ist, um der
deutschen Steuer zu entgehen. Der Umzug habe vielmehr der Aufnahme einer
unselbständigen Tätigkeit in der Schweiz und zugleich auch der Begründung
eines gemeinsamen Hausstandes mit ihrem Schweizer Ehemann gedient, den sie
im Dezember 2005 geheiratet habe. Die Klägerin habe glaubwürdig dargestellt,
dass sie bereits ab Juli 2005 mit namentlich benannten Zuständigen eines
Schweizer Unternehmens über die Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit
verhandelt habe. Sie habe dann auch nach dem Scheitern dieser
Vertragsverhandlungen, die sie zunächst vereinbarungsgemäß exklusiv mit dem
Unternehmen geführt habe, tatsächlich eine nichtselbständige Tätigkeit in
der Schweiz im Dezember 2006 aufgenommen. Das genüge, um einen
"nachwirkenden" Besteuerungszugriff Deutschlands auszuschließen. Dieser tatrichterlich gestützten Subsumtion ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts entgegenzusetzen; sie sind damit für den erkennenden Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), so dass das FG-Urteil auch insofern zu bestätigen ist.
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