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BFH-Urteil vom 1.10.2009 (VI R 41/07) BStBl. 2010 II S. 487
Zuschüsse zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn
1.
Der ohnehin geschuldete Arbeitslohn i.S. des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG ist der
arbeitsrechtlich geschuldete.
2.
Ein Zuschuss zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn i.S. des § 40 Abs. 2
Satz 2 EStG kann auch unter Anrechnung auf andere freiwillige
Sonderzahlungen geleistet werden (entgegen R 3.33 Abs. 5 Satz 6 LStR 2009).
EStG § 40 Abs. 2 Satz 2, § 19 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1.
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 28. Juni 2007
VI 105/2006 (EFG 2007, 1687)
Sachverhalt
I.
Streitig ist im Rahmen der
Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids, ob die
Voraussetzungen einer Lohnsteuerpauschalierung für Fahrtkostenzuschüsse
erfüllt sind.
2
Eine bei der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) für den Zeitraum Dezember 1996 bis Dezember
2000 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung ergab, dass die Arbeitnehmer der
Klägerin unter der Bezeichnung "Fahrtkostenzuschuss" jährlich im November
Zahlungen erhalten hatten, welche die Klägerin der Lohnsteuerpauschalierung
nach § 40 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterworfen
hatte. Unter der Bezeichnung "Fahrtkostenzuschuss" wurde jeweils der nach
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG als Werbungskosten abzugsfähige
Betrag für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (Jahresbetrag)
errechnet, ausgezahlt und pauschal versteuert. Der Differenzbetrag zum
errechneten Weihnachtsgeld wurde mit der Bezeichnung "Weihnachtsgeld" nach
den persönlichen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer
versteuert. Arbeitnehmer mit höheren "Fahrtkostenzuschüssen" erhielten
weniger Weihnachtsgeld als Arbeitnehmer mit niedrigeren
"Fahrtkostenzuschüssen". Arbeitnehmern, die keine "Fahrtkostenzuschüsse"
erhalten konnten, wurde Weihnachtsgeld ausgezahlt.
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Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verneinte hinsichtlich der als
"Fahrtkostenzuschüsse" erbrachten Zahlungen die Voraussetzungen für eine
Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG, weil sie nicht
zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn, sondern unter Anrechnung
auf das freiwillig gezahlte Weihnachtsgeld erbracht worden seien. Eine
zusätzliche Zahlung liege auch dann nicht vor, wenn sie unter Anrechnung auf
eine freiwillige Sonderleistung, z.B. Weihnachtsgeld, erbracht werde. Es sei
unerheblich, ob die zusätzliche Leistung ihrerseits vom Arbeitgeber
geschuldet oder freiwillig gewährt werde.
4
Auf Grundlage dieser
Rechtsauffassung nahm das FA die Klägerin mit Bescheid vom 29. August 2001
in Höhe von 4.818 DM für Lohnsteuer in Haftung, soweit die Lohnsteuer auf
die Arbeitnehmer entfiel, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei der
Klägerin beschäftigt waren. Für die Lohnsteuer der übrigen, bei der Klägerin
noch beschäftigten Arbeitnehmer nahm das FA die Klägerin mit weiterem
Bescheid vom 29. August 2001 in Höhe von 8.210,71 DM in Haftung.
5
Auf Einspruch erließ das FA
am 9. Oktober 2001 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung
(AO) geänderten Haftungsbescheid und setzte die Haftsumme auf 7.706,40 DM
fest; mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag nahm es den Haftungsbescheid
vom 29. August 2001 um 2.887,86 DM zurück. Mit Bescheid vom 16. März 2006
nahm das FA den Haftungsbescheid vom 29. August 2001 betreffend den Zeitraum
2000 in Höhe von insgesamt 112 € aus anderen, nicht mehr streitigen Gründen
zurück. Schließlich wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006
die Einsprüche gegen die beiden Haftungsbescheide vom 29. August 2001 als
unbegründet zurück.
6
Das Finanzgericht (FG) wies
aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1687 veröffentlichten
Gründen die dagegen erhobene Klage ganz überwiegend ab, beurteilte
allerdings die im Einspruchsverfahren ergangenen Änderungsbescheide vom
9. Oktober 2001 und vom 16. März 2006 mangels hinreichender Bestimmtheit als
nach § 125 Abs. 1 i.V.m. § 119 Abs. 1 AO nichtig und verurteilte insoweit
das FA zur Änderung.
7
Mit der dagegen eingelegten
Revision rügt die Klägerin sinngemäß die unrichtige Anwendung des § 40
Abs. 2 Satz 2 EStG.
8
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG Nürnberg vom 28. Juni 2007 im angefochtenen
Umfang sowie die Haftungsbescheide vom 29. August 2001 und die
Einspruchsentscheidung vom 16. März 2006 im vollen Umfang aufzuheben.
9
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
10
Das FA hat mit neuem
Bescheid vom 18. Oktober 2007 den vom FG mangels Bestimmtheit als nichtig
angesehenen Änderungsbescheid zwischenzeitlich ersetzt.
Entscheidungsgründe
11
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Die Vorentscheidung wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO
-). Die bisherigen Feststellungen des FG gestatten keine Entscheidung
darüber, ob und inwieweit die von der Klägerin zu den Aufwendungen ihrer
Arbeitnehmer für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geleisteten
Zuschüsse mit dem Pauschsteuersatz von 15 % nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG zu
besteuern sind. Nach Maßgabe der Entscheidungsgründe sind die dazu
notwendigen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
12
1. Die Revision führt bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Denn
Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren die Haftungsbescheide
vom 29. August 2001 i.d.F. der Änderungsbescheide vom 9. Oktober 2006, an
deren Stelle während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom
18. Oktober 2007 getreten ist. Damit liegt dem Urteil insoweit ein nicht
mehr existierender Bescheid zu Grunde, so dass auch das Urteil des FG
insoweit keinen Bestand haben kann (§ 127 FGO; vgl. z.B. Senatsentscheidung
vom 20. Juli 2006 VI R 22/03, BFH/NV 2006, 2109).
13
2. Die Vorentscheidung ist auch deshalb
aufzuheben, weil das FG zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangte, dass der
Haftungstatbestand hinsichtlich der den Arbeitnehmern der Klägerin gewährten
Fahrtkostenzuschüsse erfüllt sei.
14
Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der
Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei
jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 EStG abzuführen hat. Allerdings tragen die Feststellungen des FG nicht
dessen Würdigung, dass die Klägerin - ohne Lohnsteuer einzubehalten -
Arbeitslohn gezahlt habe, indem sie Zuschüsse an ihre Arbeitnehmer erbracht
und diese nur der pauschalen Besteuerung des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG
unterworfen habe.
15
a) Nach § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG kann der
Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 15 % u.a. für
zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistete Zuschüsse zu den
Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte erheben, soweit diese Bezüge den Betrag nicht übersteigen, den
der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG als
Werbungskosten geltend machen könnte, wenn die Bezüge nicht pauschal
besteuert würden.
16
aa) Zusätzlich zum ohnehin geschuldeten
Arbeitslohn sind Zuschüsse i.S. des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG dann geleistet,
wenn sie zu den Lohnzahlungen hinzukommen, die arbeitsrechtlich geschuldet
sind, entweder durch Vereinbarung oder etwa durch eine dauernde Übung.
Zuschüsse i.S. des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG liegen also auch dann vor, wenn
sie statt anderer, freiwillig geleisteter Bezüge und Vorteile i.S. des § 19
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erbracht werden.
17
bb) Der Senat hält an seiner schon in
früheren Entscheidungen getroffenen Differenzierung fest, dass das
Tatbestandsmerkmal "ohnehin geschuldeter Arbeitslohn" dahingehend zu
verstehen ist, dass es sich um Arbeitslohn handeln muss, auf den zumindest
im Zeitpunkt der Zahlung ein verbindlicher Rechtsanspruch besteht
(Senatsurteile vom 15. Mai 1998 VI R 127/97, BFHE 186, 224, BStBl II 1998,
518, steuerfreier Zinszuschuss; vom 31. Oktober 1986 VI R 52/81, BFHE 148,
54, BStBl II 1987, 139; vom 12. März 1993 VI R 71/92, BFHE 171, 67, BStBl II
1993, 521, steuerfreie Jubiläumszuwendung). Auch im Fall einer Umwandlung
von Barlohn in Form von Urlaubsgeld in Sachlohn in Form eines
Warengutscheins war auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Anspruchs zu
differenzieren, nämlich ob zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer über
seinen Lohnanspruch verfügte, ein Anspruch auf Barlohn oder ein solcher auf
Sachlohn bestand (Senatsurteil vom 6. März 2008 VI R 6/05, BFHE 220, 478,
BStBl II 2008, 530).
18
cc) § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG schließt eine
Entgelt- oder Barlohnumwandlung aus. Dies gilt allerdings nur für solchen
Lohn, der ohnehin "geschuldet" wird. Freiwillige Lohnzahlungen lassen sich
dagegen unter den weiteren Voraussetzungen und Grenzen des § 40 Abs. 2
Satz 2 EStG als nicht "geschuldeter" Arbeitslohn in pauschbesteuerte
Zuschüsse umwandeln. Nach der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur
Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (BTDrucks
12/5764, S. 22) sollte die Änderung des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG klarstellen,
dass die Möglichkeit der Lohnsteuerpauschalierung nur für zusätzliche
Fahrtkostenzuschüsse des Arbeitgebers gelte und die Umwandlung von
Arbeitslohn in pauschal besteuerbare Leistungen damit ausgeschlossen werde.
Wenn das Gesetz zu diesem Zweck das Tatbestandsmerkmal des "ohnehin
geschuldeten" Arbeitslohns verwendet, greift es auf anerkannte zivil- und
arbeitsrechtliche Grundsätze zurück und gibt § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG ein
hinreichend sicher feststellbares Abgrenzungsmerkmal. Entscheidend ist
deshalb nicht der hypothetische Umstand, ob der Arbeitgeber ansonsten die
Leistung erbracht hätte, sondern, ob er sie als "geschuldet" hätte erbringen
müssen.
19
dd) Der Senat folgt damit nicht der im
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 1994 (BStBl I
1994, 925) niedergelegten, in den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) seit 1996
(Abschn. 21c Abs. 2 Satz 6 LStR 1996; R 3.33 Abs. 5 Satz 6 LStR 2009)
aufgenommenen und letztlich auch vom FG vertretenen Auffassung, dass die
Umwandlung einer freiwilligen Sonderleistung ohne Zweckbindung in eine
freiwillige Sonderleistung mit Zweckbindung nicht zur Steuerfreiheit der
Zuwendung führe und eine zusätzliche Leistung auch dann nicht vorliege, wenn
sie unter Anrechnung auf eine freiwillige Sonderzahlung, z.B.
Weihnachtsgeld, erbracht werde.
20
b) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG
im Streitfall auf Grundlage seiner Feststellungen zu Unrecht entschieden,
dass die von der Klägerin ausbezahlten Zuschüsse nicht zusätzlich zu dem
ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet worden seien. Das FG hatte - auf
Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht - keine Feststellungen dazu
getroffen, ob das Weihnachtsgeld jeweils freiwillig gezahlt worden war, ohne
dass ein Rechtsanspruch darauf bestanden hätte. Der Umstand, dass die
Lohnsteuer-Außenprüfung von der Freiwilligkeit der Weihnachtsgeldzahlung
ausgegangen war und auch die Klägerin dies unwidersprochen vorgetragen
hatte, ersetzt keine diesbezüglichen Feststellungen. Der erkennende Senat
kann damit nicht selbst in der Sache entscheiden.
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Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang
Feststellungen zu treffen haben, ob und inwieweit die von der Klägerin als
Weihnachtsgeld erbrachten Sonderzahlungen arbeitsrechtlich geschuldet oder
freiwillig waren, um entscheiden zu können, ob die streitigen Zuschüsse zum
"ohnehin geschuldeten" Arbeitslohn geleistet worden waren.
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Soweit sich im zweiten Rechtsgang erweisen
wird, dass Arbeitnehmer der Klägerin keinen Anspruch auf die
Weihnachtsgeldzahlung haben, liegt kein ohnehin geschuldeter Arbeitslohn
vor. Die streitigen Zuschüsse der Klägerin wären damit in diesem Umfang
zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet (§ 40 Abs. 2
Satz 2 EStG) und die Lohnsteuer dafür auf Antrag der Klägerin mit dem
Pauschsteuersatz zu erheben.
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