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BFH-Urteil vom 23.4.2009 (V R 84/07) BStBl. 2010 II S. 509
1.
Die Anforderungen an den nach § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV
beizubringenden Belegnachweis können nicht durch die Finanzverwaltung um
weitere Voraussetzungen, wie z.B. das Erfordernis, die Bevollmächtigung
eines für den Abnehmer handelnden Beauftragten belegmäßig nachzuweisen,
verschärft werden.
2.
Der vom Unternehmer beigebrachte Belegnachweis unterliegt der Nachprüfung
durch die Finanzverwaltung. Im Rahmen dieser Prüfung ist nach den
allgemeinen Beweisregeln und -grundsätzen zu entscheiden, ob eine vom
Vertreter des Abnehmers behauptete Bevollmächtigung besteht. Dabei bestimmt
sich die Person des Abnehmers einer Ausfuhrlieferung nach dem der
Ausfuhrlieferung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.
UStG 1993 § 6; Richtlinie 77/388/EWG
Art. 15 Nr. 2.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom
28. September 2006 16 K 541/03 (EFG 2008, 1240)
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, betreibt ein Juweliergeschäft. In den
Streitjahren 1996 und 1998 erwarb K von der Klägerin Armbanduhren im
erheblichen Umfang und gab dabei an, als Stellvertreter für den im
Drittlandsgebiet ansässigen F zu handeln. Die Klägerin hatte zu F keinen
unmittelbaren Kontakt. Der Klägerin lag auch keine für K erteilte Vollmacht
vor. Sie erstellte über die von ihr gelieferten Uhren Ausfuhr- und
Abnehmerbescheinigungen für Umsatzsteuerzwecke bei Ausfuhren im
außergemeinschaftlichen Reiseverkehr gemäß § 17 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV), nach denen F der Abnehmer der
Lieferungen war. F führte die Uhren nach Erhalt von K teils über den
Flughafen Paris-Charles de Gaulle, teils über die Hauptzollämter Krefeld und
Düsseldorf aus, wobei die Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigungen vom
französischen oder vom deutschen Zoll abgestempelt wurden. Bei der jeweils
nächsten Einreise "nach Europa" gab F Uhren und Ausfuhrpapiere an K zurück.
K veräußerte die Uhren auf Uhrenbörsen und händigte die
Ausfuhrbescheinigungen an die Klägerin aus. Die Klägerin behandelte die
Umsätze zunächst als steuerpflichtig und behielt die Umsatzsteuer ein. Nach
Aushändigung der jeweiligen Ausfuhrbescheinigung erstattete sie die
Umsatzsteuer an K und machte für die Umsätze in ihren
Umsatzsteuererklärungen die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen geltend.
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ging im Anschluss an ein
steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen K davon aus, dass die
Klägerin keine steuerfreien Ausfuhrlieferungen erbracht habe, und änderte
die für die Streitjahre bestehenden Umsatzsteuerfestsetzungen durch die
Bescheide vom 21. Februar 2002. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage statt, da die Ausfuhrlieferungen steuerfrei seien. Aus den
Ausfuhrbescheinigungen ergebe sich unstreitig, dass F als Abnehmer die von
der Klägerin erworbenen Uhren in das Drittlandsgebiet befördert habe. Bei F
handele es sich um einen ausländischen Abnehmer, dessen Wohnsitz sich nach
den Angaben in seinem Reisepass im Drittlandsgebiet befunden habe.
Das Urteil des FG ist in
"Entscheidungen der Finanzgerichte" 2008, 1240 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das
FA Verletzung materiellen Rechts. Der Unternehmer müsse nach § 6 Abs. 4 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) nachweisen, dass es sich um einen
"außengebietlichen" Abnehmer handele. Dabei komme es auf die allgemeinen
Beweisregeln und -grundsätze an. Der Beweis könne z.B. dadurch geführt
werden, dass eine Kopie des Reisepasses zu den Büchern genommen werde. Die
für die Beurteilung des Wohnorts maßgeblichen Umstände könnten auch auf der
Rechnungsdurchschrift vermerkt werden. Der Abnehmer könne den Gegenstand
durch einen Beauftragten abholen lassen. Dabei könne es sich auch um einen
inländischen Beauftragten handeln. Es müsse aber zweifelsfrei feststehen,
wer das Wirtschaftsgut ins Ausland überführt habe. Der Klägerin hätten weder
Personaldokumente des K noch solche des F und auch keine von F erteilte
Vollmacht vorgelegen. Die Klägerin habe nur über vom Zoll abgestempelte
Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigungen verfügt. Aus diesen ergebe sich nur,
dass die Uhren in das Ausland gelangt seien und der Zollbehörde
Grenzübertrittspapiere des F vorlagen. Demgegenüber könne der Nachweis, dass
es sich bei F um einen "außengebietlichen" Abnehmer handele, nur durch den
Ausfuhrbeleg mit einer Abschrift oder Kopie des Reisepasses etc. geführt
werden. Auch die Bevollmächtigung sei schriftlich nachzuweisen.
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Könnten entsprechend der
Rechtsauffassung des FA die für den Wohnort maßgeblichen Umstände auf der
Rechnungsdurchschrift vermerkt werden, sei es ausreichend, wenn sich diese
Angaben, wie im Streitfall, aus den Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigungen
ergeben. Diese belegten, dass die Ausfuhr jeweils durch F erfolgt sei. Eine
Bevollmächtigung müsse nicht in Form von Urkunden oder Dokumenten vorliegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist im Ergebnis
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Feststellungen des FG erlauben keine
abschließende Entscheidung darüber, ob die Lieferungen der Klägerin als
Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG steuerfrei sind.
1. Ausfuhrlieferungen sind nach § 4 Nr. 1
Buchst. a i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStG steuerfrei.
a) Die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung
nach § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStG setzt
voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung
in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG, befördert
oder versendet hat. Erfolgt die Beförderung oder Versendung durch den
Abnehmer, ist die Lieferung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 UStG
nur steuerfrei, wenn der Abnehmer seinen Wohnort oder Sitz im Ausland hat
und daher ausländischer Abnehmer ist. Gemeinschaftsrechtlich beruht diese
Regelung auf Art. 15 Nr. 1 und Nr. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Steuerfrei sind
danach die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder für
dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder
befördert werden und die Lieferungen von Gegenständen, die durch den nicht
im Inland ansässigen Abnehmer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb
der Gemeinschaft versandt oder befördert werden.
b) Der Unternehmer muss nach § 6 Abs. 4
UStG die Voraussetzungen der steuerfreien Ausfuhrlieferung nachweisen, wobei
das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des Bundesrats durch
Rechtsverordnung bestimmen kann, wie der Nachweis zu führen ist. Nach
§ 8 ff. UStDV hat der Unternehmer einen Ausfuhrnachweis durch Belege zu
erbringen sowie nach § 13 UStDV buchmäßige Aufzeichnungen zu führen. Der
Unternehmer muss insbesondere nach § 8 Abs. 1 UStDV durch Belege nachweisen,
dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das
Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat. Im Fall der Beförderung durch
den Unternehmer oder den Abnehmer muss der Ausfuhrbeleg nach § 9 Abs. 1
UStDV Name und Anschrift des Abnehmers, die handelsübliche Bezeichnung und
Menge des ausgeführten Gegenstands, den Ort und den Tag der Ausfuhr und eine
Ausfuhrbestätigung der Grenzzollstelle enthalten. Nach § 17 UStDV sind im
nichtkommerziellen Reiseverkehr zusätzliche Angaben zu Namen und Anschrift
des Abnehmers und eine Bestätigung der Grenzzollstelle, dass die Angaben zu
Namen und Anschrift des Abnehmers mit dem vom Beförderer vorgelegten Pass
oder Grenzübertrittpapier übereinstimmen, erforderlich.
Die beleg- und buchmäßigen
Nachweispflichten beruhen gemeinschaftsrechtlich auf Art. 15 Nr. 1 und Nr. 2
der Richtlinie 77/388/EWG, wonach die Mitgliedstaaten Ausfuhrlieferungen
"unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und
einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen
festsetzen", von der Steuer befreien (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 31. Juli 2008 V R 21/06, BFHE 222, 143, BFH/NV 2009, 95, unter II.
2. a).
c) Liegen die Voraussetzungen des § 6
Abs. 1 Satz 1 UStG vor und hat der Steuerpflichtige den Buch- und
Belegnachweis erbracht, ist für die Steuerbefreiung der Lieferung
grundsätzlich unerheblich, ob nach der Beförderung in das Drittlandsgebiet
aufgrund der Rückbeförderung in das Gemeinschaftsgebiet Einfuhrumsatzsteuer
zu erheben war und ob die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit der
Einfuhr nach § 12 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung vorlagen.
2. Das Urteil des FG verletzt § 6 UStG und
war daher aufzuheben. Zwar hat die Klägerin den Beleg- und Buchnachweis
erbracht, wie das FG zutreffend entschieden hat. Nicht hinreichend
berücksichtigt hat das FG demgegenüber den nur vorläufigen Nachweischarakter
der Beleg- und Buchangaben. Sein Urteil war daher aufzuheben.
a) Nach den Beleg- und Buchangaben der
Klägerin war F der Abnehmer der Lieferungen. Die Klägerin hat nach den
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) den Namen und die Anschrift des im
Ausland ansässigen F, der die Gegenstände in das Drittlandsgebiet
beförderte, als Abnehmer aufgezeichnet (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 UStDV). Weiter
enthielten auch die Ausfuhrbelege (§ 17 UStDV) den Namen und die Anschrift
des F als Abnehmer.
Die Klägerin hat damit nach den
Feststellungen des FG die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG
hinsichtlich der Person des Abnehmers F beleg- und buchmäßig nach § 6 Abs. 4
UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV nachgewiesen.
b) Entgegen der Auffassung des FA sind
weitergehende belegmäßige Nachweise zur ausländischen Ansässigkeit des
Abnehmers oder zum Abschluss der den Lieferungen zugrunde liegenden
Kaufverträge durch einen Bevollmächtigten im Rahmen der Nachweispflichten
gemäß § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV nicht zu erbringen. Denn der
Unternehmer muss seine steuerlichen Verpflichtungen im Voraus kennen (Urteil
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 27. September
2007 C-409/04, Teleos, Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25 Rz 48).
Die Finanzverwaltung darf daher die Anforderungen in §§ 8 ff. UStDV nicht um
weitere Voraussetzungen wie z.B. das Erfordernis, die Bevollmächtigung eines
für den Abnehmer handelnden Beauftragten belegmäßig nachzuweisen, erweitern.
Dementsprechend kann deshalb die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht
allein unter Hinweis auf das Fehlen von anderen als den in den §§ 8 ff.
UStDV aufgeführten Nachweisen versagt werden.
c) Der Steuerpflichtige ist zwar aufgrund
eines vollständigen Beleg- und Buchnachweises berechtigt, die Lieferung als
steuerfrei zu behandeln. Die aufgrund des Beleg- und Buchnachweises
vorliegenden Angaben unterliegen jedoch der Nachprüfung durch die
Finanzverwaltung (BFH-Urteile in BFHE 222, 143, unter II. 2. b; vom
14. Dezember 1994 XI R 70/93, BFHE 176, 494, BStBl II 1995, 515, unter II.
2.). Ergibt sich bei einer Überprüfung der Buch- und Belegangaben nach den
allgemeinen Beweisregeln und -grundsätzen deren Unrichtigkeit, ist die
Ausfuhrlieferung trotz eines formal geführten Nachweises vorbehaltlich
besonderer Umstände grundsätzlich steuerpflichtig.
d) Im Streitfall bestehen hinsichtlich der
Person des Abnehmers erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der
Nachweisangaben. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen.
Nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) holte K die Waren bei der Klägerin
als "Beauftragter" des "Abnehmers" F ab, der in der Elfenbeinküste und
später in Benin ansässig war, übergab sie F, der sie zunächst in das
Drittlandsgebiet beförderte, dann aber nach "Europa" und damit wohl in das
Gemeinschaftsgebiet zurückbeförderte und sie an K zurückgab, der sie
schließlich veräußerte. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist
fraglich, ob das der Lieferung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, nach dem
sich die Person des Leistungsempfängers und damit die Person des Abnehmers
bestimmt (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Februar 2004 V B 180/03, BFH/NV 2004,
988, unter II. 2 b zur innergemeinschaftlichen Lieferung), entsprechend den
Beleg- und Buchangaben der Klägerin zu dem ihr nicht näher bekannten F oder
zu dem gegenüber der Klägerin unmittelbar handelnden K bestand, der die
Waren nach ihrer Rückbeförderung in die Gemeinschaft unter Umständen auf
eigene Rechnung veräußerte, während F ggf. nur als Gehilfe des K für die
Beförderung in das Drittlandsgebiet und die Rückbeförderung in das
Gemeinschaftsgebiet zu sorgen hatte. Ist Abnehmer der Lieferungen der ggf.
im Inland ansässige K, liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 UStG
nicht vor.
3. Sollte das FG im zweiten Rechtsgang
feststellen, dass K und nicht F Abnehmer der Lieferungen war, ist nicht im
Steuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden, ob eine Steuerfreiheit aufgrund
unrichtiger Abnehmerangaben in Betracht kommt, da die Beurteilung über die
für den Unternehmer nicht erkennbare Unrichtigkeit von Abnehmerangaben nach
der Rechtsprechung des Senats bei Ausfuhrlieferungen im Billigkeitsverfahren
nach § 163 der Abgabenordnung zu erfolgen hat (BFH-Urteil vom 30. Juli 2008
V R 7/03, BFH/NV 2009, 438, unter II. 5.).
In einem etwaigen Billigkeitsverfahren
werden die vom EuGH entwickelten Grundsätze zum Vertrauensschutz zu
berücksichtigen sein (EuGH-Urteile vom 21. Februar 2008 Rs. C-271/06, Netto
Supermarkt, BFH/NV Beilage 2008, 199; Teleos in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV
2008, 25).
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