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BFH-Urteil vom 14.1.2010 (IV R 33/07) BStBl. 2010 II S. 586
Voraussetzungen der Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids
nach § 174 Abs. 3 AO - Einbringung von Grundstücken des Betriebsvermögens in
eine vermeintlich gewerblich geprägte GmbH & Co. GbR
1.
Unter einem "bestimmten Sachverhalt" i.S. von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO ist der
einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen
knüpft; darunter fällt nicht nur die einzelne steuererhebliche Tatsache oder
das einzelne Merkmal, sondern auch der einheitliche, für die Besteuerung
maßgebliche Sachverhaltskomplex.
2.
Ging das FA anlässlich der Beendigung der betrieblichen Nutzung eines vom
Kommanditisten einer KG überlassenen Grundstücks und dessen Übertragung auf
eine GmbH & Co. GbR - nach späterer Erkenntnis rechtsirrig - davon aus, dass
die Besteuerung stiller Reserven zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könne,
so scheidet die Änderung eines gegenüber der KG ergangenen bestandskräftigen
Feststellungsbescheids nach § 174 Abs. 3 AO aus. Die Umstände, die zu einer
späteren Aufdeckung stiller Reserven hätten führen können, sind unbestimmt
und gehören nicht zu dem Sachverhalt, der rechtsirrtümlich nicht als
Entnahme aus dem Sonderbetriebsvermögen des Kommanditisten gewürdigt worden
ist.
AO § 174 Abs. 3, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3.
Vorinstanz: FG Münster vom 10. Mai 2007
6 K 2818/03 F (EFG 2007, 1478)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, betreibt ein
Energieversorgungstechnikunternehmen. Kommanditistin der Klägerin und
Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH ist Frau G. G ist zugleich
Eigentümerin der Grundstücke an der O-Straße in L. Auf diesen Grundstücken
betrieb die Klägerin bis zum Ende des Streitjahres (1995) ihre Geschäfte; ab
Mai 1995 zog die Klägerin in ihr neu errichtetes Betriebsgebäude in L,
Z-Straße, dessen Eigentümerin sie ist. Bis zum 31. Dezember 1995 behandelte
die Klägerin die Grundstücke der G als deren Sonderbetriebsvermögen.
2
Zu jener Zeit nahm die
steuerliche Beraterin der Klägerin, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
(W), in einem Kurzgutachten dazu Stellung, wie bei der Betriebsverlegung der
Klägerin die Aufdeckung stiller Reserven vermieden werden könne. W empfahl,
die Grundstücke O-Straße in ein anderes Betriebsvermögen zu übertragen.
Hierzu sollte eine gewerblich geprägte Personengesellschaft in der
Rechtsform einer GmbH & Co. GbR (mbH) gegründet werden.
3
Mit Schreiben vom
14. September 1994 bat die Klägerin den Beklagten und Revisionskläger
(Finanzamt - FA -) um eine verbindliche Auskunft u.a. zu der Frage, wie die
von W vorgeschlagene Gestaltung steuerlich zu würdigen sei. Mit Verfügung
vom 17. November 1995 führte das FA u.a. aus:
4
"Die Realisierung stiller
Reserven kann nur dann vermieden werden, wenn das Grundstück weiter in einem
Betriebsvermögen verbleibt, wobei die Entnahme aus dem einen durch die
Einlage in ein anderes Betriebsvermögen möglich ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5
Einkommensteuergesetz). Durch die Neugründung der gewerblich geprägten
Personengesellschaft GmbH & Co. GbR kann ein anderes Betriebsvermögen
begründet werden. Die Einlage des Betriebsgrundstückes ist mit dem Teilwert
für den Zeitpunkt der Zuführung anzusetzen; sie ist jedoch höchstens mit dem
Entnahmewert anzusetzen, da das zugeführte Wirtschaftsgut innerhalb der
letzten drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Zuführung aus einem
Betriebsvermögen entnommen worden ist."
5
Mit notariellem Vertrag vom
20. Dezember 1995 wurde die "G Geschäftsführung GmbH und G Gesellschaft
bürgerlichen Rechts mit Haftungsbeschränkung wie eine GmbH & Co. KG" (A)
gegründet. Die "G Geschäftsführung GmbH" (B) und G sind Gesellschafterinnen
der A, wobei G zu 100 % am Gesellschaftsvermögen der A beteiligt ist. G ist
zugleich Geschäftsführerin der B, die allein zur Vertretung der A berechtigt
ist. Die Grundstücke O-Straße wurden zum 1. Januar 1996 zu Buchwerten in die
A eingebracht.
6
Nachdem die Klägerin am
9. Dezember 1996 eine Feststellungserklärung für das Jahr 1995 eingereicht
hatte, stellte das FA mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem
Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen 1995 vom 11. Februar 1997 die Einkünfte der Klägerin
aus Gewerbebetrieb in Höhe von 661.595 DM fest. Der nach einer Außenprüfung
ergangene Änderungsbescheid vom 27. April 1999 stellte unter Aufhebung des
Vorbehalts der Nachprüfung die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 714.594 DM
fest.
7
Die A wurde vom FA ab
1. Januar 1996 als gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S. des § 15
Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) behandelt.
Feststellungsbeteiligte waren G und B. Für die Jahre 1996 bis 1999 reichte
die A jeweils eine Feststellungs-, eine Gewerbesteuer- und eine
Umsatzsteuererklärung ein. Das FA führte erklärungsgemäß entsprechende
Feststellungen und Steuerfestsetzungen durch.
8
Mit Schreiben vom 18. Juli
2000 IV C 2 -S 2241- 56/00 (BStBl I 2000, 1198) nahm das Bundesministerium
der Finanzen (BMF) Stellung zu den ertragssteuerlichen Auswirkungen des
Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. September 1999 II ZR 371/98
(BGHZ 142, 315), nach dem für die im Namen einer GbR begründeten
Verpflichtungen die Gesellschafter kraft Gesetzes auch persönlich haften und
diese Haftung nicht durch einen Namenszusatz oder einen anderen, den Willen,
nur beschränkt für diese Verpflichtungen einzustehen, verdeutlichenden
Hinweis beschränkt werden, sondern nur durch eine individualvertragliche
Vereinbarung ausgeschlossen werden kann. Das BMF führte u.a. aus, in Fällen,
in denen in der Vergangenheit - beispielsweise bei einer GmbH & Co. GbR -
auf Grund der bisherigen BGH-Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche Abrede
der Parteien eine Haftungsbeschränkung angenommen worden sei, also
steuerlich vom Vorliegen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft
i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ausgegangen worden sei, erweise sich diese
Annahme rückwirkend als unrichtig. Die betreffende GbR habe von Anfang an
kein Betriebsvermögen gehabt, sondern es habe von Anfang an Privatvermögen
vorgelegen. Werde die GbR gemäß den Regelungen des
Handelsrechtsreformgesetzes 1999 (BGBl I 1998, 1474) bis zum 31. Dezember
2000 in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, so könne die Gesellschaft aus
Vertrauensschutzgründen bis zum 31. Dezember 2000 beantragen, das Vermögen
der Personengesellschaft weiterhin als Betriebsvermögen zu behandeln. In
seinem Schreiben vom 28. August 2001 IV A 6 -S 2240- 49/01 (BStBl I 2001,
614) nahm das BMF zur Behandlung der Fälle Stellung, in denen ein solcher
Antrag nicht gestellt worden war. Unter Ziff. 1. dieses Schreibens führte
das BMF aus:
9
"Stille Reserven, die auf
eine GbR übergegangen sind, die bisher irrigerweise als gewerblich angesehen
worden ist, sind auch in den Fällen noch zu besteuern, in denen die
entsprechenden Bescheide bereits bestandskräftig sind. Eine Änderung dieser
Bescheide ist auf § 174 Abs. 3 AO zu stützen. Diese Vorschrift soll
verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder Vorgang bei der
Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird (negativer Widerstreit).
10
Vor dem Ergehen des
BGH-Urteils vom 27. September 1999 ... haben die Finanzämter aufgrund der
bisherigen Rechtsauffassung (H 138 Abs. 6 EStH 1999) auf die Besteuerung von
Entnahme- und Veräußerungsgewinnen sowie auf die gewinnerhöhende Auflösung
von Rücklagen nach §§ 6b, 6c EStG erkennbar in der Annahme verzichtet, die
stillen Reserven seien in späteren Veranlagungszeiträumen steuerwirksam zu
erfassen. Diese Annahme hat sich nachträglich als unzutreffend erwiesen.
Wird die Vertrauensschutzregelung ... nicht in Anspruch genommen, sind
bestandskräftige Bescheide insoweit nach § 174 Abs. 3 AO zu ändern. Die
Festsetzungsfrist ist aufgrund der Sonderregelung in § 174 Abs. 3 Satz 2 AO
noch nicht abgelaufen."
11
Weiter vertrat das BMF u.a.
die Ansicht, dass unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und
Glauben § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) einer
Bescheidänderung nicht entgegen stehe. Aufgrund der Anwendbarkeit des § 174
Abs. 3 AO würden jedoch aus Vertrauensschutzgründen die im BMF-Schreiben in
BStBl I 2000, 1198 eingeräumten Fristen, das Vermögen der
Personengesellschaft auf Antrag der Gesellschaft weiterhin als
Betriebsvermögen zu behandeln sowie die betreffende GbR nach den Regelungen
des Handelsrechtsreformgesetzes in eine GmbH & Co. KG umzuwandeln, bis zum
31. Dezember 2001 verlängert.
12
Dem folgend stellte das FA
nach Anhörung mit nach § 174 AO geändertem Feststellungsbescheid 1995 vom
20. Dezember 2002 Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von
1.638.398,69 DM fest, wobei G zusätzlich Sonderbetriebseinnahmen in Höhe von
923.804,69 DM zugerechnet wurden. In den Erläuterungen zum Bescheid führte
das FA aus:
13
"Die Berichtigung war
erforderlich, da das bisher im Sonderbetriebsvermögen der Frau G stehende
Grundvermögen nach den Erlassen des BMF vom 18. Juli 2000 und vom 28. August
2001 nicht in eine GbR mit beschränkter Haftung eingebracht werden kann, um
die Eigenschaft als Betriebsvermögen zu erhalten. Der Teilwert wurde mangels
eingereichter Gutachten mit 1.000.000,00 DM geschätzt. Dieser Teilwert wurde
(gemindert) um die Buchwerte zum 31. Dezember 1995 als laufender Gewinn der
Besteuerung unterworfen."
14
Der hiergegen gerichtete
Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
15
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1478
veröffentlichten Gründen statt.
16
Es führte im Wesentlichen
aus, das FA habe aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung
angenommen, dass die streitbefangenen Grundstücke noch steuerverstrickt und
deshalb bei deren Entnahme aus der KG und Einlage in die A die stillen
Reserven nicht aufzulösen seien. Die jeder Verstrickung immanente Annahme,
dass stille Reserven früher oder später realisiert werden, reiche für die
nach § 174 Abs. 3 AO erforderliche Annahme einer Berücksichtigung in einem
anderen Steuerbescheid nicht aus. Der andere Steuerbescheid sei in diesem
Fall nicht hinreichend bestimmbar, weil die Entstrickung und ihr Anlass
völlig offen seien.
17
Mit seiner Revision rügt das
FA die Verletzung materiellen Rechts.
18
Es beantragt, das
vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
19
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
20
Die Revision des FA ist unbegründet und
nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist
zu Recht davon ausgegangen, dass das FA den - bestandskräftigen -
Feststellungsbescheid 1995 vom 27. April 1999 nicht mehr durch den
angefochtenen Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2002 zuungunsten der
Klägerin ändern durfte.
21
1. Die Voraussetzungen einer Änderung nach
§ 174 Abs. 3 AO liegen nicht vor.
22
a) Ist ein bestimmter Sachverhalt in einem
Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden, dass er
in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und stellt sich
diese Annahme als unrichtig heraus, so kann gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 AO die
Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts
unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden. Die
für Feststellungsbescheide gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß geltende
Vorschrift soll verhindern, dass ein steuererhöhender oder steuermindernder
Vorgang bei der Besteuerung überhaupt nicht berücksichtigt wird (z.B. Urteil
des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Januar 2009 III R 81/07, BFH/NV 2009,
1073; Senatsurteil vom 27. Mai 1993 IV R 65/91, BFHE 172, 5, BStBl II 1994,
76), und erfordert deshalb einen "negativen Widerstreit". Dieser liegt vor,
wenn ein bestimmter Sachverhalt in keinem von mehreren in Betracht zu
ziehenden Steuerbescheiden (Feststellungsbescheiden) berücksichtigt worden
ist, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. Mai 2001 VIII R 19/00, BFHE 195, 23, BStBl II
2001, 743, und VIII R 20/00, BFH/NV 2001, 1372, jeweils m.w.N.).
23
aa) § 174 Abs. 3 AO setzt eine alternative
Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts in dem einen oder dem anderen
Steuerbescheid (Feststellungsbescheid) voraus (Senatsurteile vom 15. Februar
2001 IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007, und vom 8. März 2007 IV R 41/05, BFH/NV
2007, 1813; vgl. auch Senatsbeschluss vom 18. August 2005 IV B 167/04, BFHE
210, 210, BStBl II 2006, 158). Der Sachverhalt muss identisch sein (vgl.
Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1813; Senatsbeschluss vom 3. September 1997
IV B 166/96, BFH/NV 1998, 148). Das Tatbestandsmerkmal des bestimmten
Sachverhalts ist in § 174 AO einheitlich auszulegen (vgl. z.B. von Groll in
Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 174 AO Rz 171; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl.,
§ 174 Rz 18 und 40a; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 5, 29 und 39); deshalb können für § 174
Abs. 3 Satz 1 AO auch die für § 174 Abs. 4 Satz 1 AO in ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätze
herangezogen werden. Danach ist unter einem bestimmten Sachverhalt der
einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen
knüpft; darunter fällt nicht nur die einzelne steuererhebliche Tatsache oder
das einzelne Merkmal, sondern auch der einheitliche, für die Besteuerung
maßgebliche Sachverhaltskomplex (z.B. Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1813;
BFH-Urteil vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602;
Klein/Rüsken, a.a.O., § 174 Rz 18, jeweils m.w.N.). Es muss sich um
denselben Lebensvorgang handeln, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft
(Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1813). Für die Anwendung des § 174 Abs. 3 AO
ist entscheidend, dass aus demselben - unveränderten und nicht durch weitere
Tatsachen ergänzten - Sachverhalt steuerliche Folgerungen in einem anderen
Steuerbescheid hätten gezogen werden sollen.
24
bb) Die (erkennbare) Annahme, dass ein
bestimmter Sachverhalt in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen
sei, muss - in sinnvoller Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 174
Abs. 3 AO - für dessen Nichtberücksichtigung kausal geworden sein (z.B.
BFH-Urteile in BFHE 195, 23, BStBl II 2001, 743, und in BFH/NV 2001, 1372,
jeweils m.w.N.; Klein/Rüsken, a.a.O., § 174 Rz 40a). Dabei ist jedoch
unerheblich, ob diese Annahme auf einer sachlichen oder auf einer
rechtlichen Fehlbeurteilung beruht (z.B. Senatsurteile in BFHE 172, 5, BStBl
II 1994, 76, und vom 23. Mai 1996 IV R 49/95, BFH/NV 1997, 89). An der
erforderlichen Ursächlichkeit der Annahme für die Nichtberücksichtigung
fehlt es nur, wenn die Behörde von diesem Sachverhalt gar keine Kenntnis
hatte oder rechtsirrtümlich annahm, dieser Sachverhalt sei - jetzt und auch
später - ohne steuerrechtliche Bedeutung (z.B. BFH-Urteile in BFHE 195, 23,
BStBl II 2001, 743, und in BFH/NV 2001, 1372; BFH-Beschluss vom 9. August
2007 I B 15/07, juris).
25
b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen
sind im Streitfall die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO nicht gegeben.
26
aa) Die Anwendung des § 174 Abs. 3 AO kommt
bereits deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei dem Geschehen im
Zusammenhang mit der Aufgabe der betrieblichen Nutzung der im Eigentum der G
befindlichen, bis einschließlich des Streitjahrs als Sonderbetriebsvermögen
der G behandelten Grundstücke und deren Einbringung in das Betriebsvermögen
der zu jener Zeit vermeintlich gewerblich geprägten A einerseits und
andererseits der späteren Aufdeckung der in den streitbefangenen
Grundstücken ruhenden stillen Reserven aus zeitlich und seiner Art nach
unbestimmtem Anlass nicht um einen identischen Sachverhalt handelt.
27
Der Sachverhalt, den das FA
unberücksichtigt gelassen hat, war die Überführung der Grundstücke der G aus
deren Sonderbetriebsvermögen in das Betriebsvermögen der neu gegründeten A.
Dieser Vorgang wäre, wenn das FA die A nicht entgegen seiner später
gewonnenen Rechtsauffassung als gewerblich geprägte Personengesellschaft
angesehen hätte, als Entnahme zu erfassen gewesen. Denn mit der
Nutzungsänderung der Grundstücke wurde deren betriebliche Beziehung zur
Klägerin gelöst, so dass die Grundstücke ohne die Einbringung in ein anderes
Betriebsvermögen Privatvermögen der G wurden (vgl. z.B. Senatsurteile vom
5. April 1979 IV R 48/77, BFHE 128, 49, BStBl II 1979, 554, und vom 8. März
1990 IV R 60/89, BFHE 160, 443, BStBl II 1994, 559; Schmidt/Wacker, EStG,
28. Aufl., § 15 Rz 538). Indessen hat das FA die Besteuerung anlässlich der
Nutzungsänderung und Übertragung der Grundstücke auf die A nicht etwa
deshalb unterlassen, weil es annahm, diese Entnahme sei in einem späteren
Bescheid zu erfassen. Zwar hat es von der Besteuerung eines Entnahmegewinns
abgesehen, weil es - nach späterer Erkenntnis rechtsirrig - der Auffassung
war, die in den Grundstücken ruhenden stillen Reserven blieben nicht
unversteuert. Die in einem späteren Zeitpunkt zu erwartende Versteuerung der
stillen Reserven konnte jedoch aus der damaligen Sicht des FA auf
unterschiedlichen Sachverhalten beruhen (vgl. zu einer vergleichbaren
Sachverhaltsabgrenzung auch Senatsbeschluss in BFHE 210, 210, BStBl II 2006,
158). Denn zu einer Aufdeckung von stillen Reserven können ganz
unterschiedliche Umstände (z.B. die Entnahme oder die Veräußerung eines oder
mehrerer Grundstücke) führen, die selbst in ihren wesentlichen Merkmalen
auch nicht teilidentisch mit dem im Streitfall vom FA beurteilten
Sachverhalt der Nutzungsänderung und Grundstücksübertragung sind.
Insbesondere handelte es sich bei späteren Entnahmehandlungen nicht um
denselben Sachverhalt wie bei der Entnahme in Folge einer von der Klägerin
veranlassten Nutzungsänderung der Grundstücke. Denn der Begriff der
"Entnahme" bildet nur den Tatbestand für die rechtliche Beurteilung; den
maßgeblichen Sachverhalt bilden demgegenüber die Tatsachen, die unter den
Tatbestand der Entnahme zu subsumieren sind (vgl. auch Senatsurteil in
BFH/NV 2007, 1813). Die Tatsachen, die einer möglichen späteren Entnahme
zugrunde lägen, sind jedoch in jedem Fall andere als die im Streitfall
vorliegende Nutzungsänderung und Grundstücksübertragung. Das FA hat also die
Besteuerung nicht deshalb unterlassen, weil es annahm, der bei der Klägerin
verwirklichte Sachverhalt sei in einem späteren Bescheid zu erfassen. Zudem
war auch der Zeitpunkt einer Aufdeckung stiller Reserven völlig unbestimmt.
Ein "bestimmter" (identischer) Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO
setzt hingegen auch voraus, dass die tatsächlichen Umstände, die das FA
seiner Beurteilung zugrunde legt, diesem in ihren wesentlichen Ausprägungen
hinreichend bekannt sind. Allein die Erwartung des FA, die stillen Reserven
seien irgendwann aufgrund irgendeines Sachverhalts zu erfassen, rechtfertigt
die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 3 AO nicht.
28
Der erkennende Senat folgt mit seiner
Rechtsauffassung im Ergebnis auch den bereits vom X. Senat des BFH
(Beschluss vom 27. Januar 2004 X B 116/03, BFH/NV 2004, 913) und in der
Fachliteratur (z.B. von Gronau/Konold, Deutsches Steuerrecht 2001, 1926 f.;
Ellesser/Lahme, Der Betrieb 2001, 2419, 2420 ff.; Paus, Deutsche
Steuer-Zeitung 2002, 66, 67 f.; Tiedtke/ Szczesny, Neue Juristische
Wochenschrift 2002, 3733, 3735 f.; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO,
§ 174 Rz 71) geäußerten Bedenken hinsichtlich der vom BMF in BStBl I 2000,
1198, und in BStBl I 2001, 614 vertretenen Anwendung des § 174 Abs. 3 AO auf
Fälle, in denen eine Entnahmebesteuerung aufgrund rechtsfehlerhafter
Würdigung einer GbR als gewerblich geprägte Personengesellschaft
unterblieben ist. Auch sieht sich der erkennende Senat in seiner Ansicht
durch Zweifel bestärkt, ob § 174 Abs. 3 AO die Rechtsgrundlage dafür bietet,
bestandskräftige Steuerbescheide in der Weise zu ändern, dass ein
Entnahmegewinn steuerlich berücksichtigt wird, den das FA seinerzeit wegen
Nichtanwendung der BFH-Rechtsprechung zur Bedeutung von
Einstimmigkeitsabreden bei der Betriebsaufspaltung nicht erfasst hat (vgl.
Senatsbeschluss in BFHE 210, 210, BStBl II 2006, 158, m.w.N.; Kempermann,
Neue Wirtschafts-Briefe Fach 3, 12501, 12509; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15
Rz 825). Auch für jene Fallkonstellation rechtfertigte die Finanzverwaltung
die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 3 AO im Ergebnis mit der Erwartung, dass
die stillen Reserven irgendwann aufgrund irgendeines Sachverhalts zu
erfassen seien.
29
bb) Hindert schon das Vorliegen
verschiedener Sachverhalte an der Anwendung des § 174 Abs. 3 AO, so kann
offenbleiben, ob die Annahme des FA, dass ein bestimmter Sachverhalt in
einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, im Streitfall kausal
für dessen Nichtberücksichtigung gewesen ist. Auch dies begegnete allerdings
Zweifeln, soweit man von der rechtsirrtümlichen Annahme des FA ausgeht, der
Sachverhalt der Nutzungsänderung und Grundstücksübertragung sei - jetzt und
auch später - ohne steuerrechtliche Bedeutung, weil die streitbefangenen
Grundstücke weiterhin "steuerlich verstrickt" blieben und erst aufgrund neu
hinzutretender Umstände eine Versteuerung der in den Grundstücken ruhenden
stillen Reserven erfolgen könne (in diesem Sinne die Kausalität verneinend
wohl auch Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO Rz 29).
30
2. Weiterhin kann im Streitfall
offenbleiben, ob - worüber zwischen den Beteiligten im Übrigen kein Streit
besteht - die Feststellungen des FG den Schluss zulassen, dass bei richtiger
Sachbehandlung der Zeitpunkt der Entnahme der streitbefangenen Grundstücke
bereits im Streitjahr und nicht erst im Folgejahr anzusetzen gewesen wäre.
Gleichfalls bedarf keiner Entscheidung, ob die Verfügung des FA vom
17. November 1995 als verbindliche Auskunft anzusehen ist, wegen der das FA
auch nach Treu und Glauben am Erlass des angefochtenen
Feststellungsbescheids gehindert gewesen wäre (vgl. z.B. Senatsurteil vom
17. September 1992 IV R 39/90, BFHE 169, 290, BStBl II 1993, 218; BFH-Urteil
vom 16. November 2005 X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155). Auch
braucht nicht entschieden zu werden, ob dem angegriffenen Änderungsbescheid
auch § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO entgegenstünde, weil das FA seine
ursprüngliche Rechtsauffassung, die A sei eine gewerblich geprägte
Personengesellschaft, erst aufgrund einer neuen Rechtsprechung des BGH
(Urteil in BGHZ 142, 315) geändert hat, oder ob insoweit zu berücksichtigen
wäre, dass das BMF mit seinen Schreiben in BStBl I 2000, 1198, und in BStBl
I 2001, 614 auch Vertrauensschutzregelungen getroffen hat.
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