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BFH-Urteil vom 21.4.2010 (VI
R 66/04) BStBl. 2010 II S. 685
Aufteilung von Aufwendungen
für eine gemischt veranlasste Fortbildungsveranstaltung
Aufwendungen für die
Teilnahme an einem Fortbildungskurs, der mit bestimmten Stundenzahlen auf
die Voraussetzungen zur Erlangung der Zusatzbezeichnung "Sportmedizin"
angerechnet werden kann, sind zumindest teilweise als Werbungskosten zu
berücksichtigen, auch wenn der Lehrgang in nicht unerheblichem Umfang
Gelegenheit zur Ausübung verbreiteter Sportarten zulässt (Änderung der
Rechtsprechung).
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1.
Vorinstanz: FG des Landes
Sachsen-Anhalt vom 1. September 2004 2 K 124/02 (EFG 2005, 352)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob
Aufwendungen für die Teilnahme an einem sportmedizinischen Wochenkurs am
Gardasee als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
abziehbar sind.
2
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr (1999) als angestellter
Unfallarzt in einem Krankenhaus in ... tätig. Vom 29. August bis zum 4.
September 1999 nahm er am 16. Gießener Sportmedizin-Wochenkurs in Torbole am
Gardasee teil, um die Zusatzbezeichnung "Sportmedizin" zu erlangen. Die
Fortbildung wurde von der Ärztekammer für den Erwerb dieser
Zusatzbezeichnung anerkannt.
3
Die Zusatzbezeichnung
"Sportmedizin" ist an folgende Voraussetzungen geknüpft:
4
1.
zweijährige klinische
Weiterbildung
2.1
einjährige ganztägige
Weiterbildung in einem sportmedizinischen Institut
alternativ zu 2.1:
2.2.1
Teilnahme an von der
Ärztekammer anerkannten Einführungskursen in Theorie und Praxis der
Leibesübungen von insgesamt 120 Stunden Dauer
2.2.2
Teilnahme an von der
Ärztekammer anerkannten sportmedizinischen Kursen von insgesamt 120 Stunden
Dauer
2.2.3
einjährige praktische
sportärztliche Tätigkeit in einem Sportverein oder Sportverband.
5
Im Rahmen der
Einführungskurse in Theorie und Praxis der Leibesübungen sind 70 Stunden mit
festgelegten Sportarten zu belegen. Hiervon entfallen jeweils 6 Stunden auf
Leichtathletik bzw. Kampf- und Kraftsport, 12 Stunden auf Mannschafts- und
Rückschlagspiele sowie 14 Stunden auf Winter- und Freizeitsport (Bergsteigen
und -wandern, Freizeitspiele, Radfahren, Reiten, Segeln, Surfen).
6
Das Programm des Kurses in
Torbole begann am Nachmittag des Anreisetages mit Referaten, die um 20:00
Uhr endeten. An den folgenden Wochentagen sah das Programm für die Zeit von
08:00 Uhr bis 08:45 Uhr eine Einführung in die Krankengymnastik zur
Prävention von Sportverletzungen vor. Die Zeit von 09:15 Uhr bis 15:45 Uhr
war - mit Ausnahme einer eineinhalbstündigen Mittagspause - der Theorie und
Praxis der verschiedenen Sportarten wie Surfen, Biken, Segeln, Tennis und
Bergsteigen vorbehalten. Von 16:15 Uhr an standen Referate auf dem Programm.
Am Montag, Dienstag und Donnerstag begann das letzte Referat um 19:30 Uhr,
an den beiden übrigen Wochentagen endete die Veranstaltung um diese Zeit.
Der Kurs endete am Samstag gegen 14:00 Uhr.
7
Der Kläger wurde von seinem
Arbeitgeber für die Fortbildung freigestellt. Für die Teilnahme an dem Kurs
in Torbole wurden ihm jeweils 25 Stunden Ausbildung in "Theorie und Praxis
der Leibesübungen" sowie Weiterbildung in der Sportmedizin bescheinigt. Bei
der Ausbildung in "Theorie und Praxis der Leibesübungen" lag der Schwerpunkt
des Klägers auf der Sportart Tennis. In den Bereichen Mannschafts- und
Rückschlagspiele sowie Freizeit-, Kampf- und Kraftsport wurden insgesamt 16
Stunden am Beispiel des Tennisspiels durchgenommen. Bei der Leichtathletik
wurden zudem 2 Stunden tennisspezifische Lauf- und Sprungtechniken
unterrichtet.
8
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die Aufwendungen für die
Teilnahme an dem Kurs in Höhe von 3.212 DM nicht zum Werbungskostenabzug zu.
9
Das Finanzgericht (FG) gab
der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2005, 352 veröffentlichten Gründen teilweise statt.
10
Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der steuermindernde Abzug von
Aufwendungen für die Teilnahme an sportmedizinischen Fortbildungslehrgängen,
die an bekannten Ferienorten zur Urlaubszeit stattfänden, selbst dann
ausgeschlossen, wenn die Kurse von der Ärztekammer als Fortbildungsmaßnahme
zur Erlangung der Zusatzbezeichnung "Sportmediziner" anerkannt würden.
Demgegenüber sei es im Streitfall sachgerecht, die Aufwendungen des Klägers
insoweit zum Abzug zuzulassen, als sie auf die sportmedizinischen
Veranstaltungen entfielen. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit Reisen,
denen unstreitig ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liege. Wenn
derartige Reisen selbst in den Fällen, in denen die Reise in mehr oder
weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt würde,
ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen seien, sei im Streitfall
ein vollständiges Abzugsverbot unbillig, da der Fortbildungslehrgang kaum
Freiräume für private Unternehmungen gelassen habe und das Abzugsverbot
allein aufgrund der sportpraktischen Pflichtveranstaltungen eingreife, die
sich als gewöhnliche Ausübung von Freizeitsport in einem Urlaubsgebiet
darstellten. Die Aufwendungen seien zur Hälfte als Werbungskosten zu
berücksichtigen (1.606 DM), da der Kurs mit jeweils 25 Stunden im
sportmedizinischen und sportpraktischen Bereich auf die Weiterbildung zum
Sportmediziner angerechnet worden sei.
11
Mit der Revision rügt das FA
die Verletzung materiellen Rechts.
12
Das FA beantragt, das Urteil
des FG insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als das FG der Klage
hinsichtlich der Lehrgangskosten in Höhe von 1.606 DM stattgegeben hat.
13
Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
14
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat
zu Recht eine Aufteilung der streitigen Kosten in abziehbare Werbungskosten
und nicht abziehbare Aufwendungen für die private Lebensführung vorgenommen.
15
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes - EStG -). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
liegen Werbungskosten vor, wenn zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen
Einkunftsart ein Veranlassungszusammenhang besteht. Das ist bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Fall, wenn die Aufwendungen
objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen Förderung
getätigt werden.
16
a) Aufwendungen für Reisen sind demnach
dann als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben abziehbar, wenn sie durch den
Beruf bzw. den Betrieb veranlasst sind. Ob dies zutrifft, ist durch die
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Der Abzug der
Reisekosten setzt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH voraus, dass
die Reise ausschließlich oder nahezu ausschließlich der
beruflichen/betrieblichen Sphäre zuzuordnen ist. Das ist zum einen der Fall,
wenn der Reise ein unmittelbarer beruflicher bzw. betrieblicher Anlass
zugrunde liegt (z.B. das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines
Vortrages auf einem Fachkongress, die Durchführung eines
Forschungsauftrages) und die Verfolgung privater Reiseinteressen nicht den
Schwerpunkt der Reise bildet. Gleiches gilt, wenn die berufliche bzw.
betriebliche Veranlassung bei weitem überwiegt und die Befriedigung privater
Interessen, wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen
Gesichtskreises, nach dem Anlass der Reise, dem vorgesehenen Programm und
der tatsächlichen Durchführung nicht ins Gewicht fällt und nur von
untergeordneter Bedeutung ist. Anderenfalls sind die gesamten Reisekosten
nicht abziehbar, soweit sich nicht ein durch den Beruf/Betrieb veranlasster
Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen lässt
(Senatsentscheidung vom 20. Juli 2006 VI R 94/01, BFHE 214, 354, BStBl II
2007, 121, m.w.N.; zu Fortbildungslehrgängen zur Erlangung der
Zusatzbezeichnung "Sportmedizin" s. u.a. Senatsentscheidungen vom 19.
Oktober 1989 VI R 155/88, BFHE 158, 532, BStBl II 1990, 134; vom 23. Juni
1992 VI R 15/90, BFH/NV 1992, 814; vom 17. Juli 1992 VI R 140/89, BFH/NV
1993, 20).
17
b) Zur Begründung hat sich die bisherige
Rechtsprechung im Wesentlichen auf § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG berufen. Danach
verbietet diese Vorschrift zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die
Aufteilung und damit den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der privaten
Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Mit Beschluss vom 21.
September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1) hat der Große Senat des BFH diese
Rechtsprechung aufgegeben. Nach seiner Auffassung normiert § 12 Nr. 1 Satz 2
EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot. Die Vorschrift steht
somit einer Aufteilung von gemischt veranlassten, aber anhand ihrer
beruflichen und privaten Anteile trennbaren Reisekosten nicht entgegen.
Aufwendungen für Reisen, die abgrenzbare berufliche und private Anteile
enthalten, sind grundsätzlich aufzuteilen, sofern die berufliche oder
private Veranlassung nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Als
sachgerechter Aufteilungsmaßstab kommt in derartigen Fällen das Verhältnis
der beruflichen und privaten Zeitanteile der Reise in Betracht. Das
unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es
jedoch im Einzelfall erfordern, einen anderen Aufteilungsmaßstab
heranzuziehen oder von einer Aufteilung ganz abzusehen.
18
2. Nach diesen Grundsätzen ist die
Vorentscheidung nicht zu beanstanden. Das FG ist im Rahmen der ihm
obliegenden Tatsachenwürdigung zu dem Ergebnis gekommen, dass von einer
gemischt veranlassten Reise auszugehen und eine Aufteilung vorzunehmen ist.
Das FG ist bei der Aufteilung zutreffend davon ausgegangen, dass die
sportmedizinischen Veranstaltungen eindeutig der beruflichen Sphäre des
Klägers zuzurechnen sind. Die sportpraktischen Veranstaltungen hat das FG in
Anknüpfung an die zitierte frühere Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen
Behandlung von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme an Lehrgängen
zur Erlangung der Zusatzbezeichnung "Sportmedizin" dem Bereich der privaten
Lebensführung des Klägers zugeordnet, da es sich hierbei um die Ausübung
verbreiteter Sportarten in einem Urlaubsgebiet gehandelt habe. Es kann
dahinstehen, ob dieser Einschätzung des FG stets und für alle Fälle
uneingeschränkt gefolgt werden kann. Dagegen könnte sprechen, dass
Steuerpflichtigen der Abzug von Werbungskosten nicht mit der Begründung
versagt werden darf, ihr Beruf erfordere Aufwendungen, die für andere
Steuerpflichtige Privataufwendungen sind (Beschluss des Großen Senats des
BFH in BFHE 227, 1). Jedenfalls ist die Würdigung des FG, gegen die keine
zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden sind, auch
insoweit möglich. Die Tatsachenwürdigung der Vorinstanz zieht, sofern sie
weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze verstößt, eine
revisionsrechtliche Bindung gemäß § 118 Abs. 2 FGO auch dann nach sich, wenn
ein abweichendes Verständnis gleichermaßen möglich oder sogar naheliegend
ist (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO
Rz 87, m.w.N.).
19
Die Aufteilung anhand der für die
jeweiligen Bereiche auf die Weiterbildung zum Sportmediziner angerechneten
Zeitanteile begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
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