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BFH-Urteil vom 5.11.2009 (IV R 40/07) BStBl. 2010 II S. 720
Keine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach versäumter
Beteiligung nach § 174 Abs. 5 AO
1.
Die Rücknahme eines Einspruchs verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu
und Glauben und kann nicht als eine illoyale Rechtsausübung angegriffen
werden.
2.
Versäumt es das FA, einen Dritten gemäß § 174 Abs. 5 AO am Verfahren zu
beteiligen, und scheidet deshalb dem Dritten gegenüber die Änderung eines
Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO aus, so ist der Dritte nicht nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, dem FA durch Antrag oder
Zustimmung eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu
ermöglichen.
AO § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a,
§ 174 Abs. 4, § 174 Abs. 5, § 350, § 362 Abs. 1 Satz 1; BGB § 242.
Vorinstanz: FG Köln vom 8. Mai 2007
1 K 1988/06 (EFG 2007, 1919)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, war im Streitjahr (1993)
Alleingesellschafterin der S GmbH (GmbH). Mit dieser GmbH schloss die
Klägerin einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ab, der ab dem
1. Januar 1993 Geltung haben sollte. Danach sollte die Klägerin Organträger,
die GmbH Organgesellschaft sein.
2
Im Streitjahr erzielte die
im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts W (FA W) ansässige GmbH einen Gewinn
in Höhe von ... DM. In ihrer am 15. Mai 1996 beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingegangenen Erklärung zur gesonderten
und einheitlichen Feststellung erklärte die Klägerin ihre Einkünfte
einschließlich des von der GmbH erzielten Gewinns. Das FA stellte die
Einkünfte der Klägerin zunächst erklärungsgemäß fest; die Feststellung
erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der
Abgabenordnung –-AO -). Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 änderte das FA
den Feststellungsbescheid 1993 gemäß § 164 Abs. 2 AO, wobei es weiterhin die
Einkünfte der GmbH berücksichtigte. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass
der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen bleibe. Am 20. Dezember 2001 erließ
das FA einen weiteren, ebenfalls auf § 164 Abs. 2 AO gestützten
Änderungsbescheid, bei dem es die Einkünfte der GmbH nicht mehr einbezog;
der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
3
Zur Begründung ihres (u.a.)
hiergegen gerichteten Einspruchs vom 17. Januar 2002 führte die Klägerin
aus, wegen der Nichtanerkennung des Gewinnabführungsvertrags im Rahmen einer
Betriebsprüfung für die Jahre 1993 bis 1997 seien Einsprüche gegen die
Körperschaftsteuerbescheide der GmbH eingelegt worden. Es werde gebeten, die
Ergebnisse jener Einspruchsverfahren abzuwarten und entsprechend (auch) bei
der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung der Klägerin für das
Jahr 1993 zu berücksichtigen.
4
Daraufhin teilte das FA der
Klägerin mit, dass die Rechtsfrage der Anerkennung eines
körperschaftsteuerlichen Organschaftsverhältnisses zwischen der GmbH und der
Klägerin geprüft werde. Wie bereits telefonisch vereinbart, werde das
Einspruchsverfahren der Klägerin unter dem Vorbehalt des Widerrufs bis zur
Entscheidung im Verfahren der GmbH ruhen gelassen.
5
Am 28. Juli 2004 teilte das
FA W dem FA mit, dass der von der GmbH im Jahr 1993 erzielte Gewinn in Höhe
von ... DM der Klägerin als Organträger zuzurechnen sei. Eine Reaktion des
FA erfolgte nicht.
6
Mit Schriftsatz vom
18. November 2004 nahm die Klägerin ihren Einspruch gegen den
Feststellungsbescheid 1993 vom 20. Dezember 2001 zurück.
7
Am 6. Dezember 2004 bat das
FA das FA W um Übersendung geänderter Mitteilungen. Es wurde ferner um
Mitteilung gebeten, ob und wann der Organträger gemäß § 174 AO zu den
Rechtsbehelfsverfahren der GmbH hinzugezogen worden sei. Mit Schreiben vom
15. Dezember 2004 teilte das FA W mit, die geänderten
Körperschaftsteuerbescheide der GmbH datierten vom 30. Juli 2004. Eine
Hinzuziehung gemäß § 174 AO sei nicht erfolgt, da die Voraussetzungen des
§ 174 Abs. 3 AO vorlägen und somit die Änderung auch gegenüber Dritten ohne
Einhaltung der nur für die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO erforderlichen
Voraussetzungen des § 174 Abs. 5 AO zulässig sei. Am 12. Januar 2005
unterrichtete das FA die Klägerin, dass es beabsichtige, die gesonderte und
einheitliche Gewinnfeststellung dahin zu ändern, dass das Einkommen der
Organgesellschaft bei der Klägerin berücksichtigt werde.
8
Auf den Einwand der
Klägerin, dass keine Rechtsgrundlage für eine Änderung ersichtlich sei,
vertrat das FA die Auffassung, es habe das ausdrückliche Einverständnis der
Klägerin bestanden, bei Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft
die Erträge der GmbH steuerlich bei der Klägerin als Organträger zu
erfassen. Daran sei die Klägerin nach Treu und Glauben gebunden, so dass die
Bescheide gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO aufgrund vorliegender
Zustimmung zu ändern seien. Die Klägerin teilte daraufhin mit, dass einer
solchen Änderung nicht zugestimmt werde und dass ihre Einspruchsbegründung
auch keine Vorauseinwilligung zur Änderung enthalte. Aus der Bindung an Treu
und Glauben könne kein Zwang abgeleitet werden, eine
Berichtigungsfeststellung zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu dulden, für
die ohne dessen Einspruch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt wären.
9
Am 13. Mai 2005 erließ das
FA einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gestützten geänderten
Feststellungsbescheid 1993, in dem die Einkünfte der Klägerin erneut
einschließlich der Einkünfte der GmbH festgestellt wurden. Der Einspruch der
Klägerin hatte keinen Erfolg.
10
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1919
veröffentlichten Gründen statt.
11
Mit seiner Revision rügt das
FA die Verletzung materiellen Rechts.
12
Es beantragt sinngemäß, das
vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
13
Die Klägerin beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
14
Die Revision des FA ist unbegründet und
nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist
zu Recht davon ausgegangen, dass das FA den Feststellungsbescheid 1993 vom
20. Dezember 2001 nicht mehr durch den angefochtenen Änderungsbescheid vom
13. Mai 2005 ändern durfte.
15
1. Die Voraussetzungen für eine Änderung
nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO lagen - wie das FG zutreffend
erkannt hat - nicht vor.
16
Nach dieser Vorschrift darf ein
Steuerbescheid, soweit er - wie im Streitfall - nicht (mehr) unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, zuungunsten des Steuerpflichtigen
nur geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag
der Sache nach entsprochen wird.
17
a) Das FG hat offengelassen, ob die
Klägerin im Rahmen ihres Einspruchsschreibens vom 17. Januar 2002 einen
Antrag i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gestellt oder eine
Zustimmung im Sinne dieser Vorschrift - die Grenzen zum "Antrag" sind
fließend (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 172 AO Rz 22) - erteilt hat. Allerdings neigt auch der erkennende Senat zu
der Auffassung, dass es eher ungewöhnlich ist, neben dem Einspruchsverfahren
einen Antrag nach § 172 AO zu stellen, und dass deshalb in diesem Fall
besondere und eindeutige Umstände gegeben sein müssen, um von der Existenz
eines solchen Antrags ausgehen zu können (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 7. November 2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745). Jedenfalls ist das FG
in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass
- einen entsprechenden Antrag bzw. eine Zustimmung unterstellt - die
Klägerin mit Schriftsatz vom 18. November 2004 erklärt hat, nicht nur ihren
Einspruch, sondern auch diesen Antrag zurücknehmen bzw. die darin erklärte
Zustimmung widerrufen zu wollen. Willenserklärungen sind grundsätzlich
Gegenstand der tatsächlichen Feststellung. Die Würdigung einer
Willenserklärung durch das FG kann der BFH nur daraufhin überprüfen, ob das
FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (z.B. §§ 133, 157 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs - BGB -) beachtet und nicht gegen Denkgesetze (Gesetze der
Logik) und Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in
BFH/NV 2002, 745, m.w.N.). Ein solcher revisionsrechtlich beachtlicher
Verstoß ist jedoch im Streitfall nicht ersichtlich und wird auch vom FA
nicht vorgetragen.
18
b) Das FG ist zu Recht auch davon
ausgegangen, dass die Klägerin selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes
von Treu und Glauben nicht gehindert war, ihren Einspruch zurückzunehmen
(§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO) und dabei auch eine möglicherweise erteilte
Zustimmung oder einen Antrag i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO
zu widerrufen bzw. zurückzunehmen. Gleichfalls zutreffend hat das FG auch
die Verpflichtung der Klägerin zur Erteilung einer Zustimmung zur
streitbefangenen Änderung verneint.
19
aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben
(Verbot des "venire contra factum proprium"), der in § 242 BGB nur
unzulänglich zum Ausdruck kommt (Jauernig/Mansel, BGB, 13. Aufl., § 242 BGB,
Rz 1), gilt auch im Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II
1989, 990; vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174;
vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764; vom
29. Januar 2009 VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O,
§ 4 AO Rz 125, 139). Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es
innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger
wie Steuerpflichtigen gleichermaßen u.a., dass jeder auf die Belange des
anderen Teils Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten
nicht in Widerspruch setzt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 169, 103, BStBl II 1993,
174, m.w.N.).
20
bb) Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil
in BFH/NV 2002, 745) verstößt die Rücknahme des Einspruchs gemäß § 362
Abs. 1 Satz 1 AO nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und kann
nicht als eine illoyale Rechtsausübung angegriffen werden. Ebenso wie der
Kläger den Einspruch einlegen kann, kann er ihn auch wieder zurückziehen.
Das Institut von Treu und Glauben hat nicht die Funktion, verfahrensmäßige
Fehler des FA aufzufangen. Die besonderen Umstände des Streitfalles
rechtfertigen hiervon keine Ausnahme, selbst wenn man in dem von der
Klägerin eingelegten Einspruch zugleich einen Antrag oder eine Zustimmung
i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sähe.
21
(1) Die Klägerin hat sich im
Ausgangsverfahren darauf berufen, dass ihr Einspruch gegen den
Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2001 unzulässig sei, weil sie durch jenen
Bescheid nicht beschwert gewesen sei. Bei Unzulässigkeit des Einspruchs
schiede die Annahme einer illoyalen Rechtsausübung der Klägerin schon
deshalb aus, weil dem FA eine Überprüfung des angegriffenen Bescheids in der
Sache versagt wäre. Wird nämlich keine Beschwer geltend gemacht, so ist der
Einspruch als unzulässig zu verwerfen; ist der Einspruch unzulässig, so ist
auch eine "Verböserung" (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) unzulässig (vgl. Tipke in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 350 AO Rz 30 und § 358 AO Rz 4, 9 und 24 ff.). In
dieser Situation führte die Rücknahme des Einspruchs auch dann nicht zu
einem Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn in dem Einspruch zugleich ein
Antrag oder eine Zustimmung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO
läge. Denn auf diese Weise verhindert der Steuerpflichtige lediglich eine
einseitige Begünstigung des FA dergestalt, dass es trotz eines unzulässigen
Einspruchs "verbösernd" in der Sache entscheiden könnte. Insoweit genießt
das FA keinen Schutz seines Vertrauens darauf, dass ihm die Möglichkeit
einer inhaltlichen Änderung des Bescheids nach § 172 AO vom
Steuerpflichtigen - ggf. auch im Wege einer nachträglich erteilten
Zustimmung - offen gehalten wird.
22
Allerdings ist zweifelhaft, ob die Klägerin
durch den Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 nicht beschwert
gewesen ist. Zwar ist auch bei Gewinnfeststellungsbescheiden ein Einspruch
nur zulässig, wenn eine Beschwer i.S. von § 350 AO gegeben ist. Sie liegt
grundsätzlich nur vor, wenn geltend gemacht wird, der Gewinn sei zu hoch
oder der Verlust zu niedrig festgestellt worden (vgl. Tipke in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 350 AO Rz 12; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 350 AO
Rz 117). Allerdings kann die Beschwer auch in der einheitlichen Feststellung
eines zu niedrigen Gewinns liegen, wenn sich diese in anderen
Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt (vgl.
BFH-Urteil vom 7. November 1989 IX R 190/85, BFHE 159, 439, BStBl II 1990,
460; Senatsbeschluss vom 9. September 2005 IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22;
Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 10. Aufl., § 350 Rz 5; von Beckerath in
Beermann/Gosch, FGO § 40 Rz 218; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung,
6. Aufl., § 40 Rz 97, jeweils m.w.N.). Die zwischen den Beteiligten zunächst
streitige Frage des Bestehens einer Organschaft betrifft einen mehrere
Veranlagungszeiträume umfassenden Zeitraum. Dabei ist allerdings zu
berücksichtigen, dass aufgrund des Prinzips der Abschnittbesteuerung für
jeden Veranlagungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen - dazu zählt auch das
Bestehen einer Organschaft - selbständig festzustellen sowie der Sachverhalt
und die Rechtslage ohne Bindung an die frühere Beurteilung neu zu prüfen
sind (vgl. Senatsurteil vom 3. September 2009 IV R 38/07, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Auch hat die Klägerin selbst keine ihr
nachteiligen steuerlichen Auswirkungen vorgetragen. Allerdings hat der BFH
eine Beschwer auch schon allein darin gesehen, dass eine vom
Steuerpflichtigen behauptete Rechtsposition allgemein mit steuerrechtlich
verbindlicher Wirkung festgestellt oder geleugnet wird (z.B. BFH-Urteile vom
14. Juni 1994 VIII R 20/93, BFH/NV 1995, 318, und vom 22. November 1994
VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93, jeweils m.w.N.; vgl. auch von
Beckerath in Beermann/ Gosch, FGO § 40 Rz 212 f.; Gräber/von Groll, a.a.O.,
§ 48 Rz 9). Ob die Klägerin jedenfalls nach den zuletzt genannten Maßstäben
durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 beschwert
gewesen ist, weil das FA darin vom Nichtbestehen einer Organschaft
ausgegangen ist, kann jedoch offenbleiben, denn die angegriffene
FG-Entscheidung hat schon aus nachfolgenden Gründen zutreffend eine Bindung
der Klägerin nach Treu und Glauben verneint.
23
(2) Das FA hatte - worauf das FG unter
Bezug auf das BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745 zutreffend hingewiesen hat - im
Streitfall unabhängig vom Einspruchsverfahren die Möglichkeit, die
Anerkennung der Organschaft auch verwaltungsverfahrensmäßig so abzuwickeln,
dass das Ergebnis der Organgesellschaft bei der Klägerin als Organträger
hätte erfasst werden können. Über die Vorschriften des § 174 Abs. 4, Abs. 5
AO wäre es dem FA im Zuge der Änderung des gegen die GmbH gerichteten
Körperschaftsteuerbescheids für das Streitjahr ohne Weiteres und auf dem vom
Gesetz vorgesehenen Weg möglich gewesen, für die Klägerin eine dem
materiellen Recht entsprechende Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für
1993 zu erreichen; dazu bedurfte es keines Antrags der Klägerin, denn die
rechtmäßige Feststellung von Besteuerungsgrundlagen kann wie die rechtmäßige
Steuerfestsetzung nicht vom Willen und der Zustimmung des Steuerpflichtigen
abhängen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Streitfall ein anderes FA für
die (Ertrags-)Besteuerung der GmbH zuständig gewesen ist. Anders als die -
im Streitfall gleichfalls nicht mehr einschlägige - Änderungsvorschrift des
§ 174 Abs. 3 AO setzt die Vorschrift des § 174 Abs. 4 AO das FA auch nicht
dem Risiko des Ablaufs der für die "andere Steuerfestsetzung" - hier der
GmbH - geltenden Festsetzungsfrist aus. Ist Treu und Glauben schon
grundsätzlich kein Institut, verfahrensmäßige Fehler des FA aufzufangen
(BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745), so war die Klägerin auch angesichts der im
Streitfall gegebenen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des FA nicht nach
dem Grundsatz von Treu und Glauben gehalten, dem FA eine gesetzeskonforme
Feststellung offenzuhalten.
24
2. Ist im Streitfall keine illoyale
Rechtsausübung der Klägerin ersichtlich, so kann offenbleiben, ob - wie das
FA meint - einem Dritten gegenüber eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO wegen
eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise auch
dann möglich ist, wenn der Dritte entgegen § 174 Abs. 5 AO nicht zum
Verfahren hinzugezogen worden ist.
25
3. Soweit das FG im Übrigen davon
ausgegangen ist, dass (auch) nicht die Voraussetzungen einer Änderung nach
den §§ 164 Abs. 2, 173 Abs. 1 Nr. 1, 174 Abs. 3 und 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
oder 2 AO vorgelegen haben, ist dies zwischen den Beteiligten zu Recht nicht
streitig. Der erkennende Senat sieht deshalb insoweit von weiteren
Ausführungen ab.
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