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BFH-Urteil vom 11.11.2009 (II R 14/08) BStBl. 2010 II S. 723
Korrektur eines Einheitswertbescheids nach Ablauf der Feststellungsfrist
1.
Ein Einheitswertbescheid kann gemäß § 181 Abs. 5 AO nach Ablauf der
Feststellungsfrist insoweit erlassen oder korrigiert werden, als die
Festsetzungsfrist für die Grundsteuer noch nicht abgelaufen ist.
2.
§ 25 BewG ermöglicht nicht nur die Nachholung erstmaliger gesonderter
Feststellungen mit Wirkung auf einen späteren Feststellungszeitpunkt,
sondern auch die Berichtigung, Änderung und Aufhebung solcher
Feststellungen.
AO
§ 129, § 181 Abs. 5; BewG § 25; FGO § 120 Abs. 3.
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 30. Januar
2008 1 K 1250/05 (EFG 2008, 1002)
Sachverhalt
I.
1
Die Kläger und
Revisionskläger (Kläger) erwarben je zur Hälfte einen Miteigentumsanteil an
einem Grundstück, der mit dem Sondereigentum an Büroräumen in dem auf dem
Grundstück befindlichen, 1997 fertig gestellten Gebäude verbunden war.
2
Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte für den Miteigentumsanteil
gegenüber den Klägern mit bestandskräftigem Einheitswertbescheid vom
23. Juni 1998 im Wege der Nachfeststellung (§ 23 des Bewertungsgesetzes -
BewG -) zum 1. Januar 1998 einen Einheitswert von 40.200 DM fest und legte
seiner Berechnung eine Grundstücksfläche von 2.280 qm zugrunde, obwohl auf
den Miteigentumsanteil der Kläger rechnerisch nur 228 qm entfielen. Mit
ebenfalls bestandskräftigem Bescheid vom gleichen Tag setzte er den
Grundsteuermessbetrag auf 281,40 DM fest.
3
Die Kläger beantragten am
28. September 2004, den Einheitswertbescheid und den Grundsteuermessbescheid
vom 23. Juni 1998 wegen einer offenbaren Unrichtigkeit (§ 129 der
Abgabenordnung - AO -) dahin zu berichtigen, dass der Einheitswert mit
Wirkung auf den 1. Januar 2000 ausgehend von einer Grundstücksfläche von
228 qm anstatt 2.280 qm festgestellt wird. Das FA lehnte diesen Antrag mit
Bescheid vom 13. Oktober 2004 ab, weil der Einheitswert auf den 1. Januar
1998 festgestellt worden sei. Es erließ jedoch neue Bescheide, die im Wege
der fehlerbeseitigenden Fortschreibung (§ 22 Abs. 3 BewG) die richtige
Grundstücksfläche auf den 1. Januar 2004 berücksichtigten.
4
Nach erfolglosem Einspruch
gegen den Ablehnungsbescheid wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab. Sie
sei bereits unzulässig, soweit die Kläger eine Korrektur des
Grundsteuermessbescheids begehrten, weil sich ihre Einwendungen allein gegen
den Einheitswertbescheid richteten. Im Übrigen sei die Klage unbegründet.
Der Einheitswertbescheid könne nicht mehr nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO
berichtigt werden, weil die Frist für die Festsetzung des
Grundsteuermessbetrags abgelaufen sei und die Vorschrift die Korrektur des
Einheitswertbescheids bei noch nicht verjährter Grundsteuerfestsetzung nicht
erlaube. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008,
1002 veröffentlicht.
5
Mit der Revision rügen die
Kläger fehlerhafte Anwendung von § 181 Abs. 5 Satz 1 AO. Sie meinen, dass
der Einheitswertbescheid auch dann noch berichtigt werden könne, wenn die
Festsetzung der Grundsteuer wie hier für die Jahre 2000 bis 2003 noch nicht
verjährt sei.
6
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung und den Ablehnungsbescheid vom 13. Oktober
2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juni 2005 aufzuheben
sowie das FA zu verpflichten, den Einheitswertbescheid vom 23. Juni 1998
dahin zu berichtigen, dass der Einheitswert mit Wirkung auf den 1. Januar
2000 ausgehend von einer Grundstücksfläche von 228 qm anstatt 2.280 qm
festgestellt wird, und den Grundsteuermessbescheid dahin zu ändern, dass der
Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar 2000 ausgehend vom neuen
Einheitswert festgesetzt wird.
7
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
1. Die Revision ist, soweit sich die Kläger
gegen die Vorentscheidung über den Grundsteuermessbescheid wenden, mangels
Begründung unzulässig und war daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -).
9
Nach § 120 Abs. 3 FGO muss der
Revisionskläger die Revisionsgründe angeben. Das erfordert nach § 120 Abs. 3
Nr. 2 Buchst. a FGO die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich
die Rechtsverletzung ergibt. Die erhobene Rüge muss eindeutig erkennen
lassen, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Bezieht sich die
Revision auf zwei in einem Verfahren verbundene Steuerbescheide, müssen
bezogen auf beide Steuerbescheide die verletzten Rechtsnormen angegeben
werden, aus denen sich die Mängel ergeben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 9. Dezember 1987 I R 1/85, BFHE 151, 554, BStBl II 1988, 463). Die
Revision der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nur hinsichtlich des
Einheitswertbescheids, nicht aber hinsichtlich des Grundsteuermessbescheids.
Das FG hat die Klage betreffend den Grundsteuermessbescheid als unzulässig
abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger keine Einwände erhoben. Sie rügen
vielmehr ausschließlich eine Verletzung von § 181 Abs. 5 AO und beziehen
sich damit nur auf den Einheitswertbescheid.
10
2. Soweit sich die Revision gegen die
Vorentscheidung über den Einheitswertbescheid richtet, ist sie begründet und
führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung
und des Ablehnungsbescheids sowie zur Verpflichtung des FA, den
Einheitswertbescheid dahin zu berichtigen, dass der Einheitswert auf den
1. Januar 1998 mit Wirkung auf den 1. Januar 2000 ausgehend von einer
Grundstücksfläche von 228 qm anstatt 2.280 qm festgestellt wird (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der
Einheitswertbescheid vom 23. Juni 1998 wegen Eintritts der Verjährung nicht
mehr berichtigt werden könne.
11
a) Dem FA ist beim Erlass des
Einheitswertbescheids eine offenbare Unrichtigkeit (§ 129 AO) unterlaufen,
indem es eine Grundstücksfläche von 2.280 qm anstatt 228 qm zugrunde gelegt
hat.
12
b) Im Zeitpunkt der Antragstellung im Jahre
2004 war die - auch für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten zu
beachtende (§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO) - Frist für die Korrektur der
gesonderten Feststellung des Einheitswerts bereits abgelaufen. Sie begann
mit Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die Nachfeststellung
vorzunehmen ist, also mit Ablauf des Jahres 1998 (§ 181 Abs. 3 Satz 1 AO
i.V.m. § 23 Abs. 2 Satz 2 BewG), und endete nach vier Jahren (§ 169 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AO) mit Ablauf des Jahres 2002.
13
c) Das FG hat jedoch übersehen, dass der
Einheitswertbescheid auch dann noch berichtigt werden kann, wenn die
Festsetzungsfrist für die Grundsteuer wie hier für die Jahre 2000 bis 2003
noch nicht abgelaufen ist.
14
Nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO kann eine
gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden
Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für
eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im
Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei
bleibt § 171 Abs. 10 AO außer Betracht. Die Vorschrift trägt dem Umstand
Rechnung, dass die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nur
eine Vorstufe der Steuerfestsetzung ist, d.h. nur eine dienende Funktion
hat. Aus der Technik der getrennten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
sollen dem Steuerpflichtigen keine Nachteile, aber auch keine Vorteile
entstehen (BFH-Urteile vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336,
BStBl II 1994, 381; vom 13. Juli 1999 VIII R 76/97, BFHE 189, 309, BStBl II
1999, 747; vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681;
BTDrucks VI/1982, S. 157). Die Vorschrift gilt nicht nur für den erstmaligen
Erlass, sondern ihrem Sinn und Zweck entsprechend auch für die Änderung oder
Berichtigung von Feststellungsbescheiden (BFH-Urteile in BFHE 170, 336,
BStBl II 1994, 381; vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl
II 2001, 156; vom 6. Juli 2005 XI R 27/04, BFH/NV 2006, 16).
15
aa) Das Verfahren zur Festsetzung der
Grundsteuer vollzieht sich in drei Stufen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1985
II R 227/82, BFHE 144, 201, BStBl II 1986, 128). Auf der ersten Stufe stellt
das FA im Einheitswertbescheid den Einheitswert für die wirtschaftliche
Einheit des Grundbesitzes fest (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 19 Abs. 1 BewG).
Auf der zweiten Stufe setzt das FA im Grundsteuermessbescheid den
Steuermessbetrag durch Multiplikation der Steuermesszahl mit dem
Einheitswert fest (§ 184 Abs. 1 AO, § 13 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes -
GrStG -). Auf der dritten Stufe schließlich setzt die Gemeinde die
Grundsteuer fest, wobei sie den Grundsteuermessbetrag mit ihrem Hebesatz
multipliziert (§ 27 Abs. 1 GrStG).
16
bb) Im Verhältnis von Einheitswertbescheid
und Grundsteuermessbescheid ist § 181 Abs. 5 Satz 1 AO mit der Maßgabe
anwendbar, dass anstelle der "Steuerfestsetzung" die
"Messbetragsfestsetzung" auf der zweiten Stufe tritt, so dass es auf den
Ablauf der Festsetzungsfrist für die zweite Stufe ankommt (vgl. FG Köln,
Urteil vom 21. November 2001 6 K 1134/01, EFG 2002, 1245; zum zweistufigen
Feststellungsverfahren: BFH-Urteil in BFHE 189, 309, BStBl II 1999, 747).
Denn nach § 184 Abs. 1 Satz 3 AO gelten für die Festsetzung von
Steuermessbeträgen die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung
sinngemäß. Die Feststellung des Einheitswerts auf der ersten Stufe hat für
die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags auf der zweiten Stufe die gleiche
dienende Funktion wie bei einem einfachen Feststellungsverfahren die
Feststellung für die Steuerfestsetzung.
17
cc) Eine Berichtigung des
Einheitswertbescheids auf der ersten Stufe ist aber nach § 181 Abs. 5 Satz 1
AO auch zulässig, wenn die Festsetzung der Grundsteuer auf der dritten Stufe
noch möglich ist. Zwar ist der Einheitswertbescheid Grundlagenbescheid nur
für den Grundsteuermessbescheid, letzterer wiederum alleiniger
Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid (Gürsching/Stenger,
Bewertungsrecht, § 19 BewG Rz 108; Troll/ Eisele, Grundsteuergesetz,
Kommentar, 9. Aufl. 2006, § 16 Rz 3) und damit der Einheitswertbescheid kein
Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid.
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Die dienende Funktion sowohl der
Feststellung des Einheitswerts als auch der Festsetzung des
Grundsteuermessbetrags letztlich für die Grundsteuerfestsetzung rechtfertigt
aber eine entsprechende Anwendung des § 181 Abs. 5 Satz 1 AO. Dem
Steuerpflichtigen sollen aus der Technik der getrennten Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen keine Nachteile entstehen. Der Steuerpflichtige wäre
aber durch die Auftrennung des Verfahrens zur Festsetzung der Grundsteuer in
drei Stufen benachteiligt. Hätte der Gesetzgeber nämlich ein bloß
zweistufiges Verfahren vorgesehen, könnte der Feststellungsbescheid, der
dann sowohl den Einheitswert als auch den Grundsteuermessbetrag enthielte,
korrigiert werden, solange die Festsetzung der Grundsteuer möglich ist.
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3. Die Sache ist spruchreif. Der
Ablehnungsbescheid vom 13. Oktober 2004 ist rechtswidrig und verletzt die
Kläger in ihren Rechten. Sie haben einen Anspruch auf Berichtigung des
Einheitswertbescheids vom 23. Juni 1998 dahin, dass der Einheitswert mit
Wirkung auf den 1. Januar 2000 ausgehend von einer Grundstücksfläche von
228 qm anstatt 2.280 qm festgestellt wird (§ 101 FGO).
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Die Berichtigung des Einheitswertbescheids
auf den 1. Januar 1998 ist in entsprechender Anwendung des § 25 BewG mit
Wirkung auf den 1. Januar 2000 vorzunehmen.
21
a) Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BewG kann u.a.
eine Nachfeststellung nach Ablauf der Feststellungsfrist unter
Zugrundelegung der Verhältnisse vom Nachfeststellungszeitpunkt mit Wirkung
für einen späteren Feststellungszeitpunkt vorgenommen werden, für den diese
Frist noch nicht abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 AO bleibt unberührt (§ 25
Abs. 1 Satz 2 BewG). Der Anwendungsbereich des § 25 BewG umfasst nicht nur
die erstmalige Nachfeststellung des Einheitswerts, sondern gleichermaßen die
Änderung und Berichtigung einschließlich der Aufhebung (vgl. §§ 129, 172 ff.
AO) von Nachfeststellungsbescheiden (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991
II R 23/89, BFHE 166, 168, BStBl II 1992, 454 zum früheren § 21 Abs. 3 BewG
i.d.F. des Art. 2 des Vermögensteuerreformgesetzes vom 17. April 1974, BGBl
I 1974, 949).
22
Die Berichtigung des Einheitswertbescheids
mit Wirkung auf den 1. Januar 2000 kann ohne den Rückgriff auf § 25 BewG
nicht erreicht werden. Die Korrekturvorschriften der AO sehen für sich
genommen die Rechtsfolge, einen Bescheid mit Wirkung für einen späteren
Zeitpunkt zu ändern, nicht vor. Denn sie ermöglichen lediglich die
Fehlerbeseitigung, nicht aber eine Änderung der übrigen im Bescheid
getroffenen Regelungen wie etwa des Feststellungszeitpunkts 1. Januar 1998.
Die entsprechende Anwendung des § 25 BewG erlaubt es jedoch, die
Berichtigung des Einheitswertbescheids mit Wirkung für einen späteren
Feststellungszeitpunkt insoweit vorzunehmen, als die Festsetzungsfrist für
den Grundsteuermessbetrag oder die Grundsteuer noch nicht abgelaufen ist
(Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO).
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b) Im Streitfall war zum Zeitpunkt des von
den Klägern gestellten Antrags auf Änderung des Einheitswertbescheids am
27. September 2004 die Festsetzungsfrist für die Grundsteuer der Jahre 2000
bis 2003 noch nicht abgelaufen. Diese beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres,
zu dessen Beginn die Grundsteuer entsteht (§ 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 9 Abs. 2
GrStG), und endet nach vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Somit
begann die Festsetzungsfrist für die Grundsteuer 2000 mit Ablauf des Jahres
2000 und endete mit Ablauf des Jahres 2004. Die Festsetzungsfrist für die
Grundsteuer 2001 bis 2003 endete jeweils ein Jahr später.
24
Das FA wird im Berichtigungsbescheid darauf
hinzuweisen haben, dass die getroffene Feststellung für die Festsetzung der
Grundsteuer 2000 bis 2003 von Bedeutung ist (§ 181 Abs. 5 Satz 2 AO).
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