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BFH-Urteil vom 23.2.2010 (VII R 19/09) BStBl. 2010 II S. 729
Kein Auskunftsanspruch eines Miterben nach verwaltungsintern getroffener
Feststellung "erbschaftsteuerfrei"
1.
Einen Anspruch auf Überlassung von Kopien der von Kreditinstituten gemäß §
33 ErbStG eingereichten Anzeigen haben Erben nicht, wenn das Finanzamt die
Akte mit dem Vermerk "steuerfrei" geschlossen hat, ohne die Erben an dem
Verfahren zu beteiligen.
2.
Auch aus Treu und Glauben ergibt sich kein Informationsanspruch gegen das
Finanzamt, wenn die Auskunft nicht der Wahrnehmung von Rechten im
Besteuerungsverfahren dienen kann.
ErbStG § 33; FGO § 40; BGB §§ 2039, 242; AO
§§ 91, 364, 78.
Vorinstanz: Hessisches FG vom 15. Januar
2008 1 K 1448/07
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) und ihre beiden Brüder sind Miterben nach ihrem
im Februar 2002 verstorbenen Vater. Erbschaftsteuerbescheide ergingen nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah nach Prüfung
von Amts wegen von der Festsetzung von Erbschaftsteuer ab, da die
Steuerfreibeträge nicht überschritten waren. Zu dem Erbfall sind Anzeigen
von Kreditinstituten nach § 33 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) eingereicht worden.
2
Ende 2006 bat die Klägerin
das FA, ihr Kopien der von den Kreditinstituten eingereichten Anzeigen zu
überlassen, die sie im Erbschaftsstreit mit ihren Brüdern benötige. Das FA
lehnte das mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 16. Februar 2007, ab und
berief sich dabei auf das Steuergeheimnis, das im Interesse der beiden
Brüder zu schützen sei. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene
Klage, mit der die Klägerin die Überlassung der Kopien an die drei
Geschwister beantragte, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt die
Klage insoweit für unzulässig, als die Überlassung der Kopien auch an die
beiden Brüder beantragt worden war, und im Übrigen deshalb für unbegründet,
weil es an einem Überlassungsanspruch fehle. Solch ein Anspruch ergebe sich
außerhalb eines Besteuerungsverfahrens mangels der erforderlichen
"Sonderverbindung" auch nicht aus Treu und Glauben.
3
Mit ihrer Revision macht die
Klägerin geltend, sie habe nach Treu und Glauben einen Anspruch auf
Überlassung der erbetenen Kopien der Mitteilungen, die Kreditinstitute dem
FA nach § 33 ErbStG eingereicht hätten. Da sie Mitglied einer
Erbengemeinschaft sei, habe sie die Überlassung nicht nur an sich selbst,
sondern an alle Mitglieder der Erbengemeinschaft beantragt. Eine Verletzung
des Steuergeheimnisses scheide deshalb entgegen der Ansicht des FA von
vornherein aus. Für das FA sei es ein Leichtes, dem Antrag zu entsprechen,
während es für sie, die Klägerin, ohne diese Hilfestellung kaum möglich sei,
festzustellen, ob ihr Vater über die ihr bekannten Konten hinaus noch
weitere Bankverbindungen unterhalten habe.
Entscheidungsgründe
II.
4
Die Revision ist unbegründet und war
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das
Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
5
1. Soweit die Klägerin mit der Klage den
Antrag auf Überlassung von Kopien an ihre Brüder gestellt hat, hat das FG
die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin ist insoweit
nicht klagebefugt i.S. des § 40 Abs. 2 FGO. Auch aus ihrer Stellung als
Mitglied der Erbengemeinschaft ergibt sich die Klagebefugnis nicht.
6
Zwar kann gemäß § 2039 Satz 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) jeder Miterbe die Leistung auf einen zum
Nachlass gehörenden Anspruch nur an alle Erben fordern. Bei der klageweisen
Durchsetzung eines solchen Anspruchs muss der Antrag auf Leistung an alle
Erben lauten. Der klagende Miterbe handelt in gesetzlicher
Prozessstandschaft, nicht als Vertreter der übrigen Erben (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 5. April 2006 IV ZR 139/05, BGHZ 167, 150).
7
Bei dem geltend gemachten Anspruch auf
Überlassung der Kopien der Anzeigen handelt es sich aber nicht um einen zum
Nachlass gehörenden Anspruch. Die Anzeigen sind dem FA von Kreditinstituten
gemäß § 33 ErbStG eingereicht worden. Danach hat, wer sich geschäftsmäßig
mit der Verwahrung oder Verwaltung fremden Vermögens befasst, diejenigen in
seinem Gewahrsam befindlichen Vermögensgegenstände und diejenigen gegen ihn
gerichteten Forderungen, die beim Tod eines Erblassers zu dessen Vermögen
gehörten oder über die dem Erblasser zur Zeit seines Todes die
Verfügungsmacht zustand, in der Regel innerhalb eines Monats, seitdem der
Todesfall dem Verwahrer oder Verwalter bekanntgeworden ist, dem für die
Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen.
Die Anzeigen dienen der vom FA vorzunehmenden Prüfung von Amts wegen, ob
Erbschaftsteuer festzusetzen oder von der Festsetzung wegen Nichterreichens
der Freibeträge abzusehen ist. Da Schuldner der Erbschaftsteuer nach § 20
Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jeder einzelne
Erbe für den auf ihn entfallenden Erbteil ist und die Steuer gegen jeden
Erben gesondert festgesetzt wird, berührt dieses Besteuerungsverfahren die
Rechtsstellung der Erben als Rechtsnachfolger des Erblassers - anders als
bei der Einkommensteuerfestsetzung für den Verstorbenen - nicht. Einen
Anspruch aus dem Nachlass kann es insoweit nicht geben.
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2. Die Klage ist unbegründet, soweit die
Klägerin die Überlassung der Kopien an sich selbst verlangt.
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a) Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 364
der Abgabenordnung (AO). Danach sind den Beteiligten, soweit es noch nicht
geschehen ist, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die
Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Die
Anzeigen der Kreditinstitute stellen zwar zweifellos Unterlagen für die
Erbschaftsbesteuerung dar. Die Klägerin ist aber nicht Beteiligte i.S. von §
364 AO. Wegen der Stellung der Norm im Abschnitt der Verfahrensvorschriften
des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ergibt sich die
Begriffsbestimmung des Beteiligten aus § 359 AO. Beteiligte sind danach der
oder die Einspruchsführer und die Hinzugezogenen. Die dadurch bedingte
Beschränkung der Anspruchsberechtigten gegenüber dem Beteiligtenbegriff des
§ 78 AO rechtfertigt sich aus der besonderen Funktion der Vorschrift, ein
rechtsstaatlich geordnetes Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere unter
Beachtung des Anspruchs des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör,
sicherzustellen (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl., § 364; Tipke in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 364 AO Rz 1). Das
heißt, die Mitteilung der Unterlagen der Besteuerung soll in der jeweiligen
Steuerveranlagung gewährleisten, dass der Verfahrensbeteiligte zu den in den
Unterlagen dokumentierten Tatsachen Stellung nehmen und so seine Rechte in
dem Besteuerungsverfahren uneingeschränkt wahrnehmen kann. Ist dieses
Verfahren abgeschlossen, ohne dass es zu einem Rechtsbehelf gekommen ist,
kann die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen diese Funktion nicht mehr
erfüllen. Für den geltend gemachten Anspruch besteht kein berechtigtes
Interesse mehr. So liegt es im Streitfall. Der Anspruch der Klägerin kann
nicht auf § 364 AO gestützt werden, da das Besteuerungsverfahren, sofern man
gegenüber der Klägerin überhaupt von einem solchen Verfahren sprechen kann,
bei Antragstellung ohne Steuerfestsetzung abgeschlossen und die Klägerin nie
Beteiligte i.S. des § 364 AO war.
10
b) Ein Recht auf Auskünfte aus den
Verwaltungsakten des FA außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens kann auch
nicht aus einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA
hergeleitet werden.
11
Die AO enthält - anders als andere
Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und §
147 der Strafprozessordnung - keine Regelung, nach der ein Anspruch auf
Akteneinsicht besteht. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger
Rechtsprechung geklärt hat, ist ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91
Abs. 1 AO und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung
(AEAO) noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Allerdings
geht der BFH in ständiger Rechtsprechung - ebenso wie die Finanzverwaltung
in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO - davon aus, dass dem während eines
Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder
seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung
der Behörde zusteht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juni 2003 VII B 138/01,
BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790, m.w.N.).
12
Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über die Herausgabe der gewünschten Kopien scheitert bereits an
der Voraussetzung, dass er nicht während eines Verwaltungsverfahrens geltend
gemacht worden ist. Denn das in der Prüfung einer Erbschaftsteuerpflicht
liegende Verwaltungsverfahren war jedenfalls mit der Feststellung
"steuerfrei" beendet. Ebenso wie beim Anspruch nach § 364 AO geht es auch
bei dem hier geprüften Akteneinsichtsrecht um die Gewährleistung des
rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten. Nach Abschluss des Verfahrens
fehlt es auch hier an dem für dieses Verfahren erforderlichen Interesse an
der Kenntnis der Unterlagen.
13
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin
kann sie sich auch nicht auf einen sich aus Treu und Glauben ergebenden
Auskunftsanspruch berufen.
14
aa) Die Pflicht, Treu und Glauben zu
genügen (§ 242 BGB), erstreckt sich, weil auf einem allgemeinen
Rechtsgedanken beruhend, auch auf das öffentliche Recht (vgl. Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 19938 C 46/91, BVerwGE 92, 8,
m.w.N.). Sie ist dementsprechend auch im Steuerrecht als allgemeiner
Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar
1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733; vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158,
31, BStBl II 1989, 990, unter II.1., und vom 8. Februar 1995 I R 127/93,
BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764, unter II.C.4., jeweils m.w.N.) und
verlangt die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen
Beteiligten im Steuerrechts-(Steuerpflicht-, Steuerschuld-)Verhältnis. Der
Grundsatz von Treu und Glauben ist unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee
ableitbar und aus sich heraus Rechtsquelle (BFH-Urteil in BFHE 158, 31,
BStBl II 1989, 990).
15
Ein Steuerrechtsverhältnis zwischen FA und
Erbschaftsteuerpflichtigen besteht aber nach Abschluss des
Besteuerungsverfahrens nicht mehr. Doch selbst wenn man in Nachwirkung eines
abgeschlossenen Verfahrens gewisse Verpflichtungen des FA aus Treu und
Glauben gegenüber den ehemals Verfahrensbeteiligten anerkennen könnte,
ergäbe sich daraus im Streitfall kein Anspruch der Klägerin. Denn ein - auf
Festsetzung von Erbschaftsteuer gerichtetes - Steuerrechtsverhältnis mit der
Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt bestanden. Das Verwaltungsverfahren befand
sich im Zeitpunkt der mit Stempelaufdruck auf der "Mitteilung über
Sterbefall" intern getroffenen Feststellung "steuerfrei" noch im Stadium der
Vorprüfung, ob überhaupt ein Besteuerungsverfahren einzuleiten war. Das FA
hat dementsprechend auch keine Steuererklärung von einem der am Erbfall
Beteiligten gemäß § 31 ErbStG verlangt.
16
bb) Etwas anderes ergibt sich entgegen der
Ansicht der Klägerin auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH. Danach
gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen
Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden
Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in
entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im
Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur
Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen
(BGH-Urteil vom 6. Februar 2007 X ZR 117/04, Neue Juristische Wochenschrift
- NJW - 2007, 1806, m.w.N.).
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Der BGH hatte, wie schon das Reichsgericht
in der Grundsatzentscheidung vom 4. Mai 1923 II 310/22 (RGZ 108, 1), über
Auskunftsansprüche gegen einen auf Schadenersatz Verklagten im Hinblick auf
das Bestehen und den Umfang des Schadenersatzanspruchs zu entscheiden. Die
rechtliche Sonderverbindung zwischen Auskunftsberechtigtem und
-verpflichtetem, aus der dem Auskunftsberechtigten Ansprüche zustehen
könnten, sah der BGH in dem den Schadenersatzanspruch begründenden
Rechtsverhältnis, wenn die Auskunft Voraussetzung für die schlüssige
Darlegung des Schadenersatzanspruchs ist.
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Übertragen auf den Streitfall setzte ein
auf Treu und Glauben gründender Auskunftsanspruch der Klägerin gegenüber dem
FA eine rechtliche Sonderverbindung zwischen ihnen voraus, in deren Rahmen
die Klägerin zur Wahrung ihrer Rechte auf die Auskunft angewiesen ist. Eine
solche Sonderverbindung bestand im Zeitpunkt der Geltendmachung des
Auskunftsanspruchs nicht. Wie bereits erörtert, begründete die Prüfung der
Erbschaftsteuerpflicht durch das FA nach dem Tod des Vaters der Klägerin
keinerlei Rechtsbeziehung zwischen FA und der Klägerin, die als
Sonderverbindung im Sinne der BGH-Rechtsprechung angesehen werden könnte.
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Außerdem benötigt die Klägerin die
gewünschten Unterlagen nicht zur Wahrung von Rechten gegenüber dem FA,
sondern im Erbschaftsstreit mit ihren Brüdern. Es liegt auf der Hand, dass
selbst aus einer bestehenden abgabenrechtlichen "Sonderverbindung" keine
Treuepflicht zur Unterstützung verfahrensfremder Zwecke abzuleiten ist.
20
cc) Nach alledem kommt es nicht darauf an,
dass sich die Klägerin die erforderlichen Informationen möglicherweise nicht
selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann (vgl. Palandt/ Heinrichs,
Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 261 Rz 12, MünchKommBGB/Krüger, 5.
Aufl., § 260 Rz 18 f.) und dass die Auskunft vom FA "unschwer" erteilt
werden könnte (BGH-Urteil in NJW 2007, 1806, m.w.N.).
21
Auch die Frage, ob das FA der Klägerin
möglicherweise ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse, etwa das
Steuergeheimnis gemäß § 30 AO bezüglich der steuerlichen Verhältnisse des
Erblassers auch über dessen Tod hinaus entgegenhalten könnte, bedarf
hiernach keiner Erörterung.
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