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BFH-Urteil vom 11.11.2009 (IX R 1/09) BStBl. 2010 II S. 746
Steuerwirksame Gestaltung des Zuflusses einer Abfindung
Arbeitgeber und Arbeitnehmer können den Zeitpunkt des Zuflusses einer
Abfindung oder eines Teilbetrags einer solchen beim Arbeitnehmer in der
Weise steuerwirksam gestalten, dass sie deren ursprünglich vorgesehene
Fälligkeit vor ihrem Eintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
BetrVG § 77 Abs. 4; AO § 42; EStG § 11
Abs. 1 Satz 1.
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg,
Außensenate Freiburg, vom 20. November 2008 3 K 101/05 (EFG 2009, 394)
Sachverhalt
I.
1
Die Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) werden im Streitjahr 2000 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erhielt von ihrem früheren
Arbeitgeber (A GmbH) anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine
Abfindung in Höhe von 75.000 DM. Hierzu enthält die maßgebliche
Betriebsvereinbarung (Sozialplan) vom 26. September 2000 folgende Regelung:
"Die Abfindung wird bei rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit
A... fällig und ist bereits vor Fälligkeit vererblich. Erhebt allerdings ein
Arbeitnehmer gegen eine ihm erklärte Kündigung Kündigungsschutzklage, tritt
Fälligkeit erst nach Abschluss des Klageverfahrens, infolgedessen das
Arbeitsverhältnis endet, ein." Die Betriebsvereinbarung endete nach
Abschluss der in einem sog. Interessenausgleich aufgeführten personellen
Maßnahmen. Auf der Grundlage des Interessenausgleichs schlossen die
Klägerin, die A GmbH und die A+B GmbH einen dreiseitigen Vertrag über die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin bei der A GmbH und die
Begründung eines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der
Auffanggesellschaft A+B GmbH. Danach endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf
des 14. November 2000; mit Wirkung zum 15. November 2000 trat die Klägerin
in das bis zum 30. November 2002 befristete neue Arbeitsverhältnis ein. Eine
etwaige Abfindung nach dem Interessenausgleich und dem Sozialplan sollte
direkt von der A GmbH an den jeweiligen Mitarbeiter abgerechnet und
ausbezahlt werden. Der Vertrag wurde mit Unterzeichnung durch alle drei
Vertragsparteien wirksam. Er wurde von der A GmbH am 17. Oktober 2000, von
der Klägerin am 31. Oktober 2000 und von der A+B GmbH am 15. November 2000
unterschrieben. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2000 bestätigte die A GmbH der
Klägerin ihren Abfindungsanspruch nach dem Sozialplan in Höhe von 75.000 DM
im Einzelnen wie folgt: "Wie ebenfalls besprochen und von Ihnen gewünscht,
wird der steuerpflichtige Teil der Abfindungszahlung in Höhe von 51.000 DM
im Januar zur Auszahlung gebracht. Die Auszahlung des steuerfreien Anteils
der Abfindung in Höhe von 24.000 DM erfolgt bei Austritt mit der
Novemberabrechnung." Die Abfindung wurde entsprechend ausgezahlt.
2
In der
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 erklärte die Klägerin den
steuerpflichtigen Teil der Abfindung in Höhe von 51.000 DM nicht. Die
Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 enthält den zweiten
Abfindungsteilbetrag von 51.000 DM als Versorgungsbezüge für mehrere Jahre.
3
Nachdem der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Klägerin zunächst antragsgemäß
für das Jahr 2000 veranlagt hatte, teilte er im Dezember 2002 mit, dass der
Klägerin die gesamte Abfindung bereits im Jahr 2000 zugeflossen sei. Im
Einkommensteuerbescheid für 2001 ließ das FA den Teilbetrag von 51.000 DM
außer Ansatz. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erließ es
einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2000 und erfasste von
der Abfindung einen Betrag von 5.004 DM als laufenden Arbeitslohn
(Weihnachtsgeld) sowie den steuerpflichtigen Restbetrag in Höhe von
45.996 DM als ermäßigt nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
zu besteuernde Abfindung. Im Bescheid für das Jahr 2000 wurden
Nachzahlungszinsen von 217 € festgesetzt.
4
Der Einspruch gegen den
geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 blieb ohne Erfolg. Das
Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (Entscheidungen der
Finanzgerichte 2009, 394). Das FA habe den steuerpflichtigen Abfindungsteil
in Höhe von 51.000 DM zu Unrecht bereits im Jahr 2000 erfasst.
5
Hiergegen richtet sich die
Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts rügt. Mit
dem Sozialplan sei die Fälligkeit der Abfindungszahlung zwingend auf den
Zeitpunkt des Ausscheidens festgelegt worden. Danach habe bereits im Jahr
2000 die wirtschaftliche Verfügungsmacht der Klägerin über die gesamte
Abfindung bestanden, von der sie durch Abschluss des dreiseitigen Vertrages
Gebrauch gemacht habe. Hiermit sei die bereits bestehende Fälligkeit
hinausgeschoben worden, was eine wirtschaftliche Verfügung der Klägerin über
die Forderung darstelle, die zum Zufluss führe.
6
Das FA beantragt, das Urteil
des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Die Kläger beantragen, die
Revision zurückzuweisen.
8
Die Stundung des zweiten
Teils der Abfindungszahlung bis zum Januar des Jahres 2001 habe den Zufluss
hinausgeschoben, nicht aber selbst bewirkt.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zutreffend
hat das FG entschieden, dass die Abfindung der Klägerin in Höhe des
Teilbetrags von 51.000 DM erst im Januar 2001 mit der Auszahlung zugeflossen
ist.
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1. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG sind
Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem
Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nicht laufend gezahlter Arbeitslohn ist
in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Der
Zufluss ist zu bejahen, sobald der Steuerpflichtige über den Arbeitslohn
wirtschaftlich verfügen kann. Die Fälligkeit eines Anspruchs allein - vor
seiner Erfüllung - führt noch nicht zu einem gegenwärtigen Zufluss.
Entscheidend ist allein der uneingeschränkte, volle wirtschaftliche Übergang
des geschuldeten Gutes oder das Erlangen der wirtschaftlichen
Dispositionsbefugnis darüber. Hierfür genügt es auch vor der Realisation des
Leistungserfolgs, dass der Gläubiger ohne weiteres Zutun des Schuldners die
Möglichkeit hat, den Leistungserfolg herbeizuführen (allgemeine Meinung,
vgl. Offerhaus, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2006, 317, 318, 320, m.w.N.).
11
Grundsätzlich können Gläubiger und
Schuldner einer Geldforderung im Rahmen der zivilrechtlichen Gestaltung des
Erfüllungszeitpunkts auch die steuerrechtliche Zuordnung der Erfüllung zu
einem Veranlagungszeitraum gestalten (vgl. BFH-Urteil vom 24. September 1985
IX R 2/80, BFHE 145, 507, BStBl II 1986, 284; Offerhaus, a.a.O., 321). Ist
es den Beteiligten etwa möglich, von vornherein die Zahlung einer Abfindung
für die Auflösung eines Dienstverhältnisses auf einen anderen Zeitpunkt als
den der Auflösung des Dienstverhältnisses zu terminieren, der für sie
steuerlich günstiger scheint, so kann es ihnen auch nicht verwehrt sein, die
vorherige Vereinbarung - jedenfalls vor der ursprünglich vereinbarten
Fälligkeit - im Einvernehmen und beiderseitigem Interesse wieder zu ändern
(Offerhaus, a.a.O., 321). Rechtsmissbrauch (§ 42 AO) kommt in derartigen
Fällen regelmäßig nicht in Betracht.
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2. Nach diesen Grundsätzen ist der zweite
Abfindungsteilbetrag von 51.000 DM der Klägerin nicht bereits im Jahr 2000,
sondern erst im Januar 2001 zugeflossen.
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Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise davon ausgegangen, dass durch das Hinausschieben der
Fälligkeit des zweiten Abfindungsteilbetrags die Klägerin nicht über diesen
selbst wirtschaftlich verfügt hat.
14
Ohne Verstoß gegen anerkannte
Auslegungsgrundsätze hat das FG angenommen, dass der Abfindungsanspruch der
Klägerin in Höhe von 51.000 DM beim Ausscheiden der Klägerin aus ihrem
ursprünglichen Arbeitsvertrag zum Ablauf des 14. November 2000 bereits mit
einer Fälligkeitsbestimmung auf den Januar 2001 entstanden ist. Insbesondere
ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG die Unterschrift der Klägerin auf
dem dreiseitigen Vertrag vom 31. Oktober 2000 sowie die vorangegangene
Unterschrift der alten Arbeitgeberin am 17. Oktober 2000 hinsichtlich der
Fälligkeitsbestimmung für maßgeblich erachtet hat. Denn nach der
vertraglichen Vereinbarung sollte die Abfindung von der A GmbH an ihre
Mitarbeiterin abgerechnet und ausbezahlt werden. Damit wurde der
Abfindungsteilbetrag im Jahr 2000 nicht fällig. Entsprechend konnte auch die
Fälligkeitsvereinbarung vor Entstehung der Forderung nicht als Disposition
über die Forderung als solche auszulegen sein.
15
Der finanzgerichtlichen Würdigung der
Vertragsgestaltung steht auch nicht eine etwaige Vorrangigkeit der
Fälligkeitsregelung im Sozialplan entgegen. Zwar gelten
Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 des
Betriebsverfassungsgesetzes unmittelbar und zwingend. Jedoch gilt nach
allgemeiner Meinung zwischen Betriebsvereinbarung und einzelvertraglicher
Regelung grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip (vgl. Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 2004 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244;
Berg in Däubler/Kittner/Klebe, Betriebsverfassungsgesetz, 11. Aufl., § 77
Rz 19, m.w.N.). Diese Günstigkeit der einzelvertraglich vereinbarten
Fälligkeit ergibt sich im Streitfall aus der von der Klägerin als
Arbeitnehmer intendierten günstigen steuerrechtlichen Auswirkung.
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