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BFH-Urteil vom 17.3.2010 (II R 3/09) BStBl. 2010 II S. 749
Anwendbarkeit des § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG a.F. bei zwangsweiser
Veräußerung einer Freiberufler-Einzelpraxis
1.
Eine Betriebsveräußerung innerhalb der in § 13a Abs. 5 ErbStG a.F.
bestimmten Behaltensfrist von fünf Jahren führt
auch dann zum Wegfall der Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und 2
ErbStG a.F., wenn sie aufgrund gesetzlicher Anordnung erfolgt.
2. Dies gilt auch für die
Veräußerung der Praxis eines Freiberuflers.
ErbStG a.F. § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1,
§ 12 Abs. 5; BewG § 96; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4.
Vorinstanz: FG Köln vom 18. Dezember 2008 9 K 2414/08 (EFG 2009, 422)
Sachverhalt
I.
1
Der minderjährige Kläger und
Revisionskläger (Kläger) ist Alleinerbe seines 2006 verstorbenen Vaters (V),
eines Arztes. Da der Kläger nicht über die für eine Fortführung der
freiberuflichen Praxis erforderliche Berufsqualifikation verfügte,
beantragten seine gesetzlichen Vertreter bei der zuständigen
Kassenärztlichen Vereinigung, den Vertragsarztsitz des V öffentlich
auszuschreiben. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausschreibung verkauften
sie die Praxis 2007 im Namen und für Rechnung des Klägers.
2
In seiner
Erbschaftsteuererklärung bezifferte der Kläger den Wert der zum Nachlass
gehörenden Arztpraxis mit insgesamt 306.326 EUR und beantragte, ihm für das
erworbene Betriebsvermögen die Steuerentlastungen des § 13a Abs. 1 und Abs.
2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Streitjahr
geltenden Fassung (ErbStG) zu gewähren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA -) lehnte dies jedoch ab und setzte gegen den Kläger
durch Bescheid vom 29. Oktober 2007 Erbschaftsteuer in Höhe von 67.920 EUR
fest, weil der Kläger die freiberufliche Praxis nicht fortgeführt habe, was
aber nach § 13a ErbStG zu verlangen sei.
3
Der Einspruch des Klägers
hatte nur insoweit Erfolg, als das FA die Erbschaftsteuer in seiner
Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2008 aus anderen Gründen auf 67.635 EUR
herabsetzte.
4
Die auf Gewährung der
Vergünstigungen nach § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG gerichtete Klage wies
das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
2009, 422 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab. Zwar seien
Betriebsvermögensfreibetrag und Bewertungsabschlag gemäß § 13a Abs. 1 und
Abs. 2 ErbStG auch beim Erwerb freiberuflichen Betriebsvermögens zu
berücksichtigen. Diese Vergünstigungen entfielen jedoch mit Wirkung für die
Vergangenheit, wenn und soweit der Erwerber das Betriebsvermögen innerhalb
der fünfjährigen Behaltensfrist des § 13a Abs. 5 ErbStG veräußere oder
aufgebe. Dass der minderjährige Kläger die Praxis des V nicht habe
fortführen können und dürfen, rechtfertige keine abweichende Beurteilung.
Auch eine erzwungene Veräußerung bewirke den Verlust der
Steuervergünstigungen des § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG.
5
Mit seiner Revision rügt der
Kläger Verletzung des § 13a Abs. 5 ErbStG. Die Veräußerung einer
freiberuflichen Praxis innerhalb der in § 13a Abs. 5 ErbStG vorgesehenen
Behaltensfrist von fünf Jahren stehe der Gewährung der Steuervergünstigungen
nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG nicht entgegen.
6
Der Kläger beantragt, das
Urteil des FG Köln vom 18. Dezember 20089 K 2414/08 und die
Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2008 aufzuheben und die Erbschaftsteuer
unter Änderung des Bescheids vom 29. Oktober 2007, geändert durch
Änderungsbescheid vom 28. Mai 2008 auf 21.714 EUR herabzusetzen.
7
Das FA beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG ist
zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger als Alleinerbe nach V zunächst
dessen Praxis als inländisches Betriebsvermögen i.S. des § 13a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 ErbStG von Todes wegen erwarb. Es hat zu Recht den
Standpunkt vertreten, dass der Kläger durch die Veräußerung der Praxis des V
den Tatbestand des § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 ErbStG erfüllt hat, weshalb ihm
die Vergünstigungen des § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG nicht gewährt werden
konnten.
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1. Der Freibetrag des § 13a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ErbStG und der verminderte Wertansatz nach dessen Abs. 2 werden u.a.
gewährt, wenn inländisches Betriebsvermögen i.S. des § 13a Abs. 4 Nr. 1
ErbStG beim Erwerb von Todes wegen auf den Erwerber übergeht. Inländisches
Betriebsvermögen i.S. des § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG ist, wie sich aus dem
Verweis dieser Vorschrift auf § 12 Abs. 5 ErbStG ergibt, auch das einem
freien Beruf dienende Vermögen (§ 12 Abs. 5 Satz 2 ErbStG i.V.m. § 96 des
Bewertungsgesetzes - BewG -). Das Betriebsvermögen bei freiberuflicher
Tätigkeit i.S. des § 96 BewG i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) umfasst insoweit die Wirtschaftsgüter, die
der Ausübung des freien Berufs dienen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 27. Mai 2009 II R 53/07, BFHE 225, 493, BStBl II 2009, 852). Das
freiberuflich genutzte Betriebsvermögen des V hat diese Eigenschaft nicht
durch seinen Tod verloren. Ertragsteuerlich wird beim Tod eines
Freiberuflers dessen Betrieb nicht zwangsweise aufgegeben, sondern geht
trotz der höchstpersönlichen Natur der Tätigkeit als freiberuflicher Betrieb
auf die Erben über (vgl. BFH-Urteile vom 29. April 1993 IV R 16/92, BFHE
171, 385, BStBl II 1993, 716; vom 15. November 2006 XI R 6/06, BFH/NV 2007,
436). Das Betriebsvermögen wird nicht zwangsläufig notwendiges
Privatvermögen (BFH-Urteile vom 12. März 1992 IV R 29/91, BFHE 168, 405,
BStBl II 1993, 36, und in BFH/NV 2007, 436); denn die mit dem Tod des
Freiberuflers verbundene Betriebseinstellung ist noch keine Betriebsaufgabe
(BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 436). Diese Beurteilung ist auch für die
Betriebsvermögenseigenschaft i.S. des § 13a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG maßgebend.
Der Fortbestand der Qualität als Betriebsvermögen hängt bei dessen Erwerb
von einem Freiberufler nicht tätigkeitsbezogen davon ab, dass der Erbe auch
die freiberufliche Tätigkeit des Erblassers fortsetzt. § 13a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 ErbStG stellt wegen der Anknüpfung an den Erwerb
von Betriebsvermögen vielmehr allein betriebsbezogen auf die
Aufrechterhaltung und Weiterführung des Betriebs des Erblassers ab
(BFH-Urteil in BFHE 225, 493, BStBl II 2009, 852).
10
2. Nach § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 ErbStG
fallen der Freibetrag oder Freibetragsanteil nach Abs. 1 der Vorschrift und
der verminderte Wertansatz nach deren Abs. 2 mit Wirkung für die
Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren nach dem
Erwerb u.a. einen Gewerbebetrieb oder einen Teilbetrieb oder einen Anteil an
einer Gesellschaft i.S. des § 18 Abs. 4 EStG veräußert. Der Gesetzeswortlaut
des § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfasst zwar die freiberufliche Einzelpraxis
nicht. Da § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG aber erkennbar an § 13a Abs. 4 Nr. 1
ErbStG anknüpft, ist dem Gesetzgeber bei der Abfassung des Abs. 5 Nr. 1
offensichtlich ein Redaktionsversehen unterlaufen (vgl. Urteil des FG
Hamburg vom 4. September 20073 K 91/06, EFG 2008, 700). Das Gesetz kann
schon aus systematischen Gründen nicht in dem Sinne verstanden werden, dass
die Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis vom Anwendungsbereich des
§ 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ausgeschlossen wäre. Vielmehr ergibt sich aus der
in § 12 Abs. 5 ErbStG i.V.m. § 96 BewG angeordneten Gleichbehandlung des
freiberuflichen und gewerblichen Betriebsvermögens, dass auch freiberufliche
Einzelpraxen von § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfasst werden (vgl. bereits
BFH-Urteil in BFHE 225, 493, BStBl II 2009, 852; R 63 Abs. 1 Satz 3 der
Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003; Weinmann in Moench/Weinmann, Erbschaft-
und Schenkungsteuergesetz, § 13a Rz 108; Wachter in Fischer/Jüptner/Pahlke,
ErbStG Kommentar, § 13a Rz 211; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, §
13a Rz 221; Philipp in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 3. Aufl., § 13a ErbStG Rz 73; Fumi,
EFG 2009, 425 (426); offen gelassen von Söffing in Wilms/Jochum,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13a Rz 136).
11
3. Anders als der Kläger meint, ist § 13a
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG nicht in Fällen, in denen die Veräußerung zwangsweise
oder sogar kraft gesetzlicher Anordnung erfolgt, teleologisch zu reduzieren.
Eine solche Notwendigkeit ergibt sich weder aus dem Sinn und Zweck des § 13a
ErbStG noch unter dem Gesichtspunkt einer verfassungskonformen Auslegung
(ebenso im Ergebnis Jülicher, a.a.O., § 13a Rz 166; Wachter, a.a.O.; Fumi,
a.a.O.).
12
a) § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG stellt seinem
Wortlaut nach alleine auf die Veräußerung des entsprechenden
Betriebsvermögens ab; die Norm enthält danach keinen Anhalt, dass
zwangsweise veranlasste Betriebsvermögensveräußerungen von ihrem
Anwendungsbereich ausgenommen sein könnten.
13
b) Nichts anderes ergibt sich aus dem Sinn
und Zweck des § 13a ErbStG.
14
aa) Der Gesetzgeber hat sich bei der
Schaffung des § 13a ErbStG von den Vorgaben leiten lassen, welche das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits in seinem Beschluss vom 22. Juni
19952 BvR 552/91 (BVerfGE 93, 165) zur Erbschaftsteuer aufgestellt hat.
Danach sei - so das BVerfG - der Gesetzgeber verpflichtet, bei der
Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen die durch Gemeinwohlbindungen und
-verpflichtungen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Betriebe zu
berücksichtigen und die Belastung so zu bemessen, dass die Fortführung des
Betriebs steuerlich nicht gefährdet werde. Diesen Vorgaben ist der
Gesetzgeber nachgekommen, indem er sich in § 13a ErbStG grundsätzlich für
die Gewährung von Steuervergünstigungen entschieden hat, wenn und soweit der
Betrieb in seinem Bestand fortgeführt wird (vgl. BFH-Urteil vom 11. November
2009 II R 63/08, BStBl II 2009, 305, BFH/NV 2010, 539). Danach ist nur
solches Betriebsvermögen begünstigt, das diese Eigenschaft durchgehend
sowohl beim bisherigen Rechtsträger als auch beim neuen Rechtsträger
(Erwerber) aufweist (BFH-Urteile vom 14. Februar 2007 II R 69/05, BFHE 215,
533, BStBl II 2007, 443; vom 10. Dezember 2008 II R 34/07, BFHE 224, 144,
BStBl II 2009, 312; in BFHE 225, 493, BStBl II 2009, 852).
15
bb) Mit diesen Vorgaben wäre es
unvereinbar, wenn statt auf die Fortführung des Betriebs durch den Erwerber
auf die Motive bei der Veräußerung abgestellt würde. Denn durch § 13a ErbStG
soll nur erreicht werden, dass eine Betriebsfortführung durch den Erwerber
nicht aus Gründen der Erbschaftsteuerbelastung scheitert. Der BFH hat im
Übrigen bereits in seinem Urteil vom 21. März 2007 II R 19/06 (BFH/NV 2007,
1321) für den Fall der zwangsweisen Auflösung einer GmbH durch Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen entschieden, dass der
Anwendungsbereich des § 13a Abs. 5 Nr. 4 Satz 2 Alternative 1 ErbStG nicht
durch teleologische Reduktion auf Fälle zu beschränken ist, in denen die
Auflösung der Kapitalgesellschaft freiwillig erfolgt, und ferner im Urteil
vom 16. Februar 2005 II R 39/03 (BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571) zu § 13
Abs. 2a Satz 3 ErbStG a.F. ausgeführt, dass der Wegfall der Steuerbefreiung
unabhängig davon eintritt, aus welchen Gründen das begünstigt erworbene
Betriebsvermögen veräußert oder der Betrieb aufgegeben wurde. Dies hat der
BFH zuletzt auch in seinem Urteil in BStBl II 2009, 305, BFH/NV 2010, 539
für § 13a Abs. 5 Nr. 3 ErbStG bestätigt und betont, dass die Norm nicht auf
die Gründe abstellt, die zu einer Entnahme geführt haben. Es ist nicht
erkennbar, warum für § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG angesichts seines alleine auf
die Veräußerung abstellenden Wortlauts etwas anderes gelten sollte.
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c) In der nicht auf die Gründe für die
Betriebsveräußerung abstellenden Ausgestaltung des § 13a Abs. 5 ErbStG liegt
auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Typisierung, die zu einer
einengenden verfassungskonformen Auslegung Anlass geben könnte (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 209, 143, BStBl II 2005, 571).
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