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BFH-Urteil vom 15.12.2009 (VII R 18/09) BStBl. 2010 II S. 758
Umsatzsteuervergütung aus Tätigkeit des Insolvenzschuldners nicht gegen
vorinsolvenzliche Steuerschulden aufrechenbar
Ein
vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer
freiberuflichen Tätigkeit erlangter Umsatzsteuervergütungsanspruch fällt in
die Insolvenzmasse, wenn er nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden
ist; das gilt auch bei Nutzung und Verwertung ausschließlich unpfändbarer
Gegenstände des Vermögens des Schuldners.
InsO §§ 35, 96 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 811
Abs. 1.
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom
26. Februar 2009 2 K 126/07 (EFG 2009, 1185)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) ist Verwalter in dem im Juli 2002 eröffneten
Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn L. Mit Zustimmung des Klägers
hat der Schuldner nach Eröffnung des Verfahrens seine selbstständige
Berufstätigkeit als ... wieder aufgenommen. Die von ihm für 2004
eingereichte Umsatzsteuererklärung, welcher der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA -) zugestimmt hat, weist einen Vergütungsbetrag von
... € aus. Diesen Betrag hat das FA auf rückständige Einkommensteuer des
Schuldners für 1996 umgebucht und dem Kläger darüber eine
Umbuchungsmitteilung erteilt. Als dieser der Umbuchung widersprach, weil er
meint, das Guthaben sei an die Masse auszukehren gewesen, hat das FA einen
Abrechnungsbescheid erlassen, gegen den sich die Klage richtet. Dieser hat
das Finanzgericht (FG) nach erfolglosem Einspruchsverfahren stattgegeben. Es
urteilte, der Aufrechnung des FA stehe das Aufrechnungsverbot des § 96
Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) entgegen, weil das FA nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Erstattungsbetrag zur Insolvenzmasse
schuldig geworden sei. Der Vorsteueranspruch gehöre entgegen der Auffassung
des FA zur Insolvenzmasse.
2
Gegen dieses Urteil richtet
sich die Revision des FA. Es meint, Umsatzsteuererstattungsansprüche aus
einer Tätigkeit, die mit unpfändbaren, mithin nicht zur Insolvenzmasse
gehörenden Gegenständen ausgeführt worden ist, fielen nicht in die
Insolvenzmasse. Auch sei es unbillig, wenn einerseits nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Hinweis auf das Urteil vom
7. April 2005 V R 5/04, BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848) von dem Schuldner
begründete Umsatzsteuerschulden keine Masseverbindlichkeit darstellten und
daher nicht beitreibbar seien, andererseits aber die Aufrechnung gegen in
dem insolvenzfreien Bereich entstandene Guthaben ausgeschlossen werde. Die
Auffassung des FG widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers bei
Neufassung des § 35 Abs. 2 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des
Insolvenzverfahrens (Hinweis auf BTDrucks 16/3227, S. 17).
Entscheidungsgründe
II.
3
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Urteil
des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
4
1. Eine Aufrechnung ist unzulässig, wenn
ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas
zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Zur
Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem
Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während
des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung. Das gilt insbesondere
auch für Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüche, bei denen gemäß
§ 46 Abs. 1 der Abgabenordnung der Vorbehalt des § 36 Abs. 1 InsO von
vornherein nicht eingreifen kann.
5
a) Nach § 35 Abs. 2 InsO hat der
Insolvenzverwalter allerdings, wenn der Schuldner eine selbstständige
Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit
auszuüben, gegenüber dem Schuldner zu erklären, ob Vermögen aus dieser
selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche
aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.
Gibt der Insolvenzverwalter nicht die Erklärung ab, dass Vermögen aus jener
Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehören soll (sog.
Freigabe), das betreffende Vermögen also vom Insolvenzbeschlag frei sein
soll, fallen die vom Schuldner durch die betreffende Tätigkeit neu
erworbenen Forderungen in die Insolvenzmasse. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht
dann einer Aufrechnung mit den vorinsolvenzlichen Schulden des
Insolvenzschuldners entgegen.
6
§ 35 Abs. 2 InsO ist indes im Streitfall
noch nicht anzuwenden, weil er erst ab dem 1. Juli 2007 gilt (Art. 6 des
Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BGBl I 2007, 509).
Allerdings kannte auch das bis dahin geltende Insolvenzrecht das (im
Wesentlichen richterrechtlich entwickelte) Institut der Freigabe (vgl. statt
aller Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 77). Eine solche Freigabe ist
jedoch im Streitfall, wie das FG erkannt hat, nicht erfolgt. Feststellungen,
die Anlass geben könnten, von einer Freigabe durch die künftige
freiberufliche Tätigkeit des Schuldners erworbener Vermögensgegenstände
auszugehen, sind nicht getroffen. Die vom FG festgestellte "Zustimmung" des
Insolvenzverwalters, dass der Schuldner seine freiberufliche Tätigkeit
während des Insolvenzverfahrens fortsetzt bzw. wieder aufnimmt, ist keine
"Freigabe". Eine Freigabe eines zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese
fallenden Vermögensgegenstandes und dessen Überführung in das insolvenzfreie
Vermögen des Schuldners setzt eine Willenserklärung des Insolvenzverwalters
voraus, aus welcher sich unmissverständlich dessen Wille zu einem dauernden
Verzicht auf die Massezugehörigkeit ergibt (vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember
2006 IX ZR 161/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report
Zivilrecht 2007, 845). Dafür ist nichts festgestellt oder auch nur geltend
gemacht.
7
b) Gegenstände, die nicht der
Zwangsvollstreckung unterliegen, also nicht pfändbar sind, und von deren
Nutzung durch den Schuldner das FG ausgegangen ist, gehören nach § 36 Abs. 1
InsO zwar von vornherein nicht zur Insolvenzmasse; ihre Nutzung oder
Verwertung beim Neuerwerb schließt jedoch dessen Zuordnung zur
Insolvenzmasse nicht aus, was sich unter der Geltung des § 35 Abs. 2 InsO
unschwer aus Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift folgern lässt, aber auch
für das hier noch anzuwendende alte Recht nicht anders zu beurteilen ist.
Auch dieses wollte den Neuerwerb im Interesse der Insolvenzgläubiger
umfassend zur Masse ziehen, so dass nur ein Verzicht des Insolvenzverwalters
hierauf den Insolvenzbeschlag aufheben bzw. verhindern konnte.
8
c) Der im Streitfall strittige, vom
Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer
freiberuflichen Tätigkeit erlangte Umsatzsteuervergütungsanspruch fällt
folglich in die Insolvenzmasse (vgl. schon BGH-Beschluss vom 20. März 2003
IX ZB 388/02, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2167). Aus dem BFH-Urteil
in BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848, wonach vom Schuldner während des
Insolvenzverfahrens durch Erwerbstätigkeit mit Hilfe unpfändbarer
Gegenstände begründete Umsatzsteuerschulden nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO zu den Masseschulden gehören sollen, lässt sich gegen diese gesetzlich
klar vorgegebene Beurteilung nichts gewinnen, ebenso wenig daraus, dass die
Zuordnung solcher Umsatzsteuerschulden zum insolvenzfreien Vermögen des
Schuldners zu der allerdings unbefriedigenden Rechtslage führt, dass neue
Aktiva dem Insolvenzbeschlag unterfallen, mit ihnen unmittelbar
zusammenhängende - unbeschadet der umsatzsteuerlichen Anknüpfung nicht an
das gezahlte (zweifellos in die Insolvenzmasse fallende) Entgelt, sondern an
die erbrachte Leistung gleichsam objektbezogene (vgl. dazu Urteil in BFHE
210, 156, BStBl II 2005, 848) - Steuern wie die Umsatzsteuer jedoch
außerhalb des Insolvenzverfahrens befriedigt werden müssen.
9
Unbillige Folgen der gesetzlichen Zuordnung
des ohne Zutun des Insolvenzverwalters Erworbenen und der damit unter
Umständen fehlenden Einstandspflicht der Masse für etwaige mit dem Neuerwerb
zusammenhängende Verbindlichkeiten werden neue Vertragspartner des
Insolvenzschuldners zwar in der Regel zu vermeiden wissen. Der Fiskus
befindet sich insofern freilich in einer anderen Lage, weil er keinen
Einfluss darauf hat, ob und in welchem Umfang sich Umsatzsteuer und
anrechenbare Vorsteuer aufgrund der Geschäftstätigkeit des
Insolvenzschuldners ausgleichen oder neben Umsatzsteuerzahllasten für
einzelne Veranlagungszeiträume (einstweilen in der Regel nicht beitreibbare
und infolge des § 96 Abs. 1 InsO auch nicht verrechenbare)
Umsatzsteuervergütungsansprüche entstehen. Hieraus kann den Fiskus jedoch
auch die Überlegung nicht befreien, dass solche Vergütungsbeträge infolge
der fehlenden rechtlichen Selbstständigkeit anzurechnender Vorsteuern
lediglich gleichsam negative Umsatzsteuerforderungen des Fiskus darstellen,
die zwar möglicherweise bei der Jahresveranlagung durch positive
Rechnungsposten zum Ausgleich kommen, mangels Beitreibbarkeit einer dann
ggf. ausgewiesenen Zahllast aber unter Umständen fiskalisch endgültig
verloren sind. Dies legt es zwar nahe, Schulden und Vergütungsforderungen
hinsichtlich ihrer Zuordnung zur Masse oder zum insolvenzfreien Vermögen des
Schuldners gleich zu behandeln. Es kann aber nichts an der grundsätzlich
auch für die insolvenzsteuerrechtliche Beurteilung maßgebenden
umsatzsteuerlichen Systematik ändern, dass bezogen auf die einzelnen
Veranlagungszeiträume die Steuerfestsetzung entweder in eine Steuerschuld
oder einen Vergütungsanspruch mündet, welche beide, wie ausgeführt,
insolvenzrechtlich eine unterschiedliche Zuordnung erfahren.
10
d) Es ist hier nicht zu erörtern, ob (auch
unter Berücksichtigung des eben erörterten Ungleichgewichts) durchgreifende
Argumente für die Zuordnung der durch eine insolvenzfreie Tätigkeit des
Schuldners entstehenden Umsatzsteuer zur Masse gefunden werden könnten (vgl.
dazu Obermair, Der Neuerwerb - eine unendliche Geschichte, Deutsches
Steuerrecht 2005, 1561; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18
Rz 822; Voigt/Gerke, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2002, 1054)
und ob eine solche Zuordnung insbesondere unter der Geltung des § 35 InsO
n.F. geboten ist, nachdem auch die Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes
zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens von der Auffassung ausgeht, ohne
Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO seien die durch den Neuerwerb begründeten
Verbindlichkeiten aus einer freiberuflichen Tätigkeit des Schuldners
Masseverbindlichkeiten, da insofern eine Verwaltungshandlung vorliege, was
auch für Verbindlichkeiten gelte, die der Schuldner unter Einsatz von
Gegenständen begründet, die nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung
unpfändbar sind (BTDrucks 16/3227, S. 17). Ebenfalls muss unerörtert
bleiben, ob Steuererstattungsansprüche, die der Schuldner aus einer ohne
Nutzung oder Verwertung zur Insolvenzmasse gehörender Vermögensgegenstände
betriebenen Tätigkeit erworben hat, vom FA mit Masseverbindlichkeiten
verrechnet werden könnten; denn eine solche Verrechnung hat das FA im
Streitfall nicht vorgenommen.
11
2. Die nach alledem unbegründete Revision
des FA war deshalb zurückzuweisen.
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