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BFH-Urteil vom 13.4.2010 (IX R 22/09) BStBl. 2010 II S. 790
Anteilsentnahme als Anschaffung i.S. von § 17 Abs. 2 EStG
Veräußert ein i.S. des § 17 EStG qualifiziert beteiligter Gesellschafter
Anteile an der Kapitalgesellschaft, die er zuvor aus seinem Betriebsvermögen
in sein Privatvermögen überführt hat, so tritt der Teilwert oder der gemeine
Wert dieser Anteile nur dann an die Stelle der (historischen)
Anschaffungskosten, wenn durch die Entnahme die stillen Reserven tatsächlich
aufgedeckt und bis zur Höhe des Teilwerts oder gemeinen Werts
steuerrechtlich erfasst sind oder noch erfasst werden können.
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 17 Abs. 1 und Abs.
2; HGB § 255 Abs. 1.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 14. Mai 2009
15 K 2503/07 E (EFG 2009, 1293)
Sachverhalt
I.
1
Die Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) sind Erben und Testamentsvollstrecker des
verstorbenen Dr. A. L. (Erblasser).
2
Der Erblasser war bereits
vor 1980 unmittelbar und mittelbar zu 26,74 % an der X Heimwerker und
Freizeitbedarf Handels GmbH (im Folgenden: GmbH) beteiligt. Die GmbH war
Komplementärin der X Heimwerker und Freizeitbedarf Handels GmbH & Co. KG (im
Folgenden: KG). Die Anteile des Erblassers an der GmbH waren zunächst
Sonderbetriebsvermögen II des Erblassers bei der KG. Im Zuge der Gründung
einer Beteiligungs- und Vermögensverwaltungsgesellschaft KGaA (im Folgenden:
KGaA) am 13. Juni 1980, in die der Erblasser seine Anteile an der KG
einbrachte, entnahm er seine Beteiligung an der GmbH in sein Privatvermögen.
Der Teilwert betrug nach den Feststellungen der Großbetriebsprüfung
2.430.540 DM. Ein Entnahmegewinn (2.430.540 DM abzüglich Nominalwert 14.000
DM) wurde wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft des
Feststellungsbescheids der KG für das Jahr 1980 steuerlich nicht erfasst.
3
Mit Wirkung zum 1. September
1985 (Streitjahr) veräußerte der Erblasser seine unmittelbare Beteiligung an
der GmbH (17,284 %, Nominalwert 14.000 DM) für 3 Mio. DM an die KGaA. Einen
Veräußerungsgewinn gab der Erblasser in seiner Einkommensteuererklärung für
das Jahr 1985 nicht an, weil er der Ansicht war, an der GmbH nicht
wesentlich beteiligt gewesen zu sein.
4
Nachdem der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) von der Anteilsveräußerung erfuhr,
änderte er den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und berücksichtigte darin einen
Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des
Streitjahres (EStG) von 2.986.000 DM (3 Mio. DM Veräußerungspreis abzüglich
Nominalwert der Anteile von 14.000 DM). Den hiergegen gerichteten Einspruch
wies das FA nach dem Erlass weiterer, den vorliegenden Streitpunkt nicht
betreffender Änderungsbescheide zurück.
5
Die Klage mit dem Begehren,
einen Veräußerungsgewinn als Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis (3
Mio. DM) und dem Entnahmewert (2.430.540 DM) in Höhe von 569.460 DM zu
berücksichtigen, war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem
in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1293 veröffentlichten Urteil die
Auffassung, der Entnahmewert trete an die Stelle der Anschaffungskosten.
Dies gelte auch dann, wenn die Entnahme steuerrechtlich nicht erfasst worden
sei. Denn § 17 EStG erfasse keine Wertveränderungen im Betriebsvermögen. Die
Vorschrift bilde keine Korrekturnorm, durch die das FA nachträglich eine
unterbliebene Besteuerung des Entnahmegewinns in früheren
Veranlagungszeiträumen nachholen oder ausgleichen könne.
6
Mit seiner Revision rügt das
FA die Verletzung von § 17 EStG. Es seien die gleichen Grundsätze anzuwenden
wie bei der Ermittlung der AfA-Bemessungsgrundlage. Ein Entnahmewert statt
der Anschaffungskosten sei nur dann anzusetzen, wenn die stillen Reserven
steuerlich erfasst worden seien.
7
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Die Kläger beantragen, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet und führt nach §
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Indem das FG den
Veräußerungsgewinn als Differenz von Veräußerungspreis und (nicht steuerlich
erfasstem) Entnahmewert ermittelt, verletzt es § 17 Abs. 2 EStG.
10
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb des
Erblassers gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der
Veräußerung von 17,284 % der Anteile an der GmbH, weil er innerhalb der
letzten fünf Jahre am Kapital der GmbH mit 26,74 % zu mehr als ein Viertel
(§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG) beteiligt war. Darüber streiten die Beteiligten
nicht (mehr).
11
2. Der Gewinn ist nach § 17 Abs. 2 EStG -
wie vom FA zutreffend ermittelt - mit 2.986.000 DM der Betrag, um den der
Veräußerungspreis von 3 Mio. DM den - als "historische" Anschaffungskosten
anzusetzenden - Nominalwert der Anteile von 14.000 DM (Nennkapital)
übersteigt (vgl. zu den historischen Anschaffungskosten Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. März 2005 VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl
II 2005, 398).
12
Die Anschaffungskosten werden entgegen der
Auffassung des FG nicht durch den Teilwert der in das Privatvermögen
entnommenen Anteile gebildet.
13
a) Der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete
Begriff "Anschaffungskosten" ist i.S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuches (HGB) auszulegen. Anteile an einer Kapitalgesellschaft
werden angeschafft, wenn sie entgeltlich erworben werden (vgl. zum Begriff
der Anschaffung BFH-Urteil vom 19. August 2008 IX R 71/07, BFHE 222, 484,
BStBl II 2009, 13, m.w.N.). Erwirbt der Steuerpflichtige z.B. Anteile durch
Gründung der Kapitalgesellschaft, so besteht die Gegenleistung (der
Anschaffungspreis) in den gesellschaftsrechtlichen Bar- und Sacheinlagen
(BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985,
320; vgl. zu Einzelheiten z.B. Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 17 Rz C 160; Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 202; Gosch in Kirchhof,
EStG, 8. Aufl., § 17 Rz 205; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 17 Rz
157).
14
b) Überführt der Steuerpflichtige Anteile
an einer Kapitalgesellschaft aus seinem Betriebs- in sein Privatvermögen,
erwirbt er sie mangels Rechtsträgerwechsels nicht und schafft sie deshalb
auch nicht i.S. von § 255 Abs. 1 HGB an. Dieser Vorgang erfüllt mithin nicht
das Tatbestandsmerkmal "Anschaffungskosten" in § 17 Abs. 2 EStG.
15
aa) Allerdings wird die Entnahme der
Anteile aus dem Betriebsvermögen als anschaffungsähnlicher Vorgang mit der
Folge angesehen, dass an die Stelle der "historischen" Anschaffungskosten
der Entnahmewert (Teilwert, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) tritt (BFH-Urteil vom 24.
Juni 2008 IX R 58/05, BFHE 222, 367, BStBl II 2008, 872, unter II.3.c,
m.w.N. aus dem Schrifttum).
16
bb) Dies gilt aber - wie bei der
vergleichbaren Bemessung der Absetzungen für Abnutzung nach der Entnahme
eines abnutzbaren Wirtschaftsguts (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3. Mai 1994 IX R
59/92, BFHE 174, 422, BStBl II 1994, 749) - nur dann, wenn durch die
Entnahme die stillen Reserven tatsächlich aufgedeckt und bis zur Höhe des
Teilwerts oder gemeinen Werts steuerrechtlich erfasst sind oder noch erfasst
werden können. Denn nur in diesem Fall besteht ein Grund, die
Geltungsanordnung des Gesetzes über den klaren Wortlaut hinaus teleologisch
zu reduzieren und Wertansätze unter den Begriff der Anschaffungskosten zu
subsumieren, die an sich nicht mit einem Erwerb der Anteile zusammenhängen.
Ist nämlich ein Entnahmegewinn im Betriebsvermögen steuerrechtlich erfasst
worden, käme es zu einer Doppelberücksichtigung der Wertsteigerungen, wenn
die Anteile später veräußert werden und der Gewinn als die Differenz von
Veräußerungspreis und (historischen) Anschaffungskosten ermittelt würde. Um
eine derartige Doppelberücksichtigung zu vermeiden, tritt der Teilwert (oder
der gemeine Wert) an die Stelle der historischen Anschaffungskosten
(BFH-Urteil in BFHE 222, 367, BStBl II 2008, 872, a.E.; so auch Eilers/R.
Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 207, Stichwort:
Anteilsbewertung bei Entnahme aus einem Betriebsvermögen, und Schneider, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 180 a.E.).
17
cc) Sind aber die stillen Reserven
tatsächlich nicht erfasst worden und können sie - aus welchen Gründen auch
immer - nicht mehr erfasst werden, so kann es zu keiner
Doppelberücksichtigung kommen. Einer einschränkenden Auslegung des § 17 Abs.
2 EStG bedarf es nicht. Die Wertsteigerungen werden entsprechend der
gesetzlichen Intention allein durch § 17 EStG der Besteuerung unterworfen.
Dabei zielt § 17 EStG entgegen der Vorinstanz (wie diese auch Pyszka in
GmbH-Rundschau 1998, 1173) nicht nur auf Wertsteigerungen im Privatvermögen.
Als Folge der Typisierung durch einen fest bestimmten Zeitrahmen
(Fünfjahreszeitraum) unterwirft § 17 Abs. 1 EStG alle Anteilsveräußerungen
der Besteuerung, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre
am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Woher die veräußerten
Anteile stammen, ob sie - wie hier - aus dem Betriebsvermögen entnommen, als
ursprünglich einbringungsgeborene entstrickt oder nachträglich - auch nach
Absinken der Beteiligung zu einer unwesentlichen - erworben wurden, ist
unerheblich (so explizit BFH-Urteil in BFHE 222, 367, BStBl II 2008, 872,
unter II.3.b). Nur dort, wo Wertsteigerungen bereits der Besteuerung
unterworfen wurden, muss § 17 EStG über seinen Wortlaut hinaus teleologisch
reduziert werden, damit es zu keiner Doppelberücksichtigung stiller Reserven
kommen kann.
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3. Da das FG-Urteil diesen Maßstäben nicht
entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage
abzuweisen. Denn abgesehen von der Gewinnermittlung sind die übrigen
Bestandteile des Steuertatbestandes außer Streit.
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