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BFH-Urteil vom 14.7.2010 (X R 34/08) BStBl. 2010 II S. 916
Billigkeitsmaßnahmen bei unternehmerbezogenen Sanierungen
Billigkeitsmaßnahmen nach den Vorgaben des BMF-Schreibens vom 27. März 2003
IV A 6 -S 2140- 8/03 (BStBl I 2003, 240) sind in Fällen von
unternehmerbezogenen Sanierungen nicht möglich.
AO § 227.
Vorinstanz: FG Köln vom 24. April 2008 6 K
2488/06 (EFG 2008, 1555)
Sachverhalt
A.
1
Die Kläger, Revisionskläger
und Revisionsbeklagten (Kläger) haben 1984 zusammen mit R als Miteigentümer
das Grundstück E in K sowie 1988 das Grundstück "Haus L" in B erworben. Sie
gründeten für jedes Objekt eine GbR, bauten die Objekte als Tagungshotels um
und führten dort gegen Entgelt verschiedenste Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
durch.
2
Der Beklagte,
Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte die
Einkünfte der beiden GbR jeweils einheitlich und gesondert fest und
veranlagte die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer. Seit 1990
erwirtschaftete die L-GbR durchgehend Verluste. Dies führte bei der
Einkommensteuer der Kläger zu Verlustvorträgen.
3
Das Haus L wurde 1995 unter
Fortführung des Gewerbebetriebs verpachtet. Das Objekt E wurde 1996/1997
veräußert. Diese GbR wurde aufgelöst. Nach Beendigung ihrer aktiven
Tätigkeit in den beiden GbR führten die Kläger Teile des Angebots im eigenen
Namen weiter. Mit den daraus erzielten Einnahmen aus selbständiger und
nichtselbständiger Arbeit sowie Gewinnen aus der Auflösung der E-GbR wurde
der Verlustvortrag verrechnet. Ende 1997 verblieb den Klägern ein
Verlustvortrag in Höhe von 72.905 DM.
4
1998 wurde die L-GbR
aufgelöst und 1999 das Haus L zwangsversteigert. Die L-GbR war mit 2 Mio. DM
bilanziell überschuldet. Hauptgläubiger waren die Volksbank R und die
Eheleute C, die Erwerb und Umbau des Objekts Haus L finanziert hatten. Von
den 4 Mio. DM Verbindlichkeiten konnten 1,4 Mio. DM durch den
Versteigerungserlös getilgt werden. Der Versteigerungserlös unterschritt den
Buchwert des Grundstücks (1,9 Mio. DM) deutlich. In der Folgezeit schlossen
die Kläger und R mit den beiden Hauptgläubigern der L-GbR
Vergleichsvereinbarungen. Danach sollten mit der Zahlung bestimmter Beträge
alle Ansprüche abgegolten sein. Im Ergebnis wurden von den 4.044.473 DM
Verbindlichkeiten 2.268.194 DM gezahlt bzw. von anderen Gläubigern weiterhin
kreditiert. Die restlichen 1.776.279 DM haben die Gläubiger der L-GbR Anfang
2002 erlassen (§ 397 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -). Den
Beteiligungsquoten an der L-GbR entsprechend entfallen hiervon 15,5 % (=
275.323,25 DM) auf den Kläger und 35,5 % (= 630.579,29 DM) auf die Klägerin.
5
Mit Schriftsätzen vom 9.
November, 14. und 30. Dezember 2004 beantragten die Kläger, die
Einkommensteuer für die Streitjahre 1998 bis 2002 zu erlassen, soweit darin
ein Sanierungsgewinn enthalten sei. Das FA lehnte den Antrag ab.
6
Die nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) hat mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1555
veröffentlichtem Urteil erkannt, die Ablehnung des FA, die Einkommensteuer
1998 zu erlassen, sei rechtswidrig i.S. des § 102 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Für die Jahre 1999 bis 2002 habe das FA
ermessensfehlerfrei entschieden, dass die Voraussetzungen eines Erlasses (§
227 der Abgabenordnung - AO -) wegen sachlicher Unbilligkeit nicht gegeben
seien.
7
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger Verletzung materiellen Rechts.
8
Im erstinstanzlichen
Verfahren sei auch streitig gewesen, ob die Frage des Erlasses des
Sanierungsgewinns aus sachlichen Billigkeitsgründen im Rahmen der
einheitlich und gesonderten Gewinnfeststellung der L-GbR oder auf der Ebene
der Gesellschafter bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger zu
entscheiden sei. Das FG habe - aus Sicht der Kläger zutreffend - erkannt,
dass diese Frage im Streitfall zu klären sei. Es habe die Klage gegen den
Gewinnfeststellungsbescheid 1998 abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.
Gegen das Urteil des FG vom 24. April 2008 6 K 2489/06 (EFG 2009, 811)
hätten die Kläger fristwahrend Nichtzulassungsbeschwerde erhoben (IV B
86/08).
9
Zutreffend sei das FG davon
ausgegangen, dass auch nach Abschaffung des § 3 Nr. 66 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. Billigkeitsmaßnahmen bei
unternehmerbezogenen Sanierungen ebenfalls erforderlich seien. Im Übrigen
liege im Streitfall nach den Begriffsbestimmungen der ständigen
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine unternehmer-, sondern eine
unternehmensbezogene Sanierung vor. Daher sei das FA schon aufgrund des
Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. März 2003 IV A
6 -S 2140- 8/03 (BStBl I 2003, 240) zum Erlass der auf dem Sanierungsgewinn
beruhenden Einkommensteuer der Kläger verpflichtet. Der BFH gehe von einer
unternehmerbezogenen Sanierung aus, wenn sich der Schuldner ins Privatleben
zurückziehe, einen neuen Betrieb aufmache oder sich in ein unselbständiges
Angestelltenverhältnis begebe. All diese Voraussetzungen würden auf die
Kläger nicht zutreffen. Sie seien schon vor dem Schuldenerlass, während der
Sanierung und schon Jahre vor der Sanierung neben ihrer Beteiligung an der
L-GbR einzelunternehmerisch tätig gewesen. Der Schuldenerlass habe zum
Erhalt der bereits bei Beginn der Sanierung vorhandenen Unternehmen der
Kläger beigetragen. Diese Begriffsbestimmung sei vom BFH in jüngster Zeit
(Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 X R 42/03, BFH/NV 2006, 715) bestätigt
worden.
10
Nicht unberücksichtigt
bleiben dürfe, dass der Kläger Berufsbetreuer nach §§ 1896 ff. BGB sei und
beide Kläger im Rahmen der Insolvenzberatung und der außergerichtlichen
Schuldenbereinigung arbeiten würden. Entgegen der Behauptung des FA sei es
ihnen daher nicht möglich, eine Restschuldbefreiung über ein
Insolvenzverfahren zu erreichen, ohne ihre berufliche Existenz zu verlieren.
Im Übrigen könnten nach dem BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 IV C 6 - S
2140/07/10001-01 (BStBl I 2010, 18) auch Sanierungsgewinne aus einer
Restschuldbefreiung oder einer Verbraucherinsolvenz erlassen werden. Rz 2
Satz 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 2003, 240 sei nicht anwendbar. Damit
bestätige das BMF erstmals die Anwendbarkeit des BMF-Schreibens in BStBl I
2003, 240 auf unternehmerbezogene Sanierungen. Die Bevorzugung der Schuldner
in einem gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren gegenüber denjenigen,
die eine außergerichtliche Schuldenbereinigung erreichen würden, wäre ein
Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -). Auch
sei - wie das FG zutreffend ausgeführt habe - kein sachlicher Grund
ersichtlich, die unternehmerbezogene Sanierung im Vergleich zur
unternehmensbezogenen Sanierung nicht zu begünstigen. Solle nach dem
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 ein Sanierungsgewinn begünstigt werden,
soweit keine Doppelbegünstigung durch die unbeschränkte
Verlustverrechnungsmöglichkeit und die gleichzeitige Steuerfreiheit des
Sanierungsgewinns entstehe, müsse auch die unternehmerbezogene Sanierung zu
einem Billigkeitserlass führen. Diese Auslegung entspreche zudem der
Systematik des Einkommensteuerrechts, wonach nicht der Betrieb, sondern die
natürliche Person Steuersubjekt sei.
11
Dem BMF-Schreiben in BStBl I
2003, 240 sei nicht zu entnehmen, dass Verluste und Verlustvorträge zunächst
mit dem ermäßigt besteuerten Sanierungsgewinn und nicht vorrangig mit
positiven laufenden Einkünften zu verrechnen seien. Betrachte man die
Begründung der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. und die Einführung von
Billigkeitsmaßnahmen durch das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, werde im
Gegenteil deutlich, dass nur Verlustvorträge oder laufende Verluste, die
nicht mit laufenden Einkünften verrechnet werden könnten, gegen einen
Sanierungsgewinn zu verrechnen seien. § 3 Nr. 66 EStG a.F. sei nach der
Gesetzesbegründung abgeschafft worden, weil zwischenzeitlich eine
unbegrenzte Verlustverrechnungsmöglichkeit bestanden habe. Deshalb setze der
Gesetzeszweck logisch und zwingend voraus, dass die
Verlustverrechnungsmöglichkeit, die sich vor Entstehen des Sanierungsgewinns
nur auf sonstige laufende Einkünfte des Steuerpflichtigen beziehen könne,
fortbestehen müsse. Das FG habe daher den Verlustvortrag der Kläger in Höhe
von 72.905 DM sowie die laufenden Verluste des Jahres 1998 zutreffend mit
den sonstigen laufenden Einkünften der Kläger verrechnet.
12
Zu Unrecht habe das FG den
Anspruch der Kläger auf Erlass der Einkommensteuer 1999 bis 2002 verneint.
Werde nicht der gesamte im Jahr 1998 erzielte Sanierungsgewinn in vollem
Umfang steuerfrei gestellt, wie es § 3 Nr. 66 EStG a.F. bis 1997 vorgesehen
habe, komme es zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot und den Grundsatz
der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. seien
Sanierungsgewinne weder mit laufenden Verlusten noch mit Verlustvorträgen zu
verrechnen gewesen; vielmehr sei ein Sanierungsgewinn bei der Ermittlung der
Einkünfte gänzlich unberücksichtigt geblieben. Der Sanierungsgewinn der
Klägerin in Höhe von 630.579 DM und des Klägers in Höhe von 275.323 DM sei
daher von dem im Einkommensteuerbescheid 1998 enthaltenen Veräußerungsgewinn
abzuziehen. Einschließlich des laufenden Verlustes führe dies zu negativen
Einkünften aus Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 526.466 DM und des
Klägers in Höhe von 229.866 DM. Der negative Gesamtbetrag der Einkünfte des
Jahres 1998 betrage 607.228 DM und gemeinsam mit dem Verlustvortrag zum 31.
Dezember 1997 verbleibe zum 31. Dezember 1998 ein Verlustvortrag in Höhe von
680.133 DM. Dieser Verlustvortrag führe in den Jahren 1999 bis 2002 zu einer
Einkommensteuer von 0 DM.
13
Im Übrigen hätten die Kläger
lange vor Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. die Verfügungsbefugnis über
das Gesellschaftsvermögen der L-GbR verloren und Sanierungsverhandlungen mit
den Gläubigern aufgenommen. Auch wenn mit der nachträglichen Verlängerung
des zeitlichen Geltungsbereichs des § 3 Nr. 66 EStG a.F. auf das Jahr 1997
nicht mehr von einer echten Rückwirkung auszugehen sei, liege doch im
Streitfall eine unzulässige unechte Rückwirkung vor. Das Vertrauen der
Kläger sei schutzwürdig, weil die Sanierungsbemühungen vor der erstmaligen
Veröffentlichung der Pläne des Gesetzgebers zur Abschaffung des § 3 Nr. 66
EStG a.F. begonnen hätten (so auch Kanzler in Hermann/Heuer/Raupach - HHR -,
§ 3 Nr. 66 EStG, Rz G 2, S. 3 unten, 191. Lieferung Januar 1998). Die L-GbR
sei bereits 1995 überschuldet gewesen und die Gläubiger, die 2002 einen Teil
der Verbindlichkeiten erlassen haben, hätten bereits 1995 die
Zwangsverwaltung und -versteigerung beantragt.
14
Die Kläger beantragen, das
FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es die Klage hinsichtlich des Erlasses
der Einkommensteuer 1999 bis 2002 abgewiesen hat und das FA zu verpflichten,
die Einkommensteuer der Kläger auch für diese Jahre in voller Höhe zu
erlassen, hilfsweise das FA zu verpflichten, den Antrag auf Erlass der
Einkommensteuer für 1999 bis 2002 aus sachlichen Billigkeitsgründen unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden sowie die
Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
15
Das FA beantragt, das
FG-Urteil aufzuheben, soweit es das Streitjahr 1998 betrifft, und die Klage
auch insoweit abzuweisen sowie die Revision der Kläger zurückzuweisen.
16
Mit seiner Revision rügt das
FA Verletzung von §§ 5, 227 AO und §§ 101, 102 FGO. Im Streitfall sei von
einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen. Nach der Entscheidung des
BFH in BFH/NV 2006, 715 liege eine solche vor, wenn u.a. dem Schuldner der
Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position
ermöglicht werden soll. Die Fortführung eines bereits bestehenden weiteren
Betriebs des/der Schuldner sei nicht anders zu beurteilen. Dies habe auch
das FG zutreffend angenommen. Zu Unrecht habe es auf die unternehmerbezogene
Sanierung jedoch die Kriterien des § 3 Nr. 66 EStG a.F. angewendet. Es habe
übersehen, dass § 227 AO der Finanzbehörde ein Ermessen sowohl hinsichtlich
der Voraussetzungen einer Unbilligkeit als auch hinsichtlich der
Rechtsfolgen einräume. Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde sei nach
§ 102 FGO nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar. Für
Billigkeitsmaßnahmen anlässlich von Sanierungsmaßnahmen habe die
Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 allgemeine Grundsätze
für die Ermessensausübung entwickelt. Danach sei ein Erlass von
Einkommensteuer nur bei einer unternehmensbezogenen Sanierung möglich. Aus
wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen solle die Sanierung eines
lebenden Betriebs erleichtert werden, weil eine Sanierung häufig nur möglich
sei, wenn dadurch keine neuen Verbindlichkeiten - auch nicht durch
Ertragsteuern - ausgelöst werden. Es solle verhindert werden, dass wegen der
Ertragsteuerbelastung von vornherein kein Sanierungsplan zustande komme. Bei
einer unternehmerbezogenen Sanierung griffen wirtschafts- und
sozialpolitische Gesichtspunkte nicht. Der Unternehmer, der seinen Betrieb
einstellen und schuldenfrei in das Privatleben wechseln wolle, habe die
Möglichkeit, durch eine Insolvenz eine Restschuldbefreiung zu erreichen.
Daher bestehe bei der sog. unternehmerbezogenen Sanierung kein Bedarf für
steuerrechtliche Billigkeitsmaßnahmen. Diese grundlegende Entscheidung der
Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 sei gerichtlich nicht
nachprüfbar.
17
Die Auffassung des FG,
Billigkeitsmaßnahmen auszusprechen, soweit bei einer Sanierung keine
Doppelbegünstigung vorliege, sei abzulehnen. Die Besteuerung des
Schuldenerlasses entspreche der gesetzlichen Regelung und stelle die
Korrektur von in früheren Veranlagungszeiträumen entstandenen
Gewinnminderungen dar. Dies sei sachgerecht. Auch wenn die Vermeidung einer
Doppelbegünstigung der Grund für die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F.
gewesen sei, könne hieraus nicht abgeleitet werden, dass in Fällen ohne
Doppelbegünstigung Billigkeitsmaßnahmen erforderlich seien.
18
Auch unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten sei ein Erlass der Einkommensteuer nicht
erforderlich. Die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. für ab dem 1. Januar
1998 endende Wirtschaftsjahre greife nicht in bereits abgeschlossene
Veranlagungszeiträume ein. Der frühere Verlustabzug werde nicht durch die
Besteuerung des Sanierungsgewinns tangiert. Nur der in einem späteren
Veranlagungszeitraum bewirkte Schuldenerlass werde anders behandelt als nach
der Rechtslage bis 1997. Die gesetzliche Neuregelung knüpfe lediglich
insoweit an einen Sachverhalt in der Vergangenheit an, als der
Schuldenerlass voraussetze, dass sich die erlassenen Schulden in früheren
Veranlagungszeiträumen bereits ausgewirkt hätten. Darin könne aber keine
echte Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen gesehen werden, selbst
wenn die Sanierungsverhandlungen bereits in früheren Jahren begonnen haben
sollten. Billigkeitsmaßnahmen zur Vermeidung einer echten Rückwirkung seien
daher nicht erforderlich.
19
Eine unechte Rückwirkung
oder tatbestandliche Rückanknüpfung seien verfassungsrechtlich zulässig. Der
Steuerpflichtige habe auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass der
Gesetzgeber bisher aus ordnungs- oder konjunkturpolitischen Gründen gewährte
Steuervergünstigungen uneingeschränkt für die Zukunft aufrecht erhalte
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 20. Juni 19782 BvR
71/76, BVerfGE 48, 403,
20
Im Übrigen stelle das FG die
Kläger im angefochtenen Urteil besser als Tz 8 des BMF-Schreibens in BStBl I
2003, 240 es vorsehe. Danach seien Verluste vorrangig mit dem
Sanierungsgewinn zu verrechnen. Der Grundsatz, dass steuerliche
Verrechnungen so durchzuführen seien, dass sich diese für den
Steuerpflichtigen möglichst günstig auswirkten, gelte nicht, weil die
Besteuerung des Sanierungsgewinns das Korrektiv zum Abzug von Verlusten in
früheren Veranlagungszeiträumen sei. Das FG ziehe zu Unrecht den
Verlustvortrag und den laufenden Verlust aus Gewerbebetrieb nicht von dem
ermäßigt zu besteuernden Veräußerungsgewinn, sondern von anderen nicht
ermäßigt zu besteuernden Einkünften ab. Würden hingegen die Verluste im
Streitfall vorrangig vom Sanierungsgewinn abgezogen, würde sich eine zu
erlassende Einkommensteuer von lediglich 14.131 DM ergeben.
Entscheidungsgründe
B.
21
I. Über den Antrag der Kläger auf Erlass
der Einkommensteuer 1998 bis 2002 ist im Rahmen des Streitfalls zu
entscheiden, auch wenn der zu steuerpflichtigen Einkünften führende
Sanierungsgewinn aus Forderungsverzichten gegenüber der L-GbR entstanden
ist.
22
1. Im Verfahren der einheitlichen und
gesonderten Feststellung von Einkünften sind nach §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1
Nr. 2 Buchst. a AO die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte festzustellen,
wenn an ihnen mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen
steuerlich zuzurechnen sind. Im Rahmen dieser Feststellung wurde auch
darüber entschieden, ob bestimmte Einkünfte infolge der Steuerbefreiung nach
§ 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht der Einkommensteuer unterliegen (vgl. BFH-Urteil
vom 3. Juli 1997 IV R 31/96, BFHE 183, 509, BStBl II 1997, 690).
23
2. § 3 Nr. 66 EStG a.F. wurde durch Art. 1
Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (UntStRFoG)
vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) aufgehoben und
ist letztmals anwendbar auf Erhöhungen des Betriebsvermögens, die in vor dem
1. Januar 1998 endenden Wirtschaftsjahren entstanden sind (§ 52 Abs. 2i EStG
i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur
gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997, BGBl I 1997, 3121,
BStBl I 1998, 7). Das UntStRFoG ist nach Auffassung des BVerfG
verfassungsgemäß zustande gekommen (Beschluss vom 15. Januar 20082 BvL
12/01, BVerfG 120, 56).
24
3. Nach der Streichung von § 3 Nr. 66 EStG
a.F. kann persönlichen oder sachlichen Härtefällen in Einzelfällen
allenfalls im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (vgl. auch BTDrucks
13/7480, S. 192). Diese Vorschriften (§§ 222, 227 AO) sind auf der Ebene der
Einkommensbesteuerung zu prüfen. Im Feststellungsverfahren könnte - worauf
auch das FG zutreffend abstellt - nicht geklärt werden, ob bei den
Gesellschaftern ein steuerpflichtiger Veräußerungs- oder Aufgabegewinn
entsteht, ob dieser durch Verlustvorträge ausgeglichen wird und ob die
Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses vorliegen (vgl. hierzu auch das
BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240, Tz 8 Beispiel 2).
25
II. Die Revision des FA betr. das
Streitjahr 1998 ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des
FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Zu
Unrecht war das FG der Auffassung, das FA habe den Billigkeitserlass der
Einkommensteuer 1998 ermessensfehlerhaft abgelehnt.
26
1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung
nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine Unbilligkeit kann
entweder in der Sache liegen oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage
des Steuerpflichtigen haben (BFH-Urteil vom 2. März 1961 IV 126/60 U, BFHE
73, 53, BStBl III 1961, 288).
27
2. Die Entscheidung über ein Erlassbegehren
aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten
nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss
des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober
1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Nach dieser
Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde
bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten
oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann das
Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 i.V.m. § 121
FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine
einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt
(Ermessensreduzierung auf Null; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B.
Senatsurteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995,
297; weitere Nachweise bei von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, §
227 AO Rz 392).
28
3. Ein Erlass aus sachlichen Gründen kommt
in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber
infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart
zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 23. März 1998 II
R 41/96, BFHE 185, 270, BStBl II 1998, 396, und II R 26/96, BFH/NV 1998,
1098); Billigkeit ist die Gerechtigkeit des Einzelfalls (von Groll in HHSp,
§ 227 AO Rz 31). Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der
Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. §
227 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die
Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die
vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft
setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit
durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber
würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt
- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteile in BFHE 185,
270, BStBl II 1998, 396, und in BFH/NV 1998, 1098).
29
4. Für den Erlass von Sanierungsgewinnen
aus sachlichen Billigkeitsgründen hat das BMF im Einvernehmen mit den
obersten Finanzbehörden der Länder eine Verwaltungsvorschrift in BStBl I
2003, 240 erlassen, die die Anwendung der Billigkeitsregeln in diesen Fällen
vereinheitlichen soll. Dass nach Auffassung der Verwaltung Sanierungsgewinne
nach § 227 AO erlassen werden können, tangiert nicht den Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (so auch Geist, Betriebs-Berater - BB - 2008,
2658, 2660; Seer, Finanz-Rundschau - FR - 2010, 306; Knebel, Der Betrieb -
DB - 2009, 1094; Wagner, BB 2008, 2671; Braun/Geist, BB 2009, 2508; Töben,
FR 2010, 249; offen Kuhfus, EFG 2008, 1558; a.A. FG München, Urteil vom 12.
Dezember 20071 K 4487/06, EFG 2008, 615; Blümich/Erhard, § 3 EStG Rz 820).
Zwar hat der Gesetzgeber § 3 Nr. 66 EStG a.F. aufgehoben, in dem die
Steuerfreiheit von (unternehmens- wie unternehmerbezogenen)
Sanierungsgewinnen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1997
spezialgesetzlich geregelt war. Damit hat er jedoch nicht zum Ausdruck
gebracht, für Sanierungsgewinne gebe es keine Erlassmöglichkeit. Vielmehr
zeigt die Gesetzesbegründung, dass die Steuerbefreiung einen Ausgleich für
nicht abziehbare Verluste habe bewirken sollen und dieser Ausgleich seit
Einführung eines unbegrenzten Verlustvortrags nicht mehr gerechtfertigt sei.
Einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen könne - so die
Gesetzesbegründung - im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (BTDrucks
13/7480, S. 192). Auch in der Begründung des Unternehmensteuerreformgesetzes
2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) ging der Gesetzgeber davon aus,
dass von der Besteuerung von Sanierungsgewinnen, die nicht mit
Verlustvorträgen verrechnet werden können, ohne ausdrückliche gesetzliche
Regelung im Billigkeitswege nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240
abgesehen werden könne (BTDrucks 16/4841, S. 76). In seiner Stellungnahme
zum Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von
Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 3.
April 2009 (BRDrucks 168/09, S. 30) hat der Bundesrat seinen Änderungsantrag
zu § 34 Abs. 7b Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes damit begründet, die
Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen durch Verwaltungsanweisung
(Sanierungserlass) sei nicht ausreichend, negative Effekte zu verhindern.
Hinzu kommt, dass nach dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der
Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum
Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840)
Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege
des Verlustrücktrags ausgeglichen werden können, ab dem Veranlagungszeitraum
2004 (vgl. § 52 Abs. 25 EStG 2004) im Rahmen des Verlustvortrags nur noch
begrenzt verrechnungsfähig sind. Angesichts der Verknüpfung der Aufhebung
des § 3 Nr. 66 EStG a.F. mit einem unbeschränkten Verlustabzug kommt
möglichen Billigkeitsmaßnahmen nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240
eine besondere Bedeutung zu (vgl. auch Seer, FR 2010, 306). Im Übrigen hat
die Rechtsprechung bereits vor Einführung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. durch das
Körperschaftsteuerreformgesetz vom 31. August 1976 (BGBl I 1976, 2597, BStBl
I 1976, 445) erkannt, dass der durch eine Sanierung herbeigeführte Gewinn
unter bestimmten Voraussetzungen einkommensteuerrechtlich außer Betracht zu
bleiben habe (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 21. Oktober 1931 VI A 968/31,
RFHE 29, 315, RStBl 1932, 160) bzw. die Besteuerung eines Sanierungsgewinns
sachlich unbillig sein könne (Senatsurteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995,
297). Der Auffassung des FG München im Urteil in EFG 2008, 615, die
Finanzverwaltung habe mit dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240 eine
Verwaltungspraxis contra legem eingeführt, kann daher in dieser
Allgemeinheit nicht gefolgt werden.
30
5. Ob die Verwaltung im BMF-Schreiben in
BStBl I 2003, 240 gemessen an der Intention des Gesetzgebers zu weit
reichende Billigkeitsmaßnahmen für möglich hält, braucht der Senat im
Streitfall nicht zu entscheiden. Die Voraussetzungen eines
Billigkeitserlasses nach den Vorgaben im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 240
liegen nicht vor, da im Streitfall von einer unternehmerbezogenen Sanierung
auszugehen ist.
31
a) Nach der Rechtsprechung (vgl. z.B.
Senatsurteil in BFH/NV 2006, 715) ist von einer unternehmerbezogenen
Sanierung auszugehen, wenn dem Schuldner durch den Erlass eine schuldenfreie
Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in
selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht wird, ohne dass er
durch Schulden aus einer früheren unternehmerischen Tätigkeit belastet
bleibt. Auf die Sanierungseignung des Unternehmens ist in diesen Fällen
nicht abzustellen. Eine unternehmensbezogene Sanierung soll hingegen den
Fortbestand des Unternehmens sichern. Es soll vor dem Zusammenbruch bewahrt
und wieder ertragsfähig gemacht werden (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990
VIII R 39/87, BFHE 164, 404, BStBl II 1991, 784). Daran fehlt es, wenn das
Unternehmen seine werbende Tätigkeit bereits vor dem Schuldenerlass
eingestellt hat. Abzustellen ist stets auf das konkrete Unternehmen. Zwar
ist die Sanierungseignung nach der Gesamtheit der Betriebe zu beurteilen,
wenn zu einem Unternehmen mehrere Betriebe gehören. Es muss sich aber um die
Betriebe eines Unternehmens handeln (BFH-Urteil vom 22. Januar 1985 VIII R
37/84, BFHE 143, 420, BStBl II 1985, 501). Im Streitfall wollten die
Gläubiger die L-GbR nicht vor dem Zusammenbruch bewahren. Das von der L-GbR
betriebene Verpachtungsunternehmen war nach der Zwangsversteigerung des
Hauses L nicht mehr sanierungsfähig. Die Gläubiger wollten nach den
Feststellungen des FG mit dem Teilerlass erreichen, dass die Gesellschafter
der L-GbR und somit auch die Kläger die verbleibenden Verbindlichkeiten
abtragen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, wieder in geordneten
wirtschaftlichen Verhältnissen leben zu können. Somit ist im Streitfall von
einer unternehmerbezogenen Sanierung auszugehen, obwohl sowohl Kläger als
auch Klägerin parallel zum Zusammenbruch der L-GbR eine neue selbständige
berufliche Existenz aufgebaut haben. Auch wenn, wie die Kläger im
Revisionsverfahren vortragen, der Schuldenerlass Voraussetzung für die
Fortführung dieser neuen selbständigen Tätigkeit war, liegen die
Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung nicht vor, weil die
von den Klägern neu gegründeten Unternehmen nicht Betriebe der L-GbR sind.
32
b) Nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003,
240 sind Billigkeitsmaßnahmen nur in Fällen einer unternehmensbezogenen
Sanierung möglich (vgl. Tz 1, wonach eine Sanierung als Maßnahme beschrieben
wird, die ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen
Zusammenbruch bewahren und wieder ertragsfähig machen soll =
unternehmensbezogene Sanierung; Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover
vom 19. September 2008 S 2140 -8- StO 241, DB 2008, 2568); nicht begünstigt
ist die unternehmerbezogene Sanierung (vgl. Tz 2 Satz 2). Ein
Billigkeitserlass entsprechend den Regeln im BMF-Schreiben in BStBl I 2003,
240 kommt im Streitfall damit nicht in Betracht.
33
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass
nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 18 Tz 2 Satz 2 des BMF-Schreibens in
BStBl I 2003,
34
aa) Gegenstand der gerichtlichen
Überprüfung i.S. des § 102 FGO ist die Ermessensentscheidung der
Finanzbehörde so, wie sie (regelmäßig nach Abschluss des außergerichtlichen
Rechtsbehelfsverfahrens) getroffen wurde. Maßgeblich für die gerichtliche
Überprüfung ist daher die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung (Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl.,
§ 102 Rz
35
bb) Zudem liegen im Streitfall weder die
Voraussetzungen einer Restschuldbefreiung i.S. der §§ 286 ff. der
Insolvenzordnung (InsO) noch die der Verbraucherinsolvenz nach §§ 304 ff.
InsO vor. Im Umstand, dass in Fällen eines außergerichtlich erreichten,
unternehmerbezogenen Sanierungsgewinns nach den Verwaltungserlassen keine
Billigkeitsmaßnahmen möglich sind, ist kein Verstoß gegen Art. 3 GG zu
sehen. Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die gleichmäßige Befriedigung der
Gläubiger nach Verwertung des Vermögens des Insolvenzschuldners. Dem
redlichen Schuldner soll so Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen
restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1 InsO). Eine
Restschuldbefreiung kommt nur in Betracht, wenn der Schuldner für die Dauer
von sechs Jahren seine pfändbaren Bezüge an einen Treuhänder abtritt (§ 287
Abs. 2 InsO) und ererbtes Vermögen zur Hälfte an diesen herausgibt (§ 295
Abs. 1 Nr. 2 InsO). Während der Laufzeit der Abtretungserklärung muss er
eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben oder sich um eine solche bemühen
(§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Schuldner unterliegt Anzeigepflichten und
darf keinem Gläubiger einen Sondervorteil verschaffen (§ 295 Abs. 1 Nr. 3
und 4 InsO).
36
Bei der Verbraucherinsolvenz muss der
Schuldner einen Schuldenbereinigungsplan vorlegen. Unter Berücksichtigung
der Gläubigerinteressen sowie der Vermögens-, Einkommens- und
Familienverhältnisse des Schuldners ist darzulegen, wie die Schulden
angemessen bereinigt werden können (§ 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Zudem müssen
die Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan zustimmen (§ 308 InsO) oder die
Zustimmung muss durch das Insolvenzgericht ersetzt werden (§ 309 InsO;
Voraussetzung ist u.a., dass mehr als die Hälfte der vom Schuldner benannten
Gläubiger, die mehr als die Hälfte der Gesamtansprüche geltend machen, dem
Schuldenbereinigungsplan zugestimmt haben müssen und jeder Gläubiger im
Verhältnis zu den anderen angemessen berücksichtigt wird). Derartig strengen
Regeln unterliegen außergerichtliche Vergleichsverhandlungen nicht. Es hängt
vom Verhandlungsgeschick des Schuldners und der Bereitschaft der Gläubiger
zu Zugeständnissen ab, ob der Schuldner sein ganzes Vermögen einsetzen muss;
mehrere Gläubiger können sich mit unterschiedlichen Quoten einverstanden
erklären; auch müssen sich nicht alle Gläubiger am außergerichtlichen
Vergleich beteiligen. Angesichts dieser unterschiedlichen Vorgaben konnte
die Verwaltung in ihrem Erlass in BStBl I 2010, 18 ohne Verstoß gegen Art. 3
Abs. 1 GG den Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen bei
unternehmerbezogenen Sanierungen auf die Steuern beschränken, die aufgrund
einer Restschuldbefreiung oder einer Verbraucherinsolvenz entstehen.
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6. Zu Unrecht ging das FG im Streitfall
davon aus, dass die auf dem Sanierungsgewinn beruhenden Steuern unabhängig
von der Verwaltungsanweisung in BStBl I 2003, 240 nach § 227 AO zu erlassen
sind. Auch im Streitjahr 1998 und für eine Übergangszeit sind auf sachlichen
Gründen beruhende Billigkeitsmaßnahmen jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn
die von der Verwaltung formulierten Voraussetzungen für den Erlass der
Steuern auf einen Sanierungsgewinn in den Verwaltungsanweisungen in BStBl I
2003, 240 und BStBl I 2010, 18 nicht vorliegen.
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a) Eine Verwaltungsregelung ist
ausnahmsweise aus Gründen der Gleichbehandlung von den Gerichten zu
beachten, wenn der Verwaltung durch Gesetz Entscheidungsfreiheit eingeräumt
wurde, die Regelung also den Bereich des Ermessens, der Billigkeit (z.B. bei
Änderung der Rechtsprechung) bzw. der Typisierung oder Pauschalierung
betrifft (BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 14/05, BFHE 217, 525, BStBl II
2007, 816, unter II.2. der Gründe, m.w.N.). § 227 AO räumt der Verwaltung
Ermessen ein; die Ausübung dieses Ermessens aus sachlichen
Billigkeitsgründen wird in den Verwaltungserlassen in BStBl I 2003, 240 und
BStBl I 2010, 18 abschließend geregelt.
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b) Dass die ermessenslenkenden
Verwaltungsvorschriften in BStBl I 2003, 240 und BStBl I 2010, 18
Billigkeitsmaßnahmen in Fällen unternehmerbezogener Sanierungsgewinne
ausschließen, die nicht auf einer Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO
bzw. einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) beruhen, entspricht dem
berechtigten Anliegen der Regelungen, nur das betroffene Unternehmen als
solches wieder ertragsfähig werden zu lassen. Diese Verwaltungsvorschriften
sind deshalb von der Finanzgerichtsbarkeit zu beachten. Die in den
Billigkeitsrichtlinien getroffenen Regelungen halten sich insoweit innerhalb
der Grenzen, die das GG und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen
(vgl. BFH-Urteile vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II
1981, 204, unter C.II. 3.a; vom 19. März 2009 V R 48/07, BFHE 225, 215,
BStBl II 2010, 92, unter II.4.b).
40
aa) Die aus der Steuerfreiheit von
Sanierungsgewinnen und der Verlustverrechnungsmöglichkeit mit positiven
Einkünften bzw. dem uneingeschränkten Verlustvortrag resultierende
Doppelbegünstigung hat den Gesetzgeber zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG
a.F. bewogen. Nur einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen sollte
im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (BTDrucks 13/7480, S. 192). Da
sich in der Gesetzesbegründung keine Hinweise finden, wann aus Sicht des
Gesetzgebers die Besteuerung eines Sanierungsgewinns sachlich unbillig ist,
müssen die von der Rechtsprechung zu § 227 AO entwickelten Kriterien
Anwendung finden. Auch der Erlass der Steuern auf einen Sanierungsgewinn
wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt,
wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu
entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des vorgesehenen
Erlasses entscheiden. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen
gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für
bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE
185, 270, BStBl II 1998, 396).
41
bb) Im Streitfall hat das FG die
Notwendigkeit eines Billigkeitserlasses mit dem Umstand begründet, dem
Auflösungsgewinn der Kläger in Höhe von insgesamt 297.542 DM
(Sanierungsgewinn in Höhe von 905.902 DM abzüglich Buchverluste aus der
Veräußerung des Betriebsgrundstücks etc.) stehe lediglich ein Verlustvortrag
zum 31. Dezember
42
cc) Bei dieser Beurteilung übersieht das
FG, dass Billigkeitsmaßnahmen nicht nach den Kriterien einer Vorschrift
beurteilt werden können, die der Gesetzgeber bewusst wegen der aus seiner
Sicht nicht mehr gerechtfertigten Begünstigung bestimmter Steuerpflichtiger
aufgehoben hat.
43
Auch rechtfertigen die Überlegungen des FG
zur Rückwirkung im Streitfall ein solches Vorgehen nicht. § 3 Nr. 66 EStG
a.F. wurde - entgegen den ursprünglichen Plänen - nicht rückwirkend
aufgehoben. Bereits die sog. "Bareis-Kommission" hat die Besteuerung der
Sanierungsgewinne gefordert (s. Thesen der Einkommensteuer-Kommission zur
Steuerfreistellung des Existenzminimums ab 1996 und zur Reform der
Einkommensteuer, BB 1994, Beilage 24 S. 7 re. Sp.). Die Aufhebung des § 3
Nr. 66 EStG a.F. sah auch der Entwurf des Steuerreformgesetzes 1999 vom 22.
April 1997 vor (BTDrucks 13/7480). Das UntStRFoG ist am 29. Oktober 1997
erlassen worden, wobei die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses,
die ursächlich für die Aufhebung der Bestimmung ab dem Veranlagungszeitraum
1998 war, vom 4. August 1997 datiert. Eine Rückwirkung kommt der zum 1.
Januar
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c) Wendet man im Streitfall die
allgemeinen, von der Rechtsprechung erarbeiteten Kriterien für einen
Steuererlass wegen sachlicher Unbilligkeit an, kommt eine
Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht. Die Streichung von § 3 Nr. 66 EStG
a.F. beruht auf der Überlegung des Gesetzgebers, Steuerpflichtige seien
durch die Verlustverrechnungsmöglichkeiten laufender Verluste mit positiven
Einkünften und der - den allgemeinen Regeln des Steuerrechts
widersprechenden - Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns doppelt begünstigt.
Diese Doppelbegünstigung sollte in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.
Dezember 1997 enden, entfallen. Würden im Billigkeitswege nun Steuern auf
Sanierungsgewinne erlassen, denen keine ausreichenden Verlustvorträge
gegenüberstehen, weil die laufenden Verluste bereits mit positiven
Einkünften verrechnet worden sind, würde die gesetzgeberische Entscheidung
außer Kraft gesetzt. Da durch Billigkeitsmaßnahmen die Doppelbegünstigung
auch in den Veranlagungszeiträumen 1998 ff. fortgeführt würde, kann die bei
einem sachlichen Billigkeitserlass zu entscheidende Frage, hätte sie der
Gesetzgeber im Sinne des vorgesehenen Erlasses geregelt, nicht bejaht
werden. Die Billigkeitsmaßnahme würde auf Erwägungen gestützt, die die
Motive des Gesetzgebers ins Leere laufen ließen (vgl. hierzu auch Wagner, BB
2008, 2671).
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Ob in Einzelfällen (große, sich über
mehrere Jahre hinziehende Sanierungsverhandlungen) die Aufhebung des § 3 Nr.
66 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum 1998 bedenklich und die
Inkrafttretensregelung in Konflikt mit dem Vertrauensschutz der Betroffenen
geraten kann (vgl. hierzu das Beispiel von Kanzler in H/H/R, § 3 Nr. 66 EStG
Rz G 2, 191. Lieferung Januar 1998, wonach ein großes Unternehmen bereits
1993 Konkurs beantragt hatte und im Zeitpunkt der Aufhebung der
Steuerbefreiung kurz vor Abschluss eines Zwangsvergleichs stand; die Steuern
auf den Sanierungsgewinn wurden hier auf ca. 600 Mio. DM veranschlagt),
braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. In die
Vergleichsverhandlungen der Kläger waren lediglich zwei Gläubiger
involviert; diese fanden nach den Feststellungen des FG erst Anfang 2002,
also mehr als vier Jahre nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. ihren
Abschluss. Vertrauensschutzüberlegungen dürfte zudem der Umstand
entgegenstehen, dass die vor 1998 entstandenen Verluste mit laufenden
Einkünften verrechnet worden sind, der nach Abzug des Verlustvortrags zum
31. Dezember 1997 verbleibende Sanierungs- (Auflösungs-)gewinn hingegen
ermäßigt zu besteuern ist.
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7. Persönliche Billigkeitsgründe haben die
Kläger nach den - nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen und deshalb für
den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden - tatsächlichen
Feststellungen des FG nicht geltend gemacht. Den Klägern bleibt es aber
unbenommen, vom FA bislang nicht geprüfte persönliche Billigkeitsgründe in
einem weiteren Antrag auf Erlass ihrer Steuerschulden geltend zu machen.
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III. Die Revision der Kläger wegen Erlass
von Einkommensteuer 1999 bis 2002 ist unbegründet. Das FA hat den laufenden
Verlust der Kläger im Veranlagungszeitraum 1998 zutreffend mit dem
Sanierungsgewinn verrechnet. Zum 31. Dezember 1998 bestand somit kein auf
die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2002 vortragsfähiger Verlust.
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