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BFH-Urteil vom 21.4.2010 (VI R 62/08) BStBl. 2010 II S. 965
Mietzahlungen als außergewöhnliche Belastungen
1.
Mietzahlungen, die einen zusätzlichen, weiteren Wohnbedarf abdecken, weil
die Wohnung, die den existentiellen, ersten Wohnbedarf abdecken sollte,
nicht mehr bewohnbar ist, können außergewöhnliche und aus tatsächlichen
Gründen zwangsläufige Aufwendungen sein.
2.
Aufwendungen für einen weiteren, zusätzlichen Wohnbedarf können nur für den
Zeitraum als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, der erforderlich
ist, die dem ersten Wohnbedarf gewidmete Wohnung wieder in einen bewohnbaren
Zustand zu versetzen. Ist eine Wiederherstellung der Bewohnbarkeit nicht
möglich, so sind die Aufwendungen für den weiteren Wohnbedarf nur bis zu dem
Zeitpunkt anzuerkennen, in dem dem Steuerpflichtigen dies bewusst wird.
EStG § 33.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 13. Dezember
2007 14 K 6385/04 E (EFG 2009, 342)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, ob
Mietzahlungen für eine ersatzweise angemietete Wohnung als außergewöhnliche
Belastungen i.S. von § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu
berücksichtigen sind, wenn eine Nutzung der bisherigen eigenen Wohnung wegen
Einsturzgefahr amtlich untersagt ist.
2
Die Ehefrau des Klägers und
Revisionsbeklagten (Kläger) hat mit notariellem Vertrag vom 23. Oktober 1998
eine gebrauchte Eigentumswohnung in einem Gebäude in M erworben. Laut
Kaufvertrag wurde der Grundbesitz ohne Gewähr und ohne Haftung für sichtbare
oder unsichtbare Sachmängel verkauft. Die Verkäuferin hatte zudem
versichert, dass ihr verborgene, wesentliche Mängel, insbesondere Altlasten,
nicht bekannt sind. Die offizielle Wohnungsübergabe erfolgte am 25. August
3
Mit Ordnungsverfügung vom
28. Februar 2000 stellte das Bauordnungsamt der Stadt M eine erhebliche
Einsturzgefahr für das Gebäude fest und untersagte den Eheleuten das
Betreten des Gebäudes. Eine zivilrechtliche Klage der Ehefrau gegen die
Verkäuferin auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen
Rückgabe der Wohnung war über drei Gerichtsinstanzen hinweg nicht
erfolgreich.
4
Der Kläger wird zusammen mit
seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Die Eheleute beantragten die
monatliche Miete in Höhe von 1.000 DM (511,29 EUR) für die von ihnen
ersatzweise zu eigenen Wohnzwecken angemietete Vier-Zimmer-Wohnung als
außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuerfestsetzung für die
Streitjahre (2001, 2002) zu berücksichtigen. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem nicht. Der Kläger wandte
sich dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage.
5
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 342
veröffentlichten Gründen statt.
6
Mit der Revision rügt das FA
die unzutreffende Anwendung von § 33 EStG.
7
Das FA beantragt, das Urteil
des FG Düsseldorf vom 13. Dezember 200714 K 6385/04 E aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
8
Der Kläger hat keinen Antrag
gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision des FA ist begründet. Das
angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Aufwendungen, die anfallen, weil
zwangsläufig ein zusätzlicher Wohnbedarf entstanden ist, können im Grundsatz
als außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 EStG zu berücksichtigen sein.
Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings noch keine
abschließende Beurteilung, ob die Mietzahlungen in Höhe von 12.000 DM und
6.134,48 EUR in den beiden Streitjahren nach § 33 EStG zu berücksichtigen
sind.
10
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der
Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, gleicher Vermögensverhältnisse und
gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die
Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die
dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der
Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen sind in diesem
Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen,
tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie
den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht
übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
11
Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige
Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen,
die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in
allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich der
außergewöhnlichen Belastungen ausgeschlossen sind daher die üblichen
Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den
Grundfreibetrag abgegolten sind (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 19. Mai 1995 III R 12/92, BFHE 178, 207, BStBl II 1995, 774; vom
23. Mai 2002 III R 24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567, und vom 3. März
2005 III R 12/04, BFH/NV 2005, 1287). Hierunter fallen auch Aufwendungen,
die geleistet werden, um den existentiellen Wohnbedarf zu befriedigen
(BFH-Urteil in BFHE 178, 207, BStBl II 1995, 774).
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2. Im Streitfall stellen die zwangsläufig
entstandenen Mietaufwendungen dem Grunde nach eine außergewöhnliche
Belastung i.S. des § 33 EStG dar.
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a) Aufwendungen, die geleistet werden, um
den existentiellen Wohnbedarf zu befriedigen, sind grundsätzlich als Kosten
anzusehen, die der normalen Lebensgestaltung und Lebensführung zuzuordnen
sind; sie sind daher nicht außergewöhnlich. So hat der BFH vergebliche
Zahlungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Grundstücks und der
Erstellung eines Einfamilienhauses für eigene Wohnzwecke bereits in seinem
Urteil in BFHE 178, 207, BStBl II 1995, 774 nicht als außergewöhnliche
Belastung anerkannt, weil der Erwerb eines Einfamilienhauses typischerweise
das Existenzminimum nicht berühre und deshalb steuerlich als Vorgang der
normalen Lebensführung zu behandeln sei. Nicht anders verhält es sich mit
Mietaufwendungen, die geleistet werden, um den existentiellen Wohnbedarf zu
befriedigen.
14
b) Diese Grundsätze gelten allerdings
nicht, wenn Aufwendungen für einen zweiten Wohnbedarf entstanden sind, weil
die den ersten, existentiellen Wohnbedarf abdeckende Wohnung unbewohnbar
geworden ist. Solche Ausgaben sind außergewöhnlich und daher als
Aufwendungen i.S. von § 33 EStG anzusehen; die entstandenen Aufwendungen
sind nicht mehr der normalen Lebensgestaltung und Lebensführung zuzuordnen.
Davon ist im Streitfall auszugehen. Die Mietzahlungen dienten dazu, einen
zusätzlichen, zweiten Wohnbedarf abzudecken. Dieser zusätzliche Wohnbedarf
ist entstanden, weil die Eigentumswohnung der Ehefrau des Klägers, die den
existentiellen, ersten Wohnbedarf abdecken sollte, nicht mehr bewohnbar war
und damit ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen konnte. Entgegen den
Ausführungen des FG kommt es nicht darauf an, ob die Mietzahlungen letztlich
der Schadensbeseitigung dienen und deshalb unter diesem Gesichtspunkt als
außergewöhnliche Belastungen angesehen werden können. Eines Rückgriffs auf
die im Schrifttum stark kritisierte Gegenwertlehre (vgl. Kanzler in
Herrmann/ Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz
15
c) Die Mietzahlungen sind dem Kläger im
Streitfall auch zwangsläufig entstanden. Denn aufgrund der Ordnungsverfügung
vom 28. Februar 2000 durch das Bauordnungsamt der Stadt M stand im
Streitfall fest, dass die Eigentumswohnung nicht mehr bewohnbar war. Wegen
der erheblichen Einsturzgefahr für das Gebäude war eine Nutzung der
Eigentumswohnung zu Wohnzwecken nicht mehr möglich. Der Kläger konnte sich
angesichts der Ordnungsverfügung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen
den Aufwendungen nicht mehr entziehen. Auch die weiteren Voraussetzungen für
eine Anerkennung eines zweiten Wohnbedarfs als zwangsläufig sind nach den
bisherigen Feststellungen des FG als erfüllt anzusehen. So hat das FG keine
Anhaltspunkte für ein eigenes (ursächliches) Verschulden des
Steuerpflichtigen gesehen, realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte waren
nicht ersichtlich, der zweite Wohnbedarf ist als angemessen beurteilt worden
und eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit hat
nicht bestanden.
16
3. Mangels Spruchreife geht die Sache an
das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.
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a) Nach den genannten Grundsätzen hat das
FG zu prüfen, ob in den Streitjahren überhaupt ein zusätzlicher zweiter
Wohnbedarf abzudecken war. Dabei wird es zunächst festzustellen haben, ob im
Streitfall die Eigentumswohnung der Ehefrau des Klägers bereits tatsächlich
bewohnt wurde und damit dem ersten existentiellen Wohnbedarf gewidmet war.
Hat die Eigentumswohnung tatsächlich nie dazu gedient, den ersten Wohnbedarf
abzudecken, wäre davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen
Mietzahlungen für den ersten Wohnbedarf angefallen sind. Die Aufwendungen
wären dann der normalen Lebensführung zuzuordnen.
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b) Weiter hat das FG angesichts des
Umstands, dass die Ordnungsverfügung auf den 28. Februar 2000 datiert, aber
Mietaufwendungen für die Streitjahre (2001 und 2002) geltend gemacht werden,
weiter zu prüfen, in welchem Zeitraum in den Streitjahren ein zusätzlicher
zweiter Wohnbedarf abzudecken war. Hierbei wird ein zweiter, zusätzlicher
Wohnbedarf nur für den Zeitraum anzuerkennen sein, der erforderlich ist, um
die dem ersten Wohnbedarf gewidmete Eigentumswohnung wieder in einen
bewohnbaren Zustand zu versetzen. Ist eine Wiederherstellung der
Bewohnbarkeit nicht möglich, sind die Aufwendungen für den zweiten
Wohnbedarf nur bis zu dem Zeitpunkt anzuerkennen, in dem dem
Steuerpflichtigen dies bewusst wird. Dabei wird dem Steuerpflichtigen eine
gewisse Frist zur Umorientierung bei der Gestaltung seiner Wohnverhältnisse
zu gewähren sein.
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