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BFH-Beschluss vom 15.4.2010 (IV B 105/09) BStBl. 2010 II S. 971
Ernstliche Zweifel an Gewinnrealisierung bei Übertragung eines
Wirtschaftsguts zwischen Schwesterpersonengesellschaften
Auch nach Ergehen des BFH-Urteils vom 25. November 2009 I R 72/08 (DStR
2010, 269) ist ernstlich zweifelhaft, ob die Übertragung eines
Wirtschaftsguts des Gesamthandsvermögens einer Personengesellschaft auf eine
beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft zur Aufdeckung stiller
Reserven führt.
FGO § 69 Abs. 3; EStG § 6 Abs. 5.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 17.
Juli 2009 1 V 54/09
Sachverhalt
I.
1
Die Antragstellerin und
Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine GmbH & Co. KG, an deren
Vermögen die Kommanditisten K zu 67 % und B zu 33 % beteiligt sind. Im
Streitjahr 2006 wurde eine weitere GmbH & Co. KG gegründet (S-KG), deren
Kommanditisten ebenfalls K und B mit denselben Vermögensanteilen sind.
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Die Antragstellerin war
Eigentümerin von drei seit Jahren zum Betriebsvermögen gehörenden
Grundstücken, die sie mit notariellem Vertrag vom 13. Dezember 2006 auf die
S-KG übertrug. Die Übertragung diente zur Erbringung der Kommanditeinlagen
von insgesamt 10.000 EUR bei der S-KG. Zum Zeitpunkt der Übertragung
betrugen die Buchwerte des Grund und Bodens sowie der Gebäude und baulichen
Anlagen insgesamt 195.074,68 EUR. Die S-KG führte die Buchwerte fort und
erfasste den die Kommanditeinlagen übersteigenden Betrag auf einem
Rücklagekonto.
3
Nach einer Außenprüfung
vertrat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die
Auffassung, die Grundstücke seien zum Teilwert aus dem Betriebsvermögen der
Antragstellerin entnommen worden. Er ermittelte den Teilwert mit 675.000 EUR
und erhöhte den Gewinn der Antragstellerin um 479.925,32 EUR.
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Gegen den entsprechend nach
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Bescheid über die gesonderte und
einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2006 vom 2. Februar
2009 hat die Antragstellerin rechtzeitig Einspruch eingelegt, über den noch
nicht entschieden ist.
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Nachdem ein Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids in Höhe des Entnahmegewinns
beim FA keinen Erfolg hatte, stellte die Antragstellerin beim Finanzgericht
(FG) einen Antrag auf AdV. Das FG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 17.
Juli 2009 ab, ließ aber die Beschwerde zu.
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Mit der Beschwerde macht die
Antragstellerin weiter geltend, § 6 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) sei auf die Übertragung der Grundstücke anzuwenden, so dass
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids
beständen. Nach dem Transparenzprinzip erschienen steuerrechtlich Einkünfte
und Vermögen der Gesellschaft als solche der Gesellschafter. Die
Gesellschafter hätten im Betrieb der Gesellschaft auch eine Betriebsstätte
und verfügten über Betriebsvermögen. Sie könnten Steuervergünstigungen in
Anspruch nehmen, die das Unterhalten eines eigenen Betriebsvermögens
voraussetzten. Danach handele es sich bei der Übertragung der Grundstücke
aus steuerlicher Sicht um die Überführung zwischen zwei Betriebsvermögen der
Gesellschafter. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der
Beteiligungsidentität. Die Übertragung stehe damit einer Übertragung in das
oder aus dem Betriebsvermögen des Gesellschafters nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr.
1 EStG gleich.
7
Das FG hat der Beschwerde
nicht abgeholfen.
8
Die Antragstellerin
beantragt, den Beschluss des Niedersächsischen FG vom 17. Juli 20091 V 54/09
aufzuheben und die Vollziehung des Bescheids über die gesonderte und
einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2006 vom 2. Februar
9
Das FA beantragt, die
Beschwerde zurückzuweisen.
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Es stützt sich auf die
Entscheidung des FG und trägt vor, § 6 Abs. 5 EStG sei eine abschließende
Regelung, die den Streitfall nicht erfasse. Eine erweiternde Auslegung würde
den Willen des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehren.
Entscheidungsgründe
II.
11
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Aussetzung des angefochtenen
Bescheids in dem beantragten Umfang.
12
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung
eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die
Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei
summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von
Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.
Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige
Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die
Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 20.
Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183,
13
2. Bei summarischer Prüfung hat der Senat
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Er
neigt dazu, die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter zwischen
Gesamthandsvermögen beteiligungsidentischer Personengesellschaften gegen
Minderung und Gewährung von Gesellschaftsrechten zwingend zum Buchwert
stattfinden zu lassen.
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a) Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt,
dass § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG die Übertragung zwischen den Gesamthandsvermögen
von Schwestergesellschaften nicht regelt. Es trifft auch zu, dass im
Gesetzgebungsverfahren gemachte Vorschläge zur ausdrücklichen Aufnahme
dieser Vorgänge in § 6 Abs. 5 EStG nicht übernommen worden sind. Gleichwohl
sieht sich der beschließende Senat bei summarischer Prüfung abweichend vom
FG und der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des I. Senats des BFH
mit Urteil vom 25. November 2009 I R 72/08 (Deutsches Steuerrecht - DStR -
2010, 269) nicht daran gehindert, die zwingende Buchwertverknüpfung auf
Übertragungen zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zu
erstrecken.
15
b) Dabei lässt er sich von folgenden
Überlegungen leiten:
16
aa) Mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG hat
sich der Gesetzgeber für eine transparente Besteuerung von
Personengesellschaften entschieden. Die Personengesellschaft ist danach
Steuerrechtssubjekt bei der Qualifikation und der Ermittlung der Einkünfte.
Subjekt der Einkünfteerzielung ist hingegen der Gesellschafter (Beschluss
des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II
1995, 617). Aus dem Subjektsteuerprinzip folgt, dass jeder Gesellschafter
den auf ihn entfallenden Anteil an den erzielten Einkünften zu versteuern
hat. Jedem Gesellschafter ist auch sein Anteil an den stillen Reserven der
Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens zuzuordnen.
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Eine Verschiebung stiller Reserven zwischen
den Gesellschaftern entspricht nicht dem Subjektsteuerprinzip. Gleichwohl
lässt das Gesetz in verschiedenen Fällen zu, dass stille Reserven auf andere
Gesellschafter derselben Personengesellschaft übergehen. Dies gilt
insbesondere bei Übertragungen von Einzelwirtschaftsgütern in den von § 6
Abs. 5 Satz 3 EStG geregelten Fällen. Zu der Eröffnung dieses an sich
systemwidrigen Transfers sah sich der Gesetzgeber bei Verabschiedung des
Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts
(Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz - UntStFG -) vom 20. Dezember 2001
(BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) genötigt, um erforderliche
Umstrukturierungen von Personenunternehmen nicht durch aus der Substanz zu
zahlende Ertragsteuern zu erschweren. Der Senat betrachtet dies als
ausreichenden Rechtfertigungsgrund für die Verletzung des
Folgerichtigkeitsgrundsatzes.
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Folgerichtig ist es demgegenüber, wenn ein
Steuersubjekt die ihm zuzuordnenden stillen Reserven ungeachtet dessen
beibehält, in welchem Betriebsvermögen sich das betreffende Wirtschaftsgut
befindet. Diesen Grundsatz regelt systemkonform § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG, der
den Ansatz des Buchwerts bei der Überführung zwischen zwei Betriebsvermögen
desselben Steuerpflichtigen anordnet. Ebenfalls dem System entspricht es
dann, wenn § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG die Beibehaltung des Buchwerts bei
Überführungen von Wirtschaftsgütern zwischen Einzel- und
Sonderbetriebsvermögen bzw. zwischen zwei verschiedenen
Sonderbetriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen verlangt.
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Angesichts dessen bedürfte es einer
besonderen Rechtfertigung dafür, stille Reserven der Besteuerung zu
unterwerfen, wenn diese dadurch demselben Steuersubjekt zugeordnet bleiben,
dass sie von dem Gesamthandsvermögen einer mitunternehmerischen
Personengesellschaft unentgeltlich oder gegen Minderung und Gewährung von
Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen einer
beteiligungsidentischen anderen mitunternehmerischen Personengesellschaft
übertragen werden. Eine derartige Rechtfertigung ist nicht ersichtlich. Es
ist auch nicht zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber des UntStFG auf einen
Rechtfertigungsgrund bezogen hätte. Die Aufdeckung stiller Reserven aufgrund
einer derartigen Übertragung würde danach zu einer im Sinne des
Folgerichtigkeitsgebots gleichheitswidrigen Besteuerung führen, denn sie
kann sich weder auf die gesteigerte Leistungsfähigkeit des Gesellschafters
noch auf eine Entstrickung und noch nicht einmal auf die erhöhte Gefahr
einer späteren unbemerkten Entstrickung stützen.
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bb) Der Senat sieht sich zur Vermeidung
eines solchen Gleichheitssatzverstoßes berechtigt und verpflichtet, § 6 Abs.
5 EStG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf Übertragungen
zwischen den Gesamthandsvermögen von beteiligungsidentischen
Schwesterpersonengesellschaften zu erstrecken. Dies geschieht dadurch, dass
auf diesen Vorgang § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG entsprechend angewendet wird. Denn
bei transparenter Betrachtung wird das Wirtschaftsgut von einem
Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Gesellschafters
überführt.
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3. Der Senat entscheidet wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aufgrund mündlicher Verhandlung
und nach § 10 Abs. 3 Halbsatz 1 FGO in der Besetzung mit fünf Richtern. Er
ist sich dessen bewusst, dass er von dem BFH-Urteil in DStR 2010, 269
abweicht. Eine Anfrage i.S. des § 11 Abs. 3 FGO wegen einer materiellen
Rechtsfrage kommt in einem Verfahren wegen AdV, in dem die Rechtsfrage nicht
endgültig zu beantworten ist, nicht in Betracht (Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 11 Rz 5).
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