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BFH-Urteil vom 27.1.2010 (IX R 59/08) BStBl. 2010 II S. 1009
Verlustrücktrag aus einem verjährten Verlustentstehungsjahr in ein offenes
Rücktragsjahr möglich
Im Verlustentstehungsjahr nicht ausgeglichene Verluste sind in einen
vorangegangenen, nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeitraum auch dann
zurückzutragen, wenn für das Verlustentstehungsjahr selbst bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
EStG 1995 § 10d Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 (= EStG § 10d Abs. 1 Sätze 1, 3 und
4).
Vorinstanz: FG Münster vom 12. September 2008 6 K 676/04 E (EFG 2009, 466)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr (1995) als
Rechtsanwalt tätig. Er beriet über mehrere Jahre hinweg eine GmbH. Im
Streitjahr kam es zum Zerwürfnis, in dessen Folge eine Gesamtlösung gesucht
werden sollte, um gegenseitige Forderungen abzugelten. Zu diesem Zweck
erhielt der Kläger von der GmbH im Streitjahr "vorbehaltlich des
Zustandekommens der besprochenen Vereinbarung" einen Scheck über 230.000 DM,
den er im Streitjahr einlöste. Die Vereinbarung kam indes nicht zustande, so
dass die GmbH den Betrag im Oktober des Streitjahres zurückforderte. Der
Kläger zahlte aber nicht, so dass die GmbH Klage erhob. Der Kläger wurde mit
Urteil des Landgerichts ... vom 1. Februar 1996 zur Zahlung von 230.000 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Oktober 1995 an die GmbH verurteilt.
2
Der Kläger erklärte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das
Streitjahr Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ohne
Berücksichtigung der erhaltenen 230.000 DM. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung antragsgemäß zunächst auf 0 DM fest. Im Zuge
einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger, der seinen Gewinn im
Streitjahr - abweichend von Vorjahren (in denen er seinen Gewinn durch
Bestandsvergleich auswies) - durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4
Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG)
ermittelte, die 230.000 DM als durchlaufenden Posten behandelt hatte. Diese
Auffassung teilte das FA nicht, behandelte den Zugang der 230.000 DM als
gewinnerhöhende Einnahme und setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr
mit Änderungsbescheid vom 22. April 2004 auf 91.578 DM (46.823,09 EUR) fest.
3
Die Klage war im Wesentlichen erfolgreich. Zur Begründung führte das
Finanzgericht (FG) in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 466
veröffentlichten Urteil aus, zwar seien die dem Konto im Streitjahr
gutgeschriebenen, im eigenen Namen vereinnahmten 230.000 DM nach § 11 Abs. 1
EStG im Streitjahr zu erfassen und nicht lediglich durchlaufende Posten i.S.
von § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG. Jedoch sei der im Jahr 1996 zurückgezahlte
Betrag von 230.000 DM im Wege des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 EStG in
das Streitjahr zurückzutragen. Der Gesamtbetrag der Einkünfte für den
Veranlagungszeitraum 1996 (Verlustentstehungsjahr) betrage nach dem
bestandskräftigen und festsetzungsverjährten Einkommensteuerbescheid vom 8.
Januar 1998 insgesamt 12.818 DM, so dass rechnerisch ein rücktragbarer
Verlust von 217.182 DM verbleibe. Dem Verlustrücktrag stehe die
Festsetzungsverjährung des Veranlagungszeitraums 1996 nicht entgegen.
4
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf Verletzung des § 10d
Abs. 1 EStG stützt. Ein Verlustrücktrag komme nicht in Betracht, wenn für
das Verlustentstehungsjahr Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Hätte der
Gesetzgeber einen Verlust auch in diesem Fall zurücktragen wollen, hätte er
dies - wie für den umgekehrten Fall mit der Vorschrift des § 10d Abs. 1 Satz
3 EStG - ausdrücklich geregelt.
5
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt
abzuweisen.
6
Der Kläger hat keine Anträge gestellt und sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
7
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zurückzuweisen.
8
Zutreffend hat das FG negative Einkünfte von 217.182 DM, die bei der
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte für das Jahr 1996 nicht
ausgeglichen werden, vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Streitjahres in Höhe
von 231.202 DM abgezogen.
9
a) Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind Verluste, die bei der Ermittlung des
Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, in bestimmten, hier
nicht maßgeblichen Grenzen, soweit ein Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte
des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums
wie Sonderausgaben - hier wegen Festsetzungsverjährung (vgl. § 10d Abs. 1
Satz 3, 2. Halbsatz EStG) des Jahres 1994 - nicht möglich ist, wie
Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte des ersten dem
Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum abzuziehen.
10
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Im Veranlagungszeitraum 1996 können
nach den Feststellungen des FG insgesamt 217.182 DM nicht ausgeglichen
werden und sind deshalb - weil für das Jahr 1994 bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten war - in das Streitjahr zurückzutragen.
11
b) Entgegen der Revision scheitert der Verlustrücktrag im Streitjahr nicht
daran, dass für den Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung (1996)
bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
12
aa) Der Verlustrücktrag ist unabhängig von dem in der Steuerfestsetzung des
Verlustentstehungsjahres ausgewiesenen Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 10d
Abs. 1 Satz 1 EStG in zutreffender Höhe durchzuführen. Denn über Grund und
Höhe des rücktragbaren Verlusts wird nicht im Entstehungsjahr, sondern in
dem Jahr entschieden, in dem sich der Verlustrücktrag steuerrechtlich
auswirkt (vgl. die ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteil vom 11.
November 1993 XI R 12/93, BFH/NV 1994, 710). Deshalb steht einem
Verlustrücktrag die Bestandskraft der Steuerfestsetzung für das
Verlustentstehungsjahr ebenso wenig entgegen wie die Festsetzungsverjährung
(§§ 169 bis 171 der Abgabenordnung - AO -) dieses Jahres. Die Bestandskraft
erfasst nur den festgesetzten Steuerbetrag, nicht indes die
Besteuerungsgrundlagen (so BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 710). Dasselbe gilt
für die Verjährung. Nach § 47 AO erlischt durch Verjährung der Anspruch aus
dem Steuerschuldverhältnis. Das ist nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch
und damit - bezogen auf die hier gegebene Konstellation - die im
Verlustentstehungsjahr festgesetzte Einkommensteuer. Demgegenüber bilden die
"Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichen werden" (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG) nur eine Ausgangsgröße
(Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157 Abs. 2 AO) für die Ermittlung des in
anderen Veranlagungszeiträumen wirksam werdenden Verlustabzugs (s. auch von
Groll, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 421;
Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 149).
13
bb) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Revision nicht aus § 10d Abs. 1
Satz 3 EStG.
14
(1) Danach kann ein Steuerbescheid des Rücktragsjahres im Zuge des
Verlustrücktrags auch dann geändert werden, wenn er unanfechtbar geworden
ist; die Verjährungsfristen enden insoweit nicht, bevor die Verjährungsfrist
für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem Verluste nicht
ausgeglichen werden. Diese Norm ist Bestandteil der in § 10d Abs. 1 Sätze 2
und 3 EStG enthaltenen, gegenüber der Abgabenordnung eigenständigen
Korrekturvorschriften, deren Berichtigungsgrund - unbeschadet seiner Ursache
- allein ein fehlerhafter Verlustabzug ist und deren Zweck es ist, den
Verlustabzug richtig und vollständig zu verwirklichen (vgl. die ständige
Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 24. Juni 2008 IX R 64/06, BFH/NV 2008,
1676, unter II.
15
(2) Ist indes - wie im Streitfall - die Veranlagung noch offen, weil z.B.
über Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen noch nicht abschließend entschieden
wurde, bedarf es in Konstellationen wie dem Streitfall keiner eigenständigen
Korrekturvorschrift, um den Verlustabzug zu verwirklichen. Hier bilden die
"Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichen werden" (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG), die Ausgangsgröße für die
Ermittlung des in diesem Jahr wirksam werdenden Verlustabzugs. Sie - die
Verluste - sind wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte in der
noch offenen Veranlagung abzuziehen.
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(3) Einer besonderen Verjährungsregelung bedarf es entgegen der Revision
ebenfalls nicht. Die im Zusammenhang mit den Korrekturvorschriften des § 10d
Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG eingefügte Verjährungsregelung des § 10d Abs. 1
Satz 3, 2. Halbsatz EStG (Ablaufhemmung) soll verhindern, dass "Verluste in
dem dem Verlustjahr vorausgehenden Jahr infolge ... Verjährung des
Steueranspruchs unberücksichtigt bleiben müssen" (so BTDrucks 7/4705, S. 4).
Wenn das Gesetz den Ablauf der Festsetzungsfrist für das
Verlustrücktragsjahr bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für das
Verlustentstehungsjahr hinausschiebt und es deshalb ermöglicht, den Verlust
auch dann noch zu berücksichtigen, wenn für das Verlustentstehungsjahr die
Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, so trifft es lediglich eine
Aussage zur Verjährung des Jahres, in dem der Verlust abzuziehen ist
(BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1676, unter II.
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