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BFH-Urteil vom 28.4.2010 (III R 52/09) BStBl. 2010 II S. 1013
Kindergeld für im Ausland studierende Kinder
Hängt die Kindergeldberechtigung davon ab, dass das im Ausland studierende
Kind seinen inländischen Wohnsitz beibehalten hat, und ist dafür die Dauer
seiner Aufenthalte im inländischen Elternhaus von Bedeutung, so kommt es nur
auf die Unterbrechungen des Auslandsaufenthaltes an. Die Dauer der
Inlandsaufenthalte vor dem Beginn oder nach dem Ende des Studiums bleibt
dabei außer Betracht.
AO § 8; EStG § 63 Abs. 1 Satz 3.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 9. Juli 2009 1 K 231/08 (EFG 2010, 240)
Sachverhalt
I.
1
Die im Januar 1988 geborene Tochter der Klägerin und Revisionsbeklagten
(Klägerin) begann nach ihrem Abitur im Juli 2007 am 17. August 2007 ein
Studium an einer Universität in den USA, das voraussichtlich 60 Monate
dauern sollte. Seitdem hielt sie sich in den Zeiten vom 26. Dezember 2007
bis zum 9. Januar 2008, vom 5. Juni 2008 bis zum 23. August 2008 und vom 21.
Dezember 2008 bis zum 17. Januar
2
Nach dem Vortrag der Klägerin standen der Tochter während des Studiums im
Obergeschoss des Elternhauses zwei vollständig eingerichtete Wohnräume mit
Küche und Bad zur Verfügung; dort seien fast alle ihre Sachen verblieben.
3
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des
Kindergeldes im Mai 2008 ab August 2007 auf und führte zur Begründung an,
die Tochter habe keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik. Zugleich forderte sie die Klägerin auf, das für August bis
November 2007 gewährte Kindergeld zurückzuzahlen.
4
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war hinsichtlich der
Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum August bis Dezember 2007 erfolgreich.
Das Finanzgericht (FG) entschied mit Urteil vom 9. Juli 20091 K 231/08
(Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 240), ein Kind, das zum Zwecke
eines 60-monatigen Studiums ins Ausland gehe, behalte seinen Wohnsitz in der
Wohnung der Eltern im Inland nur dann bei, wenn es sich dort fünf Monate im
Jahr aufhalte. Kurzzeitige Besuche oder sonstige Aufenthalte reichten zur
Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes nicht aus. Im Jahr 2007 habe sich
die Tochter aber mehr als fünf Monate im Inland aufgehalten, die Aufhebung
der Kindergeldfestsetzung sei insoweit rechtswidrig. Für den Zeitraum ab
Januar 2008 wurde die Klage dagegen abgewiesen.
5
Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die unzutreffende Auslegung des §
8 der Abgabenordnung (AO). Die Tochter habe den inländischen Wohnsitz
bereits mit Beginn des Auslandsstudiums und nicht erst zum Jahreswechsel
2007/2008 aufgegeben. Das 60-monatige Studium könne nicht in zwei
unterschiedlich bewertete Abschnitte von fünf und 55 Monaten aufgeteilt
werden.
6
Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben, soweit es
das Kindergeld für den Zeitraum August bis Dezember 2007 betrifft, und die
Klage auch insoweit abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -), soweit das Urteil die Monate August bis
Dezember 2007 betrifft. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um zu
entscheiden, ob die Klägerin in diesem Zeitraum Kindergeld für ihre Tochter
beanspruchen kann.
9
1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat
haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung
findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs.
1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes in der Fassung für den
Streitzeitraum (EStG) leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG kein
Kindergeld gewährt. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die
Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die
keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1
und 6 EStG).
10
a) Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8
AO) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland hat, sind durch
langjährige Rechtsprechung geklärt. Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums
für mehrere Jahre ins Ausland begeben, behalten ihren Wohnsitz in der
inländischen elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn sie diese in
ausbildungsfreien Zeiten nutzen. Dabei kommt der Dauer der
Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu. Eine Aufenthaltsdauer von
jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern genügt jedenfalls, um einen
inländischen Wohnsitz beizubehalten, sie ist dafür aber nicht stets
erforderlich (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. November 2000 VI R 107/99,
BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294).
11
b) Soweit die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes durch das im Ausland
studierende Kind von der Dauer der Inlandsaufenthalte abhängt, sind
Zeiträume außer Betracht zu lassen, in denen sich das Kind vor dem Beginn
oder nach dem Ende des Studiums ausschließlich im Inland aufhält. Daher
könnte z.B. für ein Kind, das sein langjähriges Auslandsstudium im November
beginnt, das Kindergeld für den Monat Dezember mangels eines inländischen
Wohnsitzes versagt werden, obwohl es sich in den vorangegangenen elf Monaten
des Kalenderjahres ausschließlich im Inland aufgehalten hat; kehrt ein Kind
z.B. nach Abschluss eines mehrjährigen Auslandsstudiums im Februar auf Dauer
nach Deutschland zurück, so genügt dies nicht zur Begründung des
Kindergeldanspruchs für den Monat Januar. Maßgeblich sind vielmehr nur die
Dauer und die Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der Zeiträume, in
denen das Kind im Ausland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
12
Der (ausschließliche) Inlandsaufenthalt der Tochter vor Antritt ihres
Studiums kann daher - entgegen der Ansicht des FG - nicht begründen, dass
der inländische Wohnsitz bis zum Ende des Jahres 2007 beibehalten wurde.
13
2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
14
a) Den genauen Ausreisetermin der Tochter hat das FG nicht festgestellt.
Falls sie sich im August 2007 - vor dem Studienbeginn am 17. August -
zumindest einen Tag noch im Inland aufgehalten hat, wäre der
Kindergeldanspruch für diesen Monat selbst dann gegeben, wenn sie den
inländischen Wohnsitz mit der Ausreise sodann für die Dauer des Studiums
aufgegeben hätte (§ 32 Abs. 6 Satz 5 EStG).
15
b) Das FG hat rechtskräftig entschieden, dass der inländische Wohnsitz wegen
des Studiums ab Januar 2008 aufgegeben wurde. Ob nach den gesamten
tatsächlichen Umständen des Streitfalles der inländische Wohnsitz bereits im
Jahr 2007 aufgegeben wurde, wird das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen
haben.
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