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BFH-Urteil vom 22.6.2010 (VIII R 3/08) BStBl. 2010 II S. 1035
Keine Nachholung der AfA auf ein nicht als Betriebsvermögen erfasstes
Wirtschaftsgut
1.
Es besteht die Pflicht, die abschnittsbezogene lineare (so genannte
Normal-)AfA auch tatsächlich vorzunehmen.
2.
Wegen des Prinzips der Gesamtgewinngleichheit ist auch bei der
Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die AfA im selben Umfange vorzunehmen
wie beim Betriebsvermögensvergleich.
3.
Bei einem bilanzierenden Steuerpflichtigen ist die verspätete Erfassung
notwendigen Betriebsvermögens eine fehlerberichtigende Einbuchung, bei der
sich der Bilanzansatz nach dem Wert richtet, mit dem das bisher zu Unrecht
nicht bilanzierte Wirtschaftsgut bei von Anfang an richtiger Bilanzierung zu
Buche stehen würde. Deshalb darf auch im Rahmen der Gewinnermittlung nach §
4 Abs. 3 EStG die versäumte AfA auf ein zunächst nicht als Betriebsvermögen
erfasstes Wirtschaftsgut nicht nachgeholt werden.
EStG §§ 4 Abs. 1 und 3, 7 Abs. 1, 18 Abs. 3
i.V.m. 16 Abs. 2 Satz 2.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 20. Dezember
2007 11 K 679/05 E (EFG 2008, 598)
Sachverhalt
I.
1
Streitig ist, in welcher
Höhe der Restbuchwert eines Patents im Betriebsvermögen eines freiberuflich
tätigen Erfinders bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung des
Patents im Rahmen der Betriebsaufgabe zu berücksichtigen ist.
2
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr im Februar 2007 verstorbener Ehemann
(früherer Kläger) wurden im Streitjahr (1998) zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt. Die Klägerin ist die Erbin ihres Ehemannes.
3
Dieser hatte im Jahr 1985
eine Erfindung zum Patent angemeldet. Die Nutzung des Patents überließ er ab
1987 aufgrund eines Lizenzvertrags der X-GmbH, deren Gesellschafter er war.
Die Lizenzeinnahmen wurden zunächst als Einnahmen aus selbständiger
Tätigkeit erklärt und besteuert. Mit Vertrag vom 4. Dezember 1997 verkaufte
der frühere Kläger das Patent für 2 Mio. DM zum 1. Januar 1998 und gab damit
zugleich seine Erfindertätigkeit auf.
4
Nachfolgende Verhandlungen
mit dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) führten im Mai 2002
zu der folgenden tatsächlichen Verständigung:
5
"Die Tätigkeit als Erfinder
einer Methode zur ... wurde erst mit Verwertung der Erfindung am 01.01.1987,
also mit Abschluss der diesbezüglichen Lizenzverträge, mit
Einkunftserzielungsabsicht betrieben. Die bis dahin ausgeübte Tätigkeit als
o.g. Erfinder wurde nicht mit der Absicht betrieben, Einkünfte zu erzielen.
Der Einlagewert des Patents ... zum 01.01.1987 in das Betriebsvermögen des
Herrn ... beträgt 375.000 DM.
6
Die Restnutzungsdauer des
Patents wird zum Einlagezeitpunkt, 01.01.1987, mit 19 Jahren und 3 Monaten
angenommen, da das Patent eine Laufzeit bis Ende März 2006 hat."
7
Ausgehend von dieser
Verständigung ermittelte das FA den Veräußerungs-/Aufgabegewinn aus der
freiberuflichen Tätigkeit mit 1.789.862 DM. Hierbei berücksichtigte es neben
weiteren unstreitigen Kostenpositionen einen Restbuchwert des Patents zum
Veräußerungszeitpunkt in Höhe von 160.720 DM, den es ausgehend von einem
Einlagewert von 375.000 DM ermittelt hatte abzüglich der rechnerisch auf die
Jahre 1987 bis 1997 entfallenden Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf das
Patent. Dementsprechend setzte das FA die Einkommensteuer in einem
Änderungsbescheid für 1998 (Streitjahr) vom 12. Juni 2002 fest, der
weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Auch für 1997 erging
ein Änderungsbescheid, in dem noch die errechnete AfA für ein Jahr
einkünftemindernd berücksichtigt wurde. Wegen Bestandskraft der
Steuerfestsetzungen für die Vorjahre führte das FA keine weiteren
Steueränderungen wegen der AfA durch.
8
Im Januar 2003 beantragten
die Klägerin und der frühere Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1998 gemäß
§ 164 Abs. 2 der Abgabenordnung zu ändern und dabei den Aufgabegewinn um die
rechnerisch auf die Jahre 1987 bis 1996 entfallenden und steuerlich nicht
berücksichtigten Absetzungsbeträge zu mindern. Das FA lehnte den
Änderungsantrag ab, da die nachträgliche Aufnahme des Patents in die Bilanz
eine berichtigende Einbuchung darstelle, die eine Nachholung unterlassener
AfA nicht zulasse entsprechend den Ausführungen im Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. Oktober 2001 X R 153/97 (BFHE 197, 105, BStBl
II 2002, 75). Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos.
9
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 598
veröffentlichten Urteil im Wesentlichen statt.
10
Zu Unrecht habe das FA bei
dem nach § 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 16 Abs. 2
und 3 EStG zu ermittelnden Veräußerungsgewinn die AfA-Beträge für die
Vorjahre weiterhin unberücksichtigt gelassen. Im Rahmen des
Veräußerungsgewinns sei der Wert des Betriebsvermögens nach § 4 Abs. 1 oder
§ 5 EStG zu bestimmen. Steuerpflichtige, die ihren laufenden Gewinn nach § 4
Abs. 3 EStG ermitteln - wie es der frühere Kläger tat -, seien deshalb
gehalten, zur Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns zum
Betriebsvermögensvergleich überzugehen. Dabei gehörten die in den
bestandskräftig veranlagten Jahren bis einschließlich 1996 steuerlich nicht
genutzten AfA-Beträge zum Restbuchwert und minderten den Veräußerungsgewinn.
11
Diese Auffassung stütze sich
auf die Rechtsprechung verschiedener Senate des BFH. Der Entscheidung des X.
Senats des BFH in BFHE 197, 105, BStBl II 2002, 75, die die Nachholung von
AfA versage in Fällen der berichtigenden Einbuchung von Wirtschaftsgütern
des notwendigen Betriebsvermögens, sei jedenfalls für Steuerpflichtige, die
ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, nicht zu folgen.
12
Das FA ist der Auffassung,
das angefochtene Urteil verletze die Rechtsnormen des § 2 Abs. 7 EStG i.V.m.
§ 7 EStG insoweit, als es faktisch eine Nachholung der nicht in Anspruch
genommenen AfA-Beträge aus bereits bestandskräftig veranlagten Jahren
zulasse, obschon ein Wirtschaftsgut des notwendigen Betriebsvermögens
bislang nicht als solches steuerlich berücksichtigt wurde; dies laufe dem
Prinzip der Jahressteuer und der abschnittsweisen Erfassung des Wertverzehrs
von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zuwider. Der Gedanke der richtigen
Erfassung des Totalgewinns habe gegenüber diesem Prinzip zurückzutreten.
13
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
14
Die Klägerin beantragt, die
Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
15
Sie ist der Auffassung, dass
die Grundsätze, die der X. Senat des BFH mit dem Urteil in BFHE 197, 105,
BStBl II 2002, 75 aufgestellt hat, auf den Streitfall nicht übertragbar
seien, da ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG
ermittele, sich in den Streitjahren gar nicht vor einem fehlenden
Bilanzansatz habe schützen können. Eine Pflicht zur Aufstellung eines
Anlageverzeichnisses für Zwecke des § 4 Abs. 3 EStG habe zu diesem Zeitpunkt
noch nicht bestanden.
Entscheidungsgründe
II.
16
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der angefochtene
Einkommensteuerbescheid für 1998 ist entgegen der Auffassung des FG
rechtmäßig.
17
Zu Unrecht hat das FG bei der Ermittlung
des Aufgabegewinns die Summe der jährlichen AfA-Beträge auf das Patent für
die Jahre 1987 bis 1996 vom Restbuchwert abgezogen und damit gewinnmindernd
berücksichtigt.
18
1. a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG ist bei
Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen
zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von
mehr als einem Jahr erstreckt, jeweils für ein Jahr der Teil der
Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger
Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf
ein Jahr entfällt.
19
Nach allgemeiner Meinung besteht eine
Pflicht, diese abschnittsbezogene (so genannte Normal-)AfA auch tatsächlich
vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 8. April 2008 VIII R 64/06, BFH/NV 2008,
1660, unter II.1. der Entscheidungsgründe; Schmidt/Kulosa, EStG, 29. Aufl.,
§ 7 Rz 6; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 7 Rz 22; Blümich/Brandis,
§ 7 EStG Rz 314).
20
Allerdings können AfA auf Wirtschaftsgüter
- auch auf solche des Betriebsvermögens -, deren Vornahme pflichtwidrig
unterlassen wurde, nach bisheriger ständiger Rechtsprechung grundsätzlich in
späteren Steuerabschnitten nachgeholt werden, wenn eine Berücksichtigung in
dem nach dem Gesetz zutreffenden Steuerabschnitt (Veranlagungszeitraum)
verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 7.
Oktober 1971 IV R 181/66, BFHE 103, 564, BStBl II 1972, 271; vom 11.
Dezember 1987 III R 266/83, BFHE 152, 128, BStBl II 1988, 335; vom 29.
Oktober 1991 VIII R 51/84, BFHE 166, 431, BStBl II 1992, 512; vom 16.
Februar 1995 IV R 29/94, BFHE 177, 389, BStBl II 1995, 635; vom 26. Juni
1996 XI R 41/95, BFHE 180, 572, BStBl II 1996, 601; vom 14. November 2007 XI
R 37/06, BFH/NV 2008, 365; s. auch Amtliches Einkommensteuerhandbuch 2009, H
7.4 "Unterlassene oder überhöhte AfA").
21
Diese Rechtsprechung hat ihren
Ausgangspunkt im Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs (vgl. schon BFH-Urteil
vom 3. Juli 1956 I 344/55 U, BFHE 63, 137, BStBl III 1956, 250), der
ungeachtet der für vergangene Jahre eingetretenen Bestandskraft von
Steuerbescheiden die Bilanzberichtigung und damit die Fehlerkorrektur bei
falscher Bewertung von Wirtschaftsgütern in verfahrensrechtlich noch offenen
Wirtschaftsjahren ermöglicht.
22
Die Nachholung von AfA wird aber auch bei
der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG und bei den Überschusseinkünften
für zulässig erachtet (Blümich/Brandis, § 7 EStG Rz 319, m.w.N.;
Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 7, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 177,
389, BStBl II 1995, 635). Dies gebiete schon der Gleichbehandlungsgrundsatz
(vgl. BFH-Urteile in BFHE 103, 564, BStBl II 1972, 271; in BFH/NV 2008, 365,
m.w.N.; ferner grundsätzlich: Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26.
November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132).
23
b) Etwas anderes gilt nach Rechtsprechung,
Verwaltungsauffassung und ganz überwiegender Meinung in der Literatur, wenn
es um die AfA auf Wirtschaftsgüter des notwendigen Betriebsvermögens geht,
die in der Bilanz nicht aktiviert waren und die erst zu einem späteren
Zeitpunkt als dem der Anschaffung, Herstellung oder Einlage in das
Betriebsvermögen erstmals in die Bilanz eingebucht werden (BFH-Urteil in
BFHE 197, 105, BStBl II 2002, 75; BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2009 X B
100/09, BFH/NV 2010, 205; Amtliches Einkommensteuerhandbuch 2009, H 7.4
"Unterlassene oder überhöhte AfA"; Gosch, Die steuerliche Betriebsprüfung
2002, 87; v.Groll, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 211;
Weber-Grellet, Finanz-Rundschau - FR - 2002, 210; ders. Betriebs-Berater
2003, 37, 42; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 7; Lambrecht in Kirchhof,
a.a.O., § 7 Rz 26; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht,
Kommentar, § 7 EStG Rz 224; Nolde in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 7 EStG Rz
97; a.A. Groh, Der Betrieb 1998, 1931, 1936). In diesem Fall der
fehlerberichtigenden Einbuchung (s. auch BFH-Urteil vom 14. Januar 2010 IV R
86/06, BFH/NV 2010, 1096) bestimmt sich der Bilanzansatz nach dem Wert, mit
dem das bisher zu Unrecht nicht bilanzierte Wirtschaftsgut bei von Anfang an
richtiger Bilanzierung zu Buche stehen würde (BFH-Urteile in BFHE 197, 105,
BStBl II 2002, 75; vom 12. Oktober 1977 I R 248/74, BFHE 123, 478, BStBl II
1978, 191, unter 1.b der Entscheidungsgründe; vgl. ferner für den Fall
erstmaliger Bilanzerstellung BFH-Urteil vom 30. Oktober 1997 IV R 76/96,
BFH/NV 1998, 578). Dies erfordert für die Ermittlung des Einbuchungswertes
eine "Schattenrechnung", bei der die bisher unberücksichtigt gebliebenen
AfA-Beträge von den Anschaffungskosten abgesetzt werden (BFH-Urteil in BFHE
197, 105, BStBl II 2002, 75). Weil das betreffende Wirtschaftsgut in den
Bilanzen der Vorjahre nicht aktiviert war, gibt es insoweit keinen
Bilanzenzusammenhang mit der Bilanz für das Jahr der Einbuchung, der die
rechnerisch folgerichtige Fortentwicklung eines Bilanzwertes gebieten
könnte.
24
c) Wegen des Prinzips der
Gesamtgewinngleichheit, wonach die Art der Gewinnermittlung zwar zu
unterschiedlichen Periodengewinnen führen kann, die Identität des
Totalgewinns von Beginn bis Ende des Betriebes aber gewahrt bleiben muss
(BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 365; vom 15. April 1999 IV R 68/98, BFHE 188,
291, BStBl II 1999, 481, m.w.N.; vgl. ferner BFH-Urteil vom 2. Oktober 2003
IV R 13/03, BFHE 203, 373, BStBl II 2004, 985, m.w.N. aus der Literatur;
Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz 10; vgl. ferner Blümich/Wied, § 4 EStG Rz
58; Drüen, FR 1999, 1097), ist auch bei Gewinnermittlung durch
Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG die AfA in demselben
Umfange vorzunehmen wie bei der Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich. Das hat auch zur Konsequenz, dass eine Minderung
der AfA-Bemessungsgrundlage bei verspäteter Zuordnung eines Wirtschaftsgutes
zum Betriebsvermögen bei beiden Gewinnermittlungsarten gleich ausfallen
muss.
25
2. Da die Vorentscheidung auf einer anderen
Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen. Das
Patent des früheren Klägers ist erst infolge der tatsächlichen Verständigung
der Beteiligten als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens erfasst worden.
Wegen der Bestandskraft der Steuerfestsetzungen für die
Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 konnte die abschnittsbezogene
AfA nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG für jene Jahre nicht mehr vorgenommen
werden. Die nachholende steuerliche Berücksichtigung der auf jene Jahre
entfallenden AfA-Beträge im Rahmen der Wertermittlung des Betriebsvermögens
nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG kommt nicht mehr in
Betracht.
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