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BFH-Urteil vom 4.11.2003 (VIII R 43/02)
BStBl. 2010 II S.
1046
Bei der Prüfung, ob ein volljähriges Kind wegen körperlicher, geistiger oder
seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist auf
den Kalendermonat abzustellen.
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 22. April 2002 II 319/01 (EFG
2002, 1311)
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre 1964
geborene und seit Geburt dauerhaft behinderte Tochter M; der Grad der
Behinderung beträgt zur Zeit 60 v.H. M ist in der Behinderten-Werkstatt in X
beschäftigt und erhält ein monatliches Bruttoentgelt von 351 DM.
Die seit 1990 verwitwete Klägerin war zunächst nicht darüber informiert,
dass ihrer Tochter bereits seit Dezember 1990 Waisenrente zugestanden hätte.
Da Ansprüche für den Zeitraum Dezember 1990 bis Dezember 1994 verjährt
waren, erhielt M rückwirkend eine Waisenrente ab Januar 1995 in Höhe von
monatlich 716 DM. Die Nachzahlung für den Zeitraum Januar 1995 bis Dezember
2000 von insgesamt ca. 44.200 DM erfolgte im Mai 2001 in einer Summe.
Daraufhin änderte der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) die bisherige
Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 3. April 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte das Kindergeld für M ab 1.
Januar 2001 auf 0 DM fest. Das bereits für Januar bis April 2001 gezahlte
Kindergeld von insgesamt 1.080 DM forderte er zurück. Die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung begründete der Beklagte damit, das Einkommen von M
übersteige auf Grund der Nachzahlung des Waisengeldes den
kindergeldschädlichen Jahresgrenzbetrag.
Den dagegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück.
Nach Meinung des Beklagten war die Tochter der Klägerin im Streitjahr nicht
wegen ihrer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten. Angesichts
der im Mai 2001 erfolgten Rentennachzahlung von insgesamt ca. 44.200 DM und
des seit Januar 2001 monatlich laufend gezahlten Waisengelds in Höhe von
714,12 DM brutto sei M fähig gewesen, sich selbst zu unterhalten. Die
Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
gelte auch für behinderte Kinder. Im Jahr 2001 sei daher für M von einem
Grundbedarf von 14.040 DM zuzüglich eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs
auszugehen, der mangels Einzelnachweises nach dem Behinderten-Pauschbetrag
gemäß § 33b EStG zu bemessen sei. Bei einer Behinderung von 60 v.H. betrage
der behinderungsbedingte Mehrbedarf 1.410 DM, damit ergebe sich ein
Gesamtbedarf von 15.450 DM. Dem stünden finanzielle Mittel von insgesamt
48.968 DM gegenüber, so dass der Gesamtbedarf bei weitem überschritten
werde.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die Regelung des § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG beziehe sich nur auf die Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn.
1 und 2. Den Fall des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erfasse die Regelung
nicht. Für ihre Tochter stelle es bereits ein erhebliches finanzielles Opfer
dar, dass ihr die Waisenrente nicht unmittelbar seit dem Tod des Vaters
gewährt worden sei. Zudem habe ihr die erst 2001 nachgezahlte Waisenrente
über Jahre hinweg nicht zur Verfügung gestanden. Wenn diese nunmehr bei der
Einkommensgrenze nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt werde, ergebe
sich eine weitere finanzielle Bestrafung. Denn wäre die Waisenrente von
Anfang an monatlich in Höhe von 716 DM gezahlt worden, wäre es zu keiner
Zeit zu einer Überschreitung des Jahresgrenzbetrages gekommen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2002, 1311 veröffentlichten Urteil statt. Es entschied,
der Gesamtbedarf der Tochter der Klägerin in Höhe von 15.450 DM (14.040 DM
Grundbedarf zuzüglich 1.410 DM behinderungsbedingter Mehrbedarf) werde nicht
überschritten, da die im Jahr 2001 erfolgte Nachzahlung der Waisenrente von
ca. 44.200 DM außer Ansatz bleiben müsse.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die fehlerhafte Anwendung der §§ 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Nach seiner Meinung ist die
Frage der zufälligen Zusammenballung von Einkünften und Bezügen in einem
Kalenderjahr vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 16. April 2002 VIII R
76/01 (BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525) bereits entschieden worden. Die in
jenem Urteil vom BFH aufgestellten Grundsätze seien auch auf den Streitfall
anzuwenden.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als der
Klägerin Kindergeld für die Zeit von 1. Mai bis 31. Dezember 2001 zuerkannt
wurde, und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Kindergeld für
M für den Monat Mai 2001 unbegründet. Sie war insoweit zurückzuweisen (§ 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Hinsichtlich des
Kindergeldanspruchs für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2001 ist die
Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und
zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für die Monate Juni bis Dezember
2001 zu Recht aufgehoben. Der Klägerin steht für diesen Zeitraum kein
Kindergeldanspruch für ihre Tochter zu, da M während dieser Monate nicht
aufgrund ihrer Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 3 EStG 1997 (i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. April 1997, BGBl I 1997,
821, BStBl I 1997, 415) besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr
vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher,
geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu
unterhalten.
a) Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" ist
im Gesetz nicht näher umschrieben. Durch die Verweisung in § 63 Abs. 1 Satz
2 EStG auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG hat der Gesetzgeber aber
klargestellt, dass der steuerrechtliche Begriff des Außerstandeseins zum
Selbstunterhalt seit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 auch im
Kindergeldrecht anzuwenden und somit eine einheitliche steuer-rechtliche
Auslegung geboten ist. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)
zum Bundeskindergeldgesetz in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden
Fassung (BKGG a.F.), das für das Kindergeld und für den Kinderfreibetrag
eine unter-schiedliche rechtliche Beurteilung zugrunde gelegt hat (vgl.
BSG-Urteil vom 3. Dezember 1996 10 RKg 12/95, SozR 3-5870 § 11a BKGG Nr.
10), kann daher nicht zurückgegriffen werden. Denn das Kindergeld dient seit
dem 1. Januar 1996 - ebenso wie der Kinderfreibetrag - in erster Linie der
steuerrechtlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den
Eltern.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann
außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt
nicht bestreiten kann. Dies ist der Fall, wenn die Behinderung einer
Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen Einkünfte und
Bezüge verfügt (BFH-Urteile vom 12. November 1996 III R 53/95, BFH/NV 1997,
343, und vom 14. Juni 1996 III R 13/94, BFHE 181, 128, BStBl II 1997, 173).
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stellt nicht allein darauf ab, dass ein Kind
körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; vielmehr muss es wegen
seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Ist das
Kind trotz seiner Behinderung (z.B. aufgrund hoher Einkünfte oder Bezüge) in
der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung
keine Bedeutung zu. Nur diese Auslegung entspricht dem gesetzgeberischen
Willen, bei hinreichender Leistungsfähigkeit des behinderten Kindes kein
Kindergeld bzw. keinen Kinderfreibetrag zu gewähren (BFH-Urteil vom 15.
Oktober 1999 VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72).
c) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann imstande,
sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen
Lebensbedarfs ausreicht (vgl. Urteile in BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72,
und vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98, BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75). Die
Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist folglich anhand eines
Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des
Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits, zu prüfen.
Erst wenn sich daraus eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes
ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher
Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert (vgl.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Mai 1990 1 BvL
20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, 87, BStBl II 1990, 653,
658). Dann ist es auch gerechtfertigt, für behinderte Kinder kein Kindergeld
und keinen Kinderfreibetrag zu gewähren.
Wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72 dargelegt
hat, setzt sich der gesamte existentielle Lebensbedarf des behinderten
Kindes typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem
individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Für das Jahr 2001
ist der Grundbedarf mit 14.040 DM zu bemessen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.
Dezember 2001 VI B 178/01, BFHE 197, 472, BStBl II 2002, 486; zur
allgemeinen Bemessung dieses am Existenzminimum orientierten Betrages nach
dem im Sozialhilferecht jeweils anerkannten Mindestbedarf vgl.
BVerfG-Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR
980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, 191, zu C.II.). Hinzu kommt ein
individueller behinderungsbedingter Mehraufwand, den gesunde Kinder nicht
haben. Erbringt der Steuerpflichtige insoweit keinen Einzelnachweis, kann
der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) als
Anhalt für den betreffenden Mehrbedarf dienen (Senatsurteile vom 19. August
2002 VIII R 17/02, BFHE 200, 219, BStBl II 2003, 88; VIII R 51/01, BFHE 200,
212, BStBl II 2003, 91).
d) Die in diesem Zusammenhang anzustellende Berechnung hat nach dem
Monatsprinzip zu erfolgen. Zum einen wird die für behinderte Kinder
maßgebliche Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG von der
Jahresgrenzbetragsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG - anders als die Nr. 1
und 2 des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG - nicht erfasst und auch die Materialien
zu § 32 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG lassen nicht erkennen, dass der
Gesetzgeber solches beabsichtigt hätte (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 139, 155,
zu § 32 Abs. 4 EStG 1996). Zum anderen ist das Kindergeld in §§ 66 Abs. 1,
71 EStG als ein Monatsbetrag bezeichnet und wird nach § 66 Abs. 2 EStG vom
Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt
sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen
wegfallen. Außerdem wird ein Kind nach § 32 Abs. 3 EStG in dem
Kalendermonat, in dem es lebend geboren wurde, und in jedem folgenden
Kalendermonat, zu dessen Beginn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat, berücksichtigt. Entfällt für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet
hat (§ 32 Abs. 4 EStG), die Berücksichtigungsfähigkeit im Laufe eines
Monats, so wird es für den jeweils angebrochenen Monat voll berücksichtigt
(BFH-Urteil vom 1. März 2000 VI R 162/98, BFHE 191, 55, BStBl II 2000, 459).
Der erkennende Senat hat daraus den Schluss gezogen, der Gesetzgeber habe -
soweit er nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet hat (vgl. § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG) - das für die Einkommensteuer grundsätzlich maßgebliche
Jahressteuerprinzip für den Kinderfreibetrag und das Kindergeld durchbrochen
(Senatsurteil vom 16. Dezember 2002 VIII R 65/99, BFHE 201, 195, BStBl II
2003, 593), so dass auf das Monatsprinzip abzustellen ist.
Die Urteile des VI. Senats des BFH in BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72,
sowie in BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75 stehen dieser Auffassung nicht
entgegen. Soweit der BFH in den genannten Urteilen unter 3.a der Gründe den
Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bei behinderten Kindern für
entsprechend anwendbar erklärt hat, gilt dies nur in Bezug auf die Höhe des
im jeweiligen Kalenderjahr für den Grundbedarf anzusetzenden Betrages.
Dagegen ist diesen Entscheidungen nicht zu entnehmen, dass die in § 32 Abs.
4 Satz 2 EStG angeordnete Abweichung vom Monatsprinzip in den Fällen des
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 - entgegen dem klaren Wortlaut der Vorschrift -
sinngemäß auch für die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG genannten Fälle
gelten soll.
2. In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist davon ausgehen, dass M im
Jahr 2001 in den Monaten Januar bis einschließlich Mai zum Selbstunterhalt
außerstande war, weil sie nicht über ausreichende Mittel verfügte, um ihren
gesamten existentiellen Lebensbedarf zu decken. Die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung für den Monat Mai war daher rechtswidrig, so dass die
Revision insoweit als unbegründet zurückzuweisen war.
Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO
gebunden ist, verfügte M monatlich über 716 DM Waisenrente sowie 351 DM
Entgelt aus ihrer Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte, insgesamt
also monatlich 1.067 DM. Demgegenüber bestand für den Zeitraum Januar bis
Mai 2001 ein Grundbedarf der M in Höhe von 5/12 von 14.040 DM nebst einem
behinderungsbedingten Mehrbedarf von 5/12 von 1.410 DM, d.h. ein
Gesamtbedarf von 5/12 von 15.450 DM, insgesamt 6.437,50 DM. Die M zur
Verfügung stehenden finanziellen Mittel betrugen jedoch nur 5.335 DM
(monatlich 1.067 DM x 5 Monate), so dass M während dieser Zeit außerstande
war, sich selbst zu unterhalten. Der Umstand, dass die Nachzahlung der
Waisenrente von ca. 44.200 DM noch im Mai 2001 erfolgte, steht dem nicht
entgegen, da sich das erst im Juni 2001 auswirken kann, weil das Kindergeld
gemäß § 66 Abs. 2 EStG bis zum Ende des Monats gezahlt wird, in dem die
Anspruchsvoraussetzungen wegfallen.
Hinsichtlich des Zeitraumes Juni bis Dezember 2001 war die Aufhebung der
Kindergeldfestsetzung jedoch rechtmäßig, weil M ab Juni 2001 über
ausreichende Mittel verfügte, um ihren gesamten existentiellen Lebensbedarf
zu decken. Insoweit ist die Revision begründet. Denn bei einem Grundbedarf
in Höhe von 7/12 von 14.040 DM und einem behinderungsbedingten Mehrbedarf
von 7/12 von 1.410 DM, d.h. einem Gesamtbedarf von 7/12 von 15.450 DM,
insgesamt also 9.012,50 DM, und den M ab Juni 2001 insgesamt zur Verfügung
stehenden finanziellen Mitteln (Waisenrente monatlich 716 DM,
Rentennachzahlung ca. 44.200 DM und monatlich 351 DM Entgelt aus der
Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte) ist deutlich, dass diese den
Gesamtbedarf bei weitem übersteigen.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Nachzahlung der Waisenrente
für den Zeitraum Januar 1995 bis Dezember 2000 von insgesamt 44.200 DM in
voller Höhe im Jahr des Zuflusses zu erfassen, d.h. im Jahr 2001. Eine
Verteilung des Rentenbetrages auf den Zeitraum, für den er gezahlt wurde,
kommt nicht in Betracht. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil in BFHE
199, 116, BStBl II 2002, 525 dargelegt hat, gilt insoweit das
Zuflussprinzip.
4. Da M für den Zeitraum Juni bis Dezember 2001 nicht aufgrund ihrer
Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 3 EStG), hat der Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung ab Juni
2001 aufgehoben. Denn Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während
eines Kalenderjahres erlassen worden sind, sind aufzuheben, wenn - wie im
Streitfall - abzusehen ist oder bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge
des Kindes so hoch sind, dass dieses trotz seiner Behinderung fähig ist,
sich selbst zu unterhalten. Dabei kann offen bleiben, ob die Änderung in
diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 allein oder i.V.m. § 175
Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil in BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525;
BFH-Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BFHE 196, 265, BStBl II 2002, 85).
Soweit der Beklagte die Kindergeldfestsetzung auch für die davor liegenden
Monate aufgehoben hat, war das auf Grund der Unfähigkeit der M zum
Selbstunterhalt für diese Monate rechtswidrig. Das für den Monat Mai 2001
gezahlte Kindergeld durfte der Beklagte daher auch nicht gemäß § 37 Abs. 2
AO 1977 von der Klägerin zurückfordern.
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