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BFH-Urteil vom 29.1.2009 (VI R 56/07) BStBl. 2010 II S. 1067
Unentgeltliche Überlassung eines Dienstwagens und Sammelbeförderung
1.
Die unentgeltliche bzw. verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den
Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer
Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum Lohnzufluss.
2.
Die Übernahme der Arbeitnehmerbeförderung i.S. des § 3 Nr. 32 EStG bedarf
grundsätzlich einer besonderen Rechtsgrundlage. Dies kann ein Tarifvertrag
oder eine Betriebsvereinbarung sein.
3.
Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einen Dienstwagen auch
uneingeschränkt für private Zwecke, ist fraglich, ob der Arbeitgeber ein
solches Fahrzeug noch zur Beförderung (weiterer) Arbeitnehmer "gestellen"
kann.
EStG § 3 Nr. 32, § 8 Abs. 2, § 19 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 42d.
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom
29. November 2007 5 K 143/05 (EFG 2008, 283)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) ist Gesellschafter-Geschäftsführer der W GmbH
(GmbH). Die GmbH hat ihren Verwaltungssitz am Wohnsitz des Klägers in X.
Geschäftsgegenstand der GmbH ist die Innereifleischerei, die im 80 km von X
entfernten Schlachtzentrum in Y ausgeübt wird. Die GmbH stellte dem Kläger
einen Dienstwagen zur Verfügung, den dieser auch für Privatfahrten sowie für
Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Schlachtzentrum nutzen durfte.
2
In der Vereinbarung vom 30.
November 2001 heißt es:
"Die Gesellschaft stellt
Ihnen einen firmeneigenen PKW zur Verfügung. Sie sind verpflichtet, mit
diesem PKW weitere Arbeitnehmer der Gesellschaft für den betrieblichen
Einsatz, soweit es notwendig ist, zu den jeweiligen Arbeitsorten
mitzunehmen."
3
Dementsprechend beförderte
der Kläger regelmäßig auf seinen Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem
Schlachtzentrum weitere Mitarbeiter der GmbH, die teilweise auch am
Verwaltungssitz der GmbH wohnten, dorthin.
4
Die GmbH unterwarf zwar den
geldwerten Vorteil aus der Privatnutzung des Dienstwagens dem
Lohnsteuerabzug, von einer Versteuerung des in § 8 Abs. 2 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) geregelten Zuschlags sah sie jedoch unter
Hinweis auf § 3 Nr. 32 EStG ab.
5
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA -) gegen den Kläger wegen des geldwerten Vorteils aus der
Überlassung des Dienstwagens auch für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte für den streitigen Zeitraum Januar bis September 2004 einen
Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern in Höhe von 2 872
EUR.
6
Das Finanzgericht (FG) gab
der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2008, 283 veröffentlichten Gründen statt. Zur Begründung
führte das FG aus, die Überlassung des Dienstwagens auch für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte stelle keinen geldwerten Vorteil dar,
weil das Fahrzeug für eine gemäß § 3 Nr. 32 EStG steuerlich privilegierte
Sammelbeförderung genutzt worden sei. Die Voraussetzungen der
Steuerbefreiungsvorschrift seien erfüllt.
7
Mit der Revision rügt das FA
die Verletzung materiellen Rechts.
8
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
10
Die Revision ist begründet. Sie führt zur
Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
11
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
kommt die Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG zur Anwendung.
12
Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der
Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei
jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers
einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Nach §
42d Abs. 3 Satz 4 EStG kann die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachgefordert
werden, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom
Arbeitslohn einbehalten hat. Davon ist hier auszugehen.
13
a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen
oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal "für" ist nach ständiger
Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der
Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen
sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung
aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige
Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen.
14
Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend
eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung
aus den Begleitumständen der Zuwendung zu schließen ist, dass der jeweils
verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des "ganz
überwiegend" eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes
eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen,
vernachlässigt werden. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem
des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen
sein. Ist aber - neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers -
ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die
Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des
Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH
- vom 11. April 2006 VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.;
vom 26. Juli 2007 VI R 64/06, BFHE 218, 370, BStBl II 2007, 892; vom 17.
Januar 2008 VI R 26/06, BFHE 220, 266, BStBl II 2008, 378).
15
Nach ständiger Rechtsprechung des
erkennenden Senats führt auch die unentgeltliche bzw. verbilligte
Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für
dessen Privatnutzung zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum
Lohnzufluss (BFH-Urteile vom 7. November 2006 VI R 95/04, BFHE 215, 252,
BStBl II 2007, 269; vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II
2008, 887; vom 28. August 2008 VI R 52/07, Deutsches Steuerrecht 2008,
2469).
16
Hinsichtlich der Bewertung dieses
geldwerten Vorteils gilt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG die in § 6 Abs. 1 Nr.
4 Satz 2 EStG getroffene Regelung entsprechend; die Privatnutzung ist daher
mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung
zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer
anzusetzen. Der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG erhöht sich gemäß § 8 Abs.
2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 % des genannten Listenpreises
für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wenn
das Fahrzeug für solche Fahrten genutzt werden kann (vgl. zur Bedeutung der
Vorschrift BFH-Urteile vom 4. April 2008 VI R 68/05, BFHE 221, 17, BStBl II
2008, 890; in BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887).
17
b) Nach diesen Grundsätzen führt auch im
Streitfall die Privatnutzung des Dienstwagens durch den Kläger zu einem
geldwerten Vorteil und der Anwendung der entsprechenden
Bewertungsvorschriften (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG). Der Vorteil wird
nicht aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt. Vielmehr
kommt die Vorteilsgewährung vor allem dem persönlichen Interesse des Klägers
entgegen. Das gilt auch insoweit, als der Kläger zivilrechtlich verpflichtet
ist, auf seinen Fahrten zur Arbeitsstätte Arbeitskollegen zu befördern.
Selbst wenn damit einem betrieblichen Bedürfnis entsprochen wird, folgt
daraus nicht, dass die Überlassung des Dienstwagens auch zu privaten Zwecken
insgesamt ganz überwiegend im betrieblichen Interesse liegt.
18
c) Der Senat schließt sich der Auffassung
des FG, dass § 3 Nr. 32 EStG der Zuschlagsregelung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3
EStG entgegenstehe, nicht an. Die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift
sind hier nicht gegeben.
19
Nach § 3 Nr. 32 EStG ist die unentgeltliche
oder verbilligte Sammelbeförderung eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte mit einem vom Arbeitgeber gestellten Beförderungsmittel
steuerfrei, soweit die Sammelbeförderung für den betrieblichen Einsatz des
Arbeitnehmers notwendig ist. "Sammelbeförderung" meint die durch den
Arbeitgeber organisierte oder zumindest veranlasste Beförderung mehrerer
Arbeitnehmer; sie darf nicht auf dem Entschluss eines Arbeitnehmers beruhen
(v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 32 Rz 32/31;
Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3 Nr. 32 EStG Rz 2). Die Übernahme
der Arbeitnehmerbeförderung bedarf grundsätzlich einer besonderen
Rechtsgrundlage. Dies kann etwa ein Tarifvertrag oder eine
Betriebsvereinbarung sein (Küttner/ Griese, Personalbuch 2008, Stichwort
Arbeitnehmerbeförderung, Rz 1).
20
Im Streitfall kann dahinstehen, ob nach
diesen Grundsätzen die Befreiungsvorschrift überhaupt zur Anwendung kommen
kann, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einen Dienstwagen auch für
private Zwecke uneingeschränkt überlässt. Denn es ist fraglich, ob der
Arbeitgeber ein solches Fahrzeug noch zur Beförderung (weiterer)
Arbeitnehmer "gestellen", d.h. zur Verfügung stellen kann. Befördert der
Arbeitnehmer auf seinen Wegen zur Arbeitsstätte noch weitere Kollegen
dorthin, wird es indessen der Arbeitnehmer selbst sein, der regelmäßig das
Fahrzeug zur Verfügung stellen und den Transport organisieren wird. Im
Streitfall fehlt es jedenfalls an einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmern über den arbeitstäglichen Transport zur Arbeitsstätte. Aus
der gegenüber der GmbH eingegangenen Verpflichtung des Klägers, mit dem
Dienstwagen "weitere Arbeitnehmer ... zu den jeweiligen Arbeitsorten
mitzunehmen", lässt sich ein Rechtsanspruch dieses Personenkreises auf
regelmäßige Durchführung der Fahrten nicht begründen.
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Bei diesem Ergebnis kann auch offenbleiben,
ob der Inhaber eines Dienstwagens in einem von ihm betriebenen Fahrzeug
Adressat einer Sammelbeförderung sein kann.
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