![]() |
||
| | Home | | | Index | | | EStG | | | Neuzugang | | | Impressum |
|
BFH-Beschluss vom 22.7.2010 (V R 19/09) BStBl. 2010 II S. 1090
EuGH-Vorlage zur Zulässigkeit der Einschränkung des Umsatzschlüssels durch §
15 Abs. 4 Satz 3 UStG 1999 i.d.F. des StÄndG 2003
Dem
EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG dahingehend auszulegen,
dass er die Mitgliedstaaten ermächtigt, für die Aufteilung der Vorsteuern
aus der Errichtung eines gemischt-genutzten Gebäudes vorrangig einen anderen
Aufteilungsmaßstab als den Umsatzschlüssel vorzuschreiben?
UStG 1999 i.d.F. des StÄndG 2003 § 1 Abs. 1
Nr. 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 und Abs. 4; Richtlinie
77/388/EWG Art. 2 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1, 2 und 5, Art. 19 Abs. 1.
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 23.
April 2009 16 K 271/06 (EFG 2009, 1790)
Sachverhalt
I.
1
Die Beteiligten streiten
darum, ob die Vorsteuern auf Eingangsleistungen zur Herstellung eines
gemischt-genutzten Gebäudes im Streitjahr (2004) nach dem Verhältnis der
Ausgangsumsätze aufgeteilt werden konnten.
2
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) errichtete in den Jahren 2003 und 2004 ein
Wohn- und Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung (Ende 2004) teils
steuerpflichtig, teils steuerfrei vermietete. Von den im Streitjahr
angefallenen und den Gebäudeteilen nicht direkt zugerechneten Vorsteuern
machte die Klägerin 54,07 % (aus 446.610,27 EUR) in ihrer
Umsatzsteuer-Jahreserklärung des Streitjahres geltend. Diesen Prozentsatz
ermittelte sie auf der Grundlage der im Jahr 2003 kalkulierten Umsätze aus
der Vermietung von Wohnungen zu privaten Wohnzwecken (152.000 EUR) und der
Vermietung von Geschäftsräumen (179.000 EUR).
3
Im Anschluss an eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA -) die Auffassung, nach § 15 Abs. 4 Satz 3 des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003
(StÄndG 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645) seien die Vorsteuern
ab dem 1. Januar 2004 nach einem Flächenmaßstab aufzuteilen. Bei einem
Flächenanteil der steuerpflichtig vermieteten Geschäftsräume von 34,4% führe
dies zu einer Kürzung der geltend gemachten Vorsteuern. Außerdem habe der
Übergang vom Umsatzschlüssel zum Flächenschlüssel ab dem 1. Januar 2004 eine
Änderung der Verhältnisse und damit eine Berichtigung der Vorsteuern nach §
15a UStG zur Folge. Gegen den auf dieser Grundlage ergangenen
Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 9. Juni 2004 legte die Klägerin erfolglos
Einspruch ein.
4
Die Klage hatte dagegen
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging in dem in "Entscheidungen der
Finanzgerichte" (EFG) 2009, 1790 veröffentlichten Urteil davon aus, dass die
Klägerin nach der nationalen Regelung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG nicht mehr
befugt gewesen sei, ihre Vorsteuern im Verhältnis der steuerfreien zu den
steuerpflichtigen Umsätzen aufzuteilen, weil die Aufteilung der Vorsteuern
nach dem Flächenschlüssel zwar auf einem wirtschaftlich vertretbaren
Aufteilungsmaßstab beruhe. Diese Regelung verstoße aber gegen das
Gemeinschaftsrecht, das den Umsatzschlüssel als Regel-Aufteilungsmaßstab
vorsehe. Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG)
eröffne dem nationalen Gesetzgeber nicht die Möglichkeit, vorrangig einen
anderen Aufteilungsmaßstab als den Umsatzschlüssel festzulegen. Diese
Bestimmung regele lediglich die vorrangige Direktzuordnung der
Eingangsleistungen zu steuerpflichtigen oder steuerfreien
Ausgangsleistungen. Für den verbleibenden Rest an Vorsteuern gelte die
Grundregel der Unterabs. 1 und 2 des Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie
77/388/EWG, die eine Aufteilung anhand des Umsatzschlüssels vorsehe.
5
Mit der - vom FG
zugelassenen - Revision rügt das FA sinngemäß die Verletzung des § 15 Abs. 4
Satz 3 UStG und bringt zur Begründung im Wesentlichen vor: Diese Norm beruhe
auf Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG, wobei
der in der deutschen Sprachfassung verwendete Begriff "Zuordnung" im Sinne
von "Gebrauch" oder "Verwendung" zu verstehen sei. Die Auslegung des Art. 17
Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG durch das FG stimme
nicht mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Vorsteuerabzug
bei der Anschaffung oder Herstellung gemischt-genutzter Gebäude überein.
Wenn die gesamten Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung oder Herstellung
eines solchen Gebäudes nach § 15 Abs. 4 UStG aufzuteilen seien (BFH-Urteile
vom 28. September 2006 V R 43/03, BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417; vom 22.
November 2007 V R 43/06, BFHE 219, 450, BStBl II 2008, 770), verbleibe kein
Raum mehr für eine Direktzuordnung, die nach dem Verständnis des FG durch
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG ermöglicht
werde.
6
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Der Senat setzt das Verfahren aus und legt
dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Leitsatz genannte Frage
zur Vorabentscheidung vor.
9
III. Die maßgeblichen Vorschriften
1. Nationales Recht
Für die Beurteilung des Streitfalls sind
die folgenden Vorschriften des UStG maßgebend:
a) § 1 Steuerbare Umsätze
"(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die
folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen
Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines
Unternehmens ausführt. ..."
10
b) § 4 Steuerbefreiungen bei Lieferungen
und sonstigen Leistungen
"Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden
Umsätzen sind steuerfrei: ...
12. Buchst. a) die Vermietung und die
Verpachtung von Grundstücken, ..."
11
c) § 9 Verzicht auf Steuerbefreiungen
"(1) Der Unternehmer kann einen Umsatz, der
nach § 4 Nr. ... 12 ... steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn
der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt
wird. ..."
12
d) § 15 UStG Vorsteuerabzug
"(1) Der Unternehmer kann die folgenden
Vorsteuerbeträge abziehen:
1. die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für
sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
...
(2) Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist
die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen
Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der
Unternehmer zur Ausführung folgender Umsätze verwendet:
1. steuerfreie Umsätze; ...
(4) Verwendet der Unternehmer einen für
sein Unternehmen gelieferten, eingeführten oder innergemeinschaftlich
erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige
Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug
ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht
abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen
wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren
Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. Eine Ermittlung
des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der
Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum
Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere
wirtschaftliche Zurechnung möglich ist."
13
2. Unionsrecht
Unionsrechtlich sind die folgenden
Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG von Bedeutung:
a) Art. 2 Steueranwendungsbereich
"Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen
Entgelt ausführt; ..."
14
b) Art. 17 Entstehung und Umfang des Rechts
auf Vorsteuerabzug
"(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht,
wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist
der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende
Beträge abzuziehen: ...
...
(5) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen
von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die
nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für
Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für
den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten
Umsätze entfällt.
Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19
für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.
Jedoch können die Mitgliedstaaten
a) dem Steuerpflichtigen gestatten, für
jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden,
wenn für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen geführt werden;
b) den Steuerpflichtigen verpflichten, für
jeden Bereich seiner Tätigkeit einen besonderen Pro-rata-Satz anzuwenden und
für jeden dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen zu führen;
c) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn
verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines
Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen;
d) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihm
vorschreiben, den Vorsteuerabzug nach der in Unterabsatz 1 vorgesehenen
Regel bei allen Gegenständen und Dienstleistungen vorzunehmen, die für die
dort genannten Umsätze verwendet wurden;
e) vorsehen, dass der Betrag der
Mehrwertsteuer, der vom Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden kann, nicht
berücksichtigt wird, wenn er geringfügig ist."
15
c) Art. 19 Berechnung des Pro-rata-Satzes
des Vorsteuerabzugs
"(1) Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs
nach Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 1 ergibt sich aus einem Bruch; dieser
enthält:
- im Zähler den je Jahr ermittelten
Gesamtbetrag der zum Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absätze 2 und 3
berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer
- im Nenner den je Jahr ermittelten
Gesamtbetrag der im Zähler stehenden sowie der nicht zum Vorsteuerabzug
berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer. Die Mitgliedstaaten
können in den Nenner auch die Subventionen einbeziehen, die nicht in Artikel
11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a) genannt sind.
Der Pro-rata-Satz wird auf Jahresbasis in
Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet."
16
IV. Rechtliche Beurteilung des Streitfalls
1. Nationales Recht
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der
Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige
Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen vom
Vorsteuerabzug ist die Steuer für die Lieferung von Gegenständen sowie für
sonstige Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze
verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Der Senat legt diese Bestimmungen
unionsrechtlich dahingehend aus, dass ein Vorsteuerabzug nur besteht, wenn
der Unternehmer Leistungen bezieht, die er für Zwecke eigener
steuerpflichtiger Umsätze zu verwenden beabsichtigt (z.B. BFH-Urteil vom 6.
Mai 2010 V R 29/09, BFH/NV 2010, 1952). Verwendet der Unternehmer einen für
sein Unternehmen gelieferten Gegenstand nur zum Teil zur Ausführung von
Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist nach § 15 Abs. 4 Satz
1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum
Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen
ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer
sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Eine Ermittlung
des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der
Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum
Vorsteuerabzug berechtigen (sog. Umsatzschlüssel), ist nach § 15 Abs. 4 Satz
3 UStG, mit dem der Gesetzgeber auf die Anerkennung des Umsatzschlüssels als
sachgerechten Aufteilungsmaßstab durch die Rechtsprechung des BFH (vgl.
BFH-Urteil vom 17. August 2001 V R 1/01, BFHE 196, 345, BStBl II 2002, 833)
reagierte, seit dem 1. Januar 2004 nur noch dann zulässig, wenn keine andere
wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.
17
Im Streitfall erzielte die Klägerin aus der
Vermietung des Gebäudes steuerfreie Umsätze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG),
soweit sie Wohnungen zu privaten Wohnzwecken vermietete. Daneben erzielte
sie aufgrund des Verzichts auf die Steuerbefreiung (§ 9 Abs. 1 UStG; Art. 13
Teil C der Richtlinie 77/388/EWG) steuerpflichtige Vermietungsumsätze,
soweit ihre Mieter die Räumlichkeiten zur Ausführung steuerpflichtiger
Umsätze verwendeten. Die im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes
angefallenen Vorsteuern waren somit nach § 15 Abs. 4 UStG aufzuteilen. Einer
Aufteilung nach dem von der Klägerin begehrten Verhältnis der steuerfreien
zu den steuerpflichtigen Umsätzen (Umsatzschlüssel) steht § 15 Abs. 4 Satz 3
UStG entgegen, da mit der Aufteilung nach dem vom BFH als wirtschaftlich
vertretbaren Aufteilungsmaßstab anerkannten Flächenschlüssel (vgl.
BFH-Urteil vom 12. März 1992 V R 70/87, BFHE 168, 447, BStBl II 1992, 755,
unter 2.b aa; BFH-Beschluss vom 21. Mai 1987 V S 11/85, BFH/NV 1987, 536)
eine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.
18
2. Unionsrecht
a) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen
sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug
besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, sieht
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG einen Vorsteuerabzug
nur für den Teil der Mehrwertsteuer vor, der auf die ein Recht zum
Vorsteuerabzug begründenden Umsätze entfällt. Da Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 2
der Richtlinie 77/388/EWG i.V.m. Art. 19 der Richtlinie 77/388/EWG vorsieht,
dass der Pro-rata-Satz für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen
bewirkten Umsätze festgelegt wird, werden grundsätzlich die zum
Vorsteuerabzug berechtigenden und die nicht zum Vorsteuerabzug
berechtigenden Umsätze des gesamten Unternehmens ins Verhältnis gesetzt. Aus
den vorgenannten Bestimmungen hat der vorlegende Senat geschlossen, dass das
Unionsrecht den Umsatzschlüssel als Regel-Aufteilungsmaßstab vorgibt
(BFH-Urteile vom 18. November 2004 V R 16/03, BFHE 208, 461, BStBl II 2005,
503, unter II.3.a; vom 1. Juli 2004 V R 32/00, BFHE 205, 555, BStBl II 2004,
1022, unter II.3.a; BFH-Beschluss vom 20. April 1998 V B 129/97, BFH/NV
1999, 79).
19
b) Die Bestimmung des Pro-rata-Satzes nach
dem Gesamtumsatz des Unternehmens hat pauschalen Charakter, da sie außer
Betracht lässt, für welchen Bereich des Unternehmens die Eingangsleistungen
bezogen wurden. Dies kann unter Umständen zu sachwidrigen Ergebnissen
führen. So ändert sich beispielsweise ein Pro-rata-Satz von 50 % für
Vorsteuern aus Eingangsleistungen zur Errichtung eines vermieteten Wohn- und
Geschäftshauses bei steuerpflichtigen und steuerfreien Vermietungsumsätzen
in jeweils gleicher Höhe, wenn der Vermieter im Rahmen seines Unternehmens
noch weitere Umsätze ausführt. Dabei kann die Einbeziehung von steuerfreien
Ausgangsumsätzen zu einer Verminderung des Pro-rata-Satzes auf
beispielsweise 10 % oder weniger, die Einbeziehung von steuerpflichtigen
Ausgangsumsätzen zu einer Erhöhung des Pro-rata-Satzes auf beispielsweise 90
% oder mehr führen.
20
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie
77/388/EWG ("Jedoch können die Mitgliedstaaten...") erlaubt deshalb mehrere
Einschränkungen des Grundsatzes von Unterabs. 2.
21
Der Senat hält es für klärungsbedürftig, ob
eine dieser Bestimmungen den nationalen Gesetzgeber dazu ermächtigt, die
Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel dahingehend einzuschränken, dass dieser
nur dann angewandt werden darf, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung
möglich ist (Subsidiarität des Umsatzschlüssels).
22
aa) Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. a
und b der Richtlinie 77/388/EWG ermächtigen die Mitgliedstaaten, dem
Steuerpflichtigen zu gestatten oder ihn zu verpflichten, für jeden Bereich
seiner Tätigkeit einen "besonderen Pro-rata-Satz" anzuwenden, wenn für jeden
dieser Bereiche getrennte Aufzeichnungen geführt werden. Unter einem
"besonderen" Pro-rata-Satz könnte zwar auch eine andere Aufteilungsmethode
als der Umsatzschlüssel zu verstehen sein, deren Anwendung ist aber an das
Vorliegen getrennter Aufzeichnungen geknüpft. Da § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG
eine derartige Verknüpfung nicht enthält, sondern den Umsatzschlüssel in
allen Fällen ausschließt, in denen eine andere wirtschaftliche Zurechnung
möglich ist, dürfte Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchs. a und b der Richtlinie
77/388/EWG als unionsrechtliche Grundlage nicht in Betracht kommen.
23
bb) Der Senat hält es auch für zweifelhaft,
ob Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. d und e der Richtlinie 77/388/EWG die
Mitgliedstaaten zur Einschränkung des Umsatzschlüssels ermächtigt. Buchst. d
nimmt ausdrücklich Bezug auf die in Unterabs. 1 vorgesehene Regel und setzt
damit die Anwendung des Umsatzschlüssels voraus. Buchst. e der Bestimmung
betrifft nicht das Aufteilungsverfahren, sondern enthält eine
Bagatellregelung zugunsten des Steuerpflichtigen.
24
cc) Fraglich ist, ob Art. 17 Abs. 5
Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG den nationalen Gesetzgeber
zur Einschränkung des Umsatzschlüssels berechtigt. Nach dieser Bestimmung
können die Mitgliedstaaten dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn
verpflichten, den Abzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines
Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen.
25
(1) Die Bundesregierung hat die
Einschränkung des Umsatzschlüssels durch § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG
ausdrücklich auf Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der Richtlinie
77/388/EWG gestützt (vgl. Regierungsentwurf eines Steueränderungsgesetzes
2003, BTDrucks 15/1562 S. 51 "Zu Buchstabe d") und zur Begründung
ausgeführt, die Anwendung des Umsatzschlüssels sei für die Mitgliedstaaten
nicht verbindlich, da sie nach Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie
77/388/EWG davon abweichende Aufteilungsmaßstäbe festlegen könnten. Dies
kann darauf gestützt werden, dass sich in der unterschiedlichen Nutzung der
Flächen die Zuordnung des Gebäudes bzw. der Gebäudeteile zu den mit ihnen
ausgeführten Umsätzen ausdrückt (vgl. Meyer, EFG 2009, 1792; Kraeusel,
Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2004, 2; Birkenfeld,
Umsatzsteuer-Handbuch, § 184 Rz 373).
26
(2) Gegen diese Auffassung könnte aber
angeführt werden, dass der Wortlaut des Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c
der Richtlinie 77/388/EWG unklar ist und die Gesetzessystematik sowie der
Normzweck für eine Beibehaltung des Umsatzschlüssels sprechen.
27
(a) Der Wortlaut der Ermächtigung zur
Aufteilung von Vorsteuern nach der "Zuordnung" der Gesamtheit oder eines
Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen lässt nicht erkennen, dass dem
Gesetzgeber damit die Möglichkeit eröffnet wird, einen anderen
Aufteilungsschlüssel als den Umsatzschlüssel vorzuschreiben. Im nationalen
Recht ist zwar ebenso wie im Gemeinschaftsrecht anerkannt, dass der
Unternehmer Gegenstände und Dienstleistungen dem unternehmerischen oder dem
nichtunternehmerischen Bereich zuordnen kann. Die Aufteilung von Vorsteuern
kann aber schon deshalb nicht von einer derartigen Zuordnung abhängen, weil
sowohl die steuerpflichtigen als auch die steuerfreien Umsätze zum
unternehmerischen Bereich gehören und die Aufteilung von Vorsteuern gerade
solche Umsätze betrifft, die nicht eindeutig zugeordnet werden können.
28
Die Notwendigkeit einer einheitlichen
Auslegung der Unionsrichtlinien gebietet es, eine Bestimmung bei Zweifeln an
ihrem Inhalt unter Berücksichtigung der Fassungen in den anderen
Amtssprachen auszulegen. Dabei ist grundsätzlich allen Sprachfassungen der
gleiche Wert beizumessen (EuGH-Urteile vom 2.
April 1998 C-296/95, Commissioners of Customs and Excise, Slg. 1998, I-1605
Rz 5; vom 26. Mai 2005 C-498/03, Kingscrest, Slg. 2005, I-4427 Rz 26; vom
12. November 1998 C-149/97, Institute of The Motor Industry, Slg. 1998,
I-7053 Rz 16).
29
Die französische Fassung des Art. 17 Abs. 5
Unterabs. 3 Buchst. c lautet "...opérer la déduction suivant l'affectation
de tout ou partie des biens et services", wobei mit "l'affectation" der
Verwendungszweck gemeint sein könnte. Nach der englischen Fassung ("...to
make the deduction on the basis of the use of all or part of the goods and
services") ist ebenfalls auf die Nutzung bzw. Verwendung der Waren oder
Dienstleistungen abzustellen. Dies wird bestätigt durch die italienische
Fassung ("operare la deduzione in base all'utilizzazione della totalità o di
une parte di beni e servizi") und die niederländische Fassung, die in diesem
Zusammenhang den Terminus "gebruik" verwendet.
30
Demnach darf der nationale Gesetzgeber den
Steuerpflichtigen berechtigen oder verpflichten, die Aufteilung der
Vorsteuern entsprechend der Verwendung der Gesamtheit oder eines Teils der
Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen. Die Frage nach dem
Aufteilungsschlüssel bleibt jedoch auch unter Berücksichtigung der erwähnten
Fassungen anderer Mitgliedstaaten offen. Dies könnte entweder zur Folge
haben, dass hierfür auf den Regel-Aufteilungsmaßstab und damit auf den
Umsatzschlüssel rekurriert wird oder aber, dass jeder Aufteilungsschlüssel
zulässig ist, der die Nutzung oder Verwendung von Gegenständen und
Dienstleistungen messen kann. Dies wäre für Gebäude auch die Flächengröße
oder das Raumvolumen.
31
(b) Die systematische Auslegung des Art. 17
der Richtlinie 77/388/EWG könnte der Möglichkeit entgegenstehen, einen
anderen Aufteilungsschlüssel als den Umsatzschlüssel zwingend
vorzuschreiben. Während Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
festlegt, dass der nach Art. 19 Abs. 1 ermittelte Pro-rata-Satz für die
Gesamtheit der Umsätze des Steuerpflichtigen gelten soll, schafft Unterabs.
3 eine Rechtsgrundlage dafür, von einem einheitlichen Aufteilungsmaßstab für
das gesamte Unternehmen des Steuerpflichtigen abzusehen und für bestimmte
Teilbereiche gesonderte Aufteilungsverhältnisse zu ermitteln. Demnach könnte
Unterabs. 3 so zu verstehen sein, dass er lediglich Ausnahmen von der
zwingenden Anwendung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabs für das gesamte
Unternehmen schafft, also nichts an der Vorgabe ändert, die Vorsteuern
anhand eines Umsatzschlüssels aufzuteilen. Dies stünde auch im Einklang mit
den Bestimmungen in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. a, b und d der
Richtlinie 77/388/EWG, die - wie bereits ausgeführt wurde - ebenfalls von
einem Umsatzschlüssel ausgehen.
32
(c) Schließlich könnte der in den
Gesetzesmaterialien für die Richtlinie 77/388/EWG niedergelegte Zweck des
Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 einer Einschränkung des Umsatzschlüssels
entgegenstehen. Danach sollen durch Unterabs. 3 die Ungleichmäßigkeiten der
Besteuerung vermieden werden, die sich aus dem pauschalen Charakter der
"allgemeinen" Pro-rata-Regel ergeben. Die Mitgliedstaaten können daher dem
Steuerpflichtigen gestatten oder vorschreiben, "spezielle" Pro-rata-Sätze zu
ermitteln und den Abzug entsprechend der tatsächlichen Zuordnung der
Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen zu den
steuerpflichtigen Tätigkeiten vorzunehmen (vgl. Vorschlag für die Sechste
Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, Bulletin der Europäischen
Gemeinschaften, Beilage 11/73, S. 20). Die Verwendung der Termini
"allgemeiner" und "spezieller" Pro-rata-Satz könnte dahingehend verstanden
werden, dass am Umsatzschlüssel als Aufteilungsmaßstab festzuhalten ist und
die mit dem allgemeinen Pro-rata-Satz verbundenen "Ungleichmäßigkeiten der
Besteuerung" dadurch vermieden werden sollen, dass anstelle des Unternehmens
(Gesamtumsatz) eine gegenständliche Aufteilung anhand des Umsatzes eines
konkreten Bezugsobjekts (Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände)
vorgenommen wird.
33
3. Entscheidungserheblichkeit
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage
folgt daraus, dass sich die Klägerin im Falle der Unionsrechtswidrigkeit des
§ 15 Abs. 4 Satz 3 UStG auf die für sie günstigere Regelung des Art. 17 Abs.
5 Unterabs. 1 und 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG berufen
und eine Aufteilung der Vorsteuern nach dem Umsatzschlüssel erreichen
könnte.
|