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BFH-Urteil vom 10.2.2010 (XI R 49/07) BStBl. 2010 II S. 1109
Garantiezusage eines Autoverkäufers als steuerpflichtige sonstige Leistung
Die
Garantiezusage eines Autoverkäufers, durch die der Käufer gegen Entgelt nach
seiner Wahl einen Reparaturanspruch gegenüber dem Verkäufer oder einen
Reparaturkostenersatzanspruch gegenüber einem Versicherer erhält, ist
steuerpflichtig (Änderung der Rechtsprechung in dem BFH-Urteil vom 16.
Januar 2003 V R 16/02, BFHE 201, 343, BStBl II 2003, 445).
UStG 1993 § 3 Abs. 9, § 4 Nr. 8 Buchst. g,
§ 4 Nr. 10 Buchst. b; Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2.
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg
Außensenate Freiburg vom 21. September 2005 2 K 109/03 (EFG 2005, 1973)
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt eine Reparaturwerkstatt und einen Handel
mit Kfz.
2
Beim Verkauf von Kfz bot er
den Käufern den Abschluss einer Garantievereinbarung an. Dieser lagen in den
Streitjahren 1996 bis 1998 die "Garantiebedingungen B 196" zugrunde.
3
Die Garantie war bei der X
Versicherungs-AG - im Folgenden: X - (rück-)versichert. In dem
"Sammelvertrag für Baugruppen-Garantieversicherung (ABRK)" zwischen dem
Kläger und X ist festgelegt, dass X für alle vom Händler an X gemeldeten
Fahrzeuge eine Gesamtabrechnung erstellt. Für die garantieversicherten
Fahrzeuge werden keine Einzelversicherungsscheine ausgefertigt. Der Händler
verpflichtet sich, jeden ihm vom Garantienehmer zur Reparatur gemeldeten
Garantiefall vor Reparaturbeginn zu melden. In einem Zusatzvertrag zum
(Rück-) Versicherungsvertrag ist vereinbart, dass der Kläger von X eine auf
die Netto-Versicherungsprämie bezogene und von der Anzahl der
abgeschlossenen Verträge abhängige Provision erhält.
4
Die 24 Monate gültige
Garantievereinbarung begann beim Erwerb eines Gebrauchtwagens sofort und
beim Kauf eines Neuwagens nach Ablauf der einjährigen Werksgarantie.
5
Die "Garantiebedingungen B
196" lauten u.a. wie folgt:
"§ 1 Inhalt der Garantie
1. Der
Verkäufer/Garantiegeber gibt dem Käufer/Garantienehmer eine Garantie, die
die Funktionsfähigkeit der in § 2 Ziff. 1 genannten Bauteile für die
vereinbarte Laufzeit umfasst. Diese Garantie ist durch die X
Versicherungs-Aktiengesellschaft versichert.
2. Verliert ein solches
Bauteil innerhalb der Garantielaufzeit unmittelbar und nicht infolge eines
Fehlers nicht garantierter Bauteile seine Funktionsfähigkeit, hat der
Käufer/Garantienehmer Anspruch auf eine dadurch erforderliche fachgerechte
Reparatur durch Ersatz oder Instandsetzung des Bauteils. Die Regelung über
den Selbstbehalt und über die Grenze des Wiederbeschaffungswertes (§ 6 Ziff.
2) gilt entsprechend.
...
Schlägt die Reparatur
zweimal fehl, so kann der Käufer/ Garantienehmer verlangen, dass eine andere
Fachwerkstatt mit der Durchführung der Reparatur beauftragt wird.
...
§ 6 Reparatur in einer
Fremdwerkstatt (Fremdreparatur)
1. Reparaturberechtigte
Betriebe
Lässt der
Käufer/Garantienehmer die Reparatur nicht beim Verkäufer/Garantiegeber
durchführen, ist er verpflichtet, diese bei einer (sonstigen) vom Hersteller
anerkannten Vertragswerkstatt durchführen zu lassen (Fremdreparatur).
2. Ansprüche des
Käufers/Garantienehmers
Dem Käufer/Garantienehmer
werden garantiebedingte Lohnkosten nach den Arbeitszeitrichtwerten des
Herstellers voll erstattet. Garantiebedingte Materialkosten werden im
Höchstfall nach den unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers,
ausgehend von der Betriebsleistung des beschädigten Bauteils bei
Schadenseintritt, wie folgt bezahlt: ...
3. Geltendmachung der
Ansprüche
Der Käufer/Garantienehmer
ist berechtigt, alle Rechte aus der versicherten Garantie im eigenen Namen
unmittelbar gegenüber X geltend zu machen. Im Hinblick darauf verpflichtet
sich der Käufer/Garantienehmer, stets vorrangig X in Anspruch zu nehmen.
4. Versicherte Gefahren,
Umfang der Entschädigung
X leistet Entschädigung,
wenn und soweit der Versicherungsnehmer als Verkäufer/Garantiegeber aufgrund
der abgegebenen Garantie eine Leistung erbringen muss.
5. Besondere Pflichten des
Käufers/Garantienehmers
..."
6
Beim Abschluss einer
Garantievereinbarung erhielt der Autokäufer "Wichtige Hinweise für den
Garantiefall". Diese lauten wie folgt:
"Melden Sie bitte in dem
Fall, dass die Reparatur von dem garantiegebenden Händler durchgeführt
werden soll, den Garantiefall diesem Händler. Bitten Sie den Händler, X vor
Reparaturbeginn vorab fernmündlich über den Garantiefall zu informieren.
Für den Fall, dass Sie die
Reparatur nicht bei dem garantiegebenden Händler durchführen lassen, melden
Sie bitte X vor Reparaturbeginn telefonisch den Garantiefall. ...
Wird die garantiepflichtige
Reparatur von dem garantiegebenden Händler durchgeführt, erfolgt die
Garantiebearbeitung direkt mit diesem Händler. In diesem Fall haben Sie nur
die nicht erstattungspflichtigen Reparaturkosten zu tragen, die Ihnen der
Händler gesondert in Rechnung stellt.
Wird die garantiepflichtige
Reparatur nicht von dem garantiegebenden Händler durchgeführt, gleicht X die
einzureichende Rechnung direkt Ihnen gegenüber aus, wenn die Rechnung
quittiert ist. Nach Absprache mit dem Sachbearbeiter der X kann die
Bezahlung dieser Reparatur jedoch auch direkt an die ausführende Werkstatt
erfolgen. In diesem Fall haben Sie lediglich die nicht
erstattungspflichtigen Reparaturkosten zu tragen, die Ihnen der Händler
gesondert in Rechnung stellt."
7
In den
Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 1996 bis 1998 behandelte der
Kläger die von den Käufern gezahlten Garantieprämien und die von X
geleisteten Provisionszahlungen nicht als Entgelt für umsatzsteuerpflichtige
Leistungen.
8
Dagegen sah der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Anschluss an eine Außenprüfung in
der Garantiezusage eine unselbstständige Nebenleistung zur
Fahrzeuglieferung. Er unterwarf diese Einnahmen mit Bescheiden vom 16.
August 2000 als Entgelte der Umsatzsteuer und setzte diese für 1996 auf ...
DM, für 1997 auf ... DM und für 1998 auf ... DM fest.
9
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage statt. Es entschied, die von den Fahrzeugkäufern gezahlten
Entgelte für die Garantie sowie die von X gewährten Provisionen seien
umsatzsteuerfrei zu belassen und die unmittelbar damit zusammenhängenden
Vorsteuerbeträge seien vom Abzug auszuschließen. Die Eigenreparatur der
Fahrzeuge sei entgegen der Ansicht des FA nicht der Umsatzsteuer zu
unterwerfen. Eine Kürzung des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 2 des
Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) in Bezug auf die für die Eigenreparaturen
verwendeten Eingangsumsätze (Gemeinkosten, Ersatzteile) sei nicht
vorzunehmen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005,
1973 veröffentlicht.
10
Das FA macht mit der
Revision im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des FG stelle sich
aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers die Leistung des Verkäufers bei
Abschluss der Garantie als ein einheitlicher Vorgang dar.
11
Es beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1996
bis 1998 vom 16. August 2000 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 1996
auf ... DM, für 1997 auf ... DM und für 1998 auf ... DM festgesetzt wird.
12
Der Kläger beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
13
Er trägt zur Begründung im
Wesentlichen vor, dass das hier zu beurteilende "Kombinationsmodell" aus
Händlergarantie und Versicherungsschutz eine einheitliche Leistung
("Gesamtpaket") sei, bei der - wie im Einzelnen ausgeführt wird - die
Verschaffung von Versicherungsschutz prägend sei.
14
Nur diese Lösung sei
systemgerecht und vermeide entsprechend dem Zweck des § 4 Nr. 10 Buchst. b
UStG, dass die Leistung des Garantiepakets im "Kombinationsmodell" im
Gegensatz zur "reinen Händlergarantie" und im Gegensatz zum "reinen
Versicherungsmodell" sowohl mit Umsatzsteuer als auch mit Versicherungsteuer
belastet werde.
Entscheidungsgründe
II.
15
Die Revision des FA ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung der Umsatzsteuer
gemäß dem Revisionsbegehren des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -).
16
Die Umsätze aus den Garantiezusagen des
Klägers sind entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) und der darauf gestützten Auffassung des FG steuerpflichtig.
17
1. Zu den im Streitfall einschlägigen
"Garantiebedingungen B 196" hat der V. Senat des BFH in dem Urteil vom 16.
Januar 2003 V R 16/02 (BFHE 201, 343, BStBl II 2003, 445) entschieden, dass
die entgeltliche Garantieleistung des Autoverkäufers keine unselbstständige
Nebenleistung zur Fahrzeuglieferung, sondern eine eigenständige Leistung
sei. Dieser Auffassung schließt sich - wie bereits das FA im Klageverfahren
- der erkennende Senat an.
18
2. Der V. Senat des BFH hat in dem
zitierten Urteil die Würdigung der Vorinstanz, die Leistungen des Händlers
seien nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG steuerfrei, soweit dieser sich
verpflichtet habe, die Reparatur an den Fahrzeugen selbst vorzunehmen, nicht
beanstandet. Er hat ausgeführt, dass die Garantieleistungen, denen die
"Garantiebedingungen B 196" zugrunde liegen, "jedenfalls nach § 4 Nr. 8
Buchst. g UStG und/oder nach § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG" steuerfrei seien
(unter II.1. der Gründe). An dieser Auffassung kann nicht mehr festgehalten
werden.
19
a) Die Rechtsauffassung des V. Senats des
BFH, es liege eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG vor, ist
durch das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19. April 2007 Rs. C-455/05 - Velvet
& Steel Immobilien - (Slg. 2007, I-3225, BFH/NV Beilage 2007, 294) überholt.
20
aa) Nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG sind von
den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei "die Übernahme
von Verbindlichkeiten, von Bürgschaften und anderen Sicherheiten sowie die
Vermittlung dieser Umsätze".
21
Soweit der Kläger sich gegen Zahlung einer
Prämie verpflichtet hat, innerhalb der Garantielaufzeit die erforderliche
fachgerechte Reparatur durch Ersatz oder Instandsetzung des Bauteils selbst
durchzuführen, handelt es sich zwar um einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
steuerbaren Leistungsaustausch.
22
Der weitere Tatbestand des § 4 Nr. 8
Buchst. g UStG ist jedoch nicht erfüllt. Denn diese Vorschrift "beruht" auf
Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates
vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach
befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer "die Vermittlung und die
Übernahme von Verbindlichkeiten, Bürgschaften und anderen Sicherheiten und
Garantien sowie die Verwaltung von Kreditsicherheiten durch die
Kreditgeber".
23
Zu dieser Bestimmung hat der EuGH in der
Rechtssache Velvet & Steel Immobilien in Slg. 2007, I-3225, BFH/NV Beilage
2007, 294 entschieden, der Begriff der "Übernahme von Verbindlichkeiten" sei
dahin auszulegen, dass er andere als Geldverbindlichkeiten, wie die
Verpflichtung, eine Immobilie zu renovieren, vom Anwendungsbereich dieser
Bestimmung ausschließe. Es stehe fest, dass es sich bei allen in Art. 13
Teil B Buchst. d Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Umsätzen ihrer
Art nach um Finanzdienstleistungen handele. Dasselbe gelte für die anderen
Umsätze, auf die in Art. 13 Teil B Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG
hingewiesen werde (vgl. Randnr. 22 des Urteils). Die Übernahme der
Verpflichtung zur Renovierung einer Immobilie falle daher nicht in den
Anwendungsbereich dieser Bestimmung.
24
bb) Im Streitfall hat sich der Kläger nach
§ 1 Nr. 2 der "Garantiebedingungen B 196" zur Durchführung einer Reparatur
im Falle des Schadenseintritts und nicht zu einer Schadensersatzleistung in
Geld verpflichtet. Danach hat der Käufer/Garantienehmer einen Anspruch gegen
den Kläger, dass er die entsprechenden Reparaturarbeiten durchführt, also
Naturalrestitution leistet. Bei diesem Anspruch handelt es sich ebenso wenig
wie bei der Verpflichtung zur Renovierung einer Immobilie um eine
Finanzdienstleistung. Bei einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung
liegen damit die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8
Buchst. g UStG hinsichtlich der Verpflichtung des Klägers zur Durchführung
der Reparatur nicht vor.
25
b) Der V. Senat des BFH hat auf Anfrage
mitgeteilt, dass er an seiner gegenteiligen Auffassung in dem Urteil in BFHE
201, 343, BStBl II 2003, 445 nicht mehr festhält.
26
3. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
handelt es sich bei der Garantiezusage gemäß den "Garantiebedingungen B 196"
umsatzsteuerrechtlich um eine einheitliche Leistung und nicht um zwei
selbstständige Leistungen.
27
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei
einem Umsatz, der ein Leistungsbündel darstellt, eine Gesamtbetrachtung
erforderlich. Aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG ergebe sich, dass
zwar jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbstständige
Dienstleistung zu betrachten sei. Es dürfe aber eine wirtschaftlich
einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden
Mehrwertsteuersystems nicht künstlich gespalten werden. Deshalb sei das
Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der
Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbstständige Hauptleistungen oder
eine einheitliche Leistung erbringe, wobei auf die Sicht des
Durchschnittsverbrauchers abzustellen sei. Eine einheitliche Leistung liege
insbesondere vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder
mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellten, die das steuerliche
Schicksal der Hauptleistung teilen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 25. Februar
1999 Rs. C-349/96 - Card Protection Plan Ltd (CCP) -, Slg. 1999, I-973,
Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1999, 254).
28
Eine einheitliche Leistung sei aber auch
dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige für den Verbraucher zwei oder
mehr Handlungen vornehme oder Elemente liefere, die aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers so eng miteinander verbunden seien, dass sie
objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bildeten, deren
Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. EuGH-Urteile vom 27. Oktober 2005
Rs. C-41/04 - Levob Verzekeringen und OV Bank -, Slg. 2005, I-9433, BFH/NV
Beilage 2006, 38, Randnr. 22; vom 29. März 2007 Rs. C-111/05 - Aktiebolaget
NN -, Slg. 2007, I-2697, UR 2007, 420, Randnr.
23;
vom 21. Februar 2008 Rs. C-425/06 - Part Service Srl. -, Slg. 2008, I-897,
UR 2008, 461, Randnr. 53; vom 11.
Juni 2009 Rs. C-572/07 - RLRE Tellmer Property sro -, BFH/NV 2009, 1368,
Randnr. 19).
29
b) Die letztgenannten Voraussetzungen einer
untrennbaren wirtschaftlichen Leistung sind im Streitfall bei der gebotenen
Gesamtbetrachtung der Garantiezusage entgegen der Auffassung des FG erfüllt.
30
Der Kläger hat gegenüber den Käufern der
Kfz eine "Garantie" abgegeben. Diese umfasste die Funktionsfähigkeit
bestimmter Bauteile für die vereinbarte Laufzeit. Der Kläger war damit
Garantiegeber für jeden in den Garantiebedingungen bezeichneten Schadensfall
und der Kunde schuldete das Entgelt für dieses Versprechen. Durch die
Garantiebedingungen wurde dem Gläubiger ("Garantienehmer") zwar ein
Wahlrecht in der Weise eingeräumt, dass es in seinem Belieben stand, im
Schadensfall entweder die Reparatur durch seinen Händler durchführen zu
lassen (Reparaturanspruch) oder den verschafften Versicherungsschutz in
Anspruch zu nehmen und die Reparatur durch einen anderen Vertragshändler
ausführen zu lassen (Reparaturkostenersatzanspruch). Die Garantiezusage hat
für den Gläubiger ("Garantienehmer") aber den wirtschaftlichen Zweck, dass
ein evtl. künftiger Schaden an seinem Fahrzeug in dem garantierten Umfang
beseitigt wird, ohne dass er für die Kosten aufkommen muss. Die nach der
Wahl des Kunden zu erbringende Leistung entweder des Händlers oder der
Versicherung dient diesem einheitlichen wirtschaftlichen Zweck, sodass die
Verpflichtung zur Eigenreparatur und die Verschaffung des
Versicherungsschutzes so eng miteinander verbunden sind, dass ihre
Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Die Garantiezusage stellt sich damit
aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers als eine einheitliche
untrennbare Leistung dar, für die er auch einen einheitlichen Preis zu
zahlen hat.
31
Zwar kommt bei der Gesamtbetrachtung dem
Umstand, dass ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird, nach der
Rechtsprechung des EuGH keine entscheidende Bedeutung zu; der EuGH räumt
aber ein, dass es für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sprechen
könne, wenn ein Leistungserbringer seinen Kunden eine aus mehreren Teilen
zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringe
(vgl. Urteil Card Protection Plan Ltd (CPP) in Slg. 1999, I-973, UR 1999,
254, Randnr. 31).
32
c) Der Senat ist bei der Würdigung, ob eine
einheitliche Leistung vorliegt oder ob zwei getrennte Leistungen gegeben
sind, nicht an die anderslautende Entscheidung der Vorinstanz gebunden.
33
Denn die Gesamtbetrachtung, ob eine
einheitliche Leistung vorliegt, ist zwar im Wesentlichen das Ergebnis einer
tatsächlichen Würdigung durch das FG (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. April
2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712, unter II.2.d und 3.b der Gründe, m.w.N.).
Es ist aber anerkannt, dass der BFH im Rahmen der revisionsrechtlichen
Nachprüfung der Auslegung von Verträgen durch das FG auch nachzuprüfen hat,
ob das FG die für die Auslegung bedeutsamen Begleitumstände, insbesondere
die Interessenlage der Beteiligten erforscht und zutreffend gewürdigt hat
(vgl. BFH-Urteile vom 19. Oktober 2001 V R 75/98, BFH/NV 2002, 547, unter
II.4.a; vom 31. Juli 2002 X R 48/99, BFHE 200, 504, BStBl II 2003, 282,
unter II.1.a cc; vom 11. Januar 2005 IX R 15/03, BFHE 209, 77, BStBl II
2005, 477, unter II.2.b aa). Entsprechendes gilt für die hier vorzunehmende
umsatzsteuerrechtliche Beurteilung eines Leistungsbündels aus der Sicht
eines Durchschnittsverbrauchers auf der Grundlage von Vertragsbedingungen,
die für eine Vielzahl von Verträgen gelten. Der BFH würde seiner
gesetzlichen Verpflichtung, eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern
(vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 22. Alternative FGO), nicht gerecht werden, wenn er
sich insoweit auf die Prüfung eines Verstoßes gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze beschränken und damit die Möglichkeit einander
widersprechender finanzgerichtlicher Urteile in Kauf nehmen würde.
34
d) Davon, dass das hier angebotene
"Garantie-Paket" eine einheitliche Leistung darstellt und nicht in zwei
Leistungen aufgespalten werden kann, gehen auch die Beteiligten aus. Der
Kläger spricht insoweit zutreffend von "miteinander verzahnten Leistungen".
35
4. Bei der danach vorliegenden
einheitlichen Leistung handelt es sich um eine sonstige Leistung eigener Art
i.S. des § 3 Abs. 9 UStG, die aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers
nicht durch die - gemäß § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG steuerfreie - Verschaffung
von Versicherungsschutz, sondern durch das Versprechen der Einstandspflicht
des Händlers (Garantie) geprägt ist.
36
a) Die umsatzsteuerrechtliche
Qualifizierung einer einheitlichen Leistung verlangt nach der Rechtsprechung
des EuGH eine Bestimmung ihrer dominierenden (vgl. Urteil Levob
Verzekeringen und OV Bank in Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38,
Randnr. 27) oder wesentlichen (Urteil Aktiebolaget NN in Slg. 2007, I-2697,
UR 2007, 420, Randnr. 27) Bestandteile.
37
b) Bei den im Streitfall zu beurteilenden
Garantiebedingungen dominiert das Versprechen des Händlers, für bestimmte,
evtl. eintretende Schäden einzustehen.
38
aa) Sie unterscheiden sich damit erheblich
von denjenigen Garantiebedingungen, die dem BFH-Urteil vom 9. Oktober 2002 V
R 67/01 (BFHE 200, 126, BStBl II 2003, 378) zugrunde lagen. Dort hat der BFH
den Umstand, dass Ansprüche aus der versicherten Händlergarantie vom Käufer
stets und nicht nur bei der Reparatur durch eine Fremdwerkstatt
"ausschließlich und unmittelbar" gegenüber der Versicherungsgesellschaft
geltend gemacht werden müssen, dahin gewürdigt, dass es sich insgesamt um
eine steuerfreie Leistung, nämlich die Verschaffung von Versicherungsschutz
nach § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG handelt. Er hat dabei darauf abgestellt, dass
die Versicherung die Einstandspflicht des Händlers vollständig ersetzt habe.
39
Dem entsprach die Beurteilung des
Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt, wonach bei einer reinen
Reparaturkostenversicherung die Werbung mit dem Begriff "Garantie"
irreführend i.S. des § 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sei.
Mit diesem Begriff sei die Erwartung verknüpft, dass im Garantiefall durch
den Hersteller oder Händler Reparaturteile kostenlos abgegeben und
Reparaturarbeiten nicht berechnet würden. Die Verwendung des Begriffs
"Garantie" sei daher irreführend, wenn sich in der Garantie keine Leistung
des Händlers mehr niederschlage; das sei der Fall, wenn den Händler
überhaupt keine Einstandspflicht gegenüber seinem Kunden mehr treffe (vgl.
Urteil des OLG Frankfurt vom 21. Dezember 19956 U 148/95, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1996, 1386).
40
bb) Dagegen ist sowohl nach der Bezeichnung
der vom Kläger seinen Kunden geschuldeten Leistung als "Garantie" als auch
nach dem Inhalt der vorliegenden "Garantiebedingungen B 196" die -
umfassende - Verpflichtung des Händlers als "Garantiegeber" prägend
gegenüber der dem "Garantienehmer" eingeräumten Möglichkeit, im Schadensfall
die Reparatur auch in einer Fremdwerkstatt durchführen zu lassen und in
diesem Fall die Versicherung in Anspruch nehmen zu können.
41
Nach § 1 Nr. 1 Satz 1 der
"Garantiebedingungen B 196" gibt der "Verkäufer/Garantiegeber" dem
"Käufer/Garantienehmer" eine "Garantie", die die in § 2 Nr. 1 dieser
Garantiebedingungen genannten Bauteile umfasst. Das ist der Kern der
Leistung des Klägers. Dass diese Garantie - wie es nachfolgend in § 1 Nr. 1
Satz 2 dieser Garantiebedingung heißt - "durch die X
Versicherungs-Aktiengesellschaft versichert" ist, mag zwar aus Sicht der
Kunden diese Garantie besonders werthaltig erscheinen lassen, weil sie durch
eine Versicherung abgedeckt ist. Daraus folgt aber nicht, dass das
Garantieversprechen des Klägers dadurch geprägt würde, dass dem Kunden ein
Versicherungsschutz verschafft wird.
42
Die umfassende Einstandspflicht des
Händlers, bei dem das Kfz gekauft wurde, macht aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers das Wesen und die Bedeutung der Garantiezusage
aus, weil zu diesem Händler ein Vertrauensverhältnis besteht, das eine
unkomplizierte Abwicklung des evtl. Schadensfalls verspricht.
43
cc) Die dagegen vom Kläger vorgebrachten
Argumente belegen lediglich, dass bei dem hier zu beurteilenden
"Kombinationsmodell" der Verschaffung von Versicherungsschutz neben der
Händlergarantie eigenständiges Gewicht zukommt, nicht aber, dass nunmehr die
Gesamtleistung insgesamt als "Verschaffung von Versicherungsschutz" i.S. von
§ 4 Nr. 10 Buchst. b UStG anzusehen ist.
44
Der Hinweis des Klägers in diesem
Zusammenhang, die Verschaffung von Versicherungsschutz habe aus Käufersicht
in den letzten Jahren im Verhältnis zur reinen Händlergarantie auch im
Hinblick darauf noch einmal erheblich an Bedeutung und Gewicht zugenommen,
dass heutzutage Fahrzeuge in zunehmenden Maße über das Internet bundesweit
erworben würden, hat für den Streitfall, der die Sicht der Kunden des
Klägers als (ortsansässiger oder jedenfalls in der Nähe ansässiger)
Betreiber einer Reparaturwerkstatt und eines Kfz-Handels in den Jahren 1996
bis 1998 betrifft, keine Bedeutung.
45
dd) Der Kläger beruft sich zur Stützung
seiner Auffassung ohne Erfolg auf das BFH-Urteil in BFHE 201, 343, BStBl II
2003, 445.
46
Dort hat der BFH zu den auch im Streitfall
einschlägigen Garantiebedingungen zwar ausgeführt, die Garantieleistung des
Verkäufers habe neben der Fahrzeuglieferung einen eigenen Zweck; sie habe
ähnlich wie eine Kaskoversicherung den Zweck, das erworbene Fahrzeug gegen
Schäden zu versichern (vgl. unter II.2. der Gründe).
47
Mit diesen Ausführungen hat der BFH aber
ausschließlich begründet, dass die Garantieleistung nicht (lediglich) das
Mittel darstellte, um die Hauptleistung des Leistenden - die
Fahrzeuglieferung - unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, und
dass deshalb das FG zu Recht keine unselbstständige Nebenleistung zur
Veräußerung der Neu- und Gebrauchtwagen angenommen habe. Dass die
Verschaffung von Versicherungsschutz die Gesamtleistung prägt, ergibt sich
daraus nicht.
48
ee) Soweit der Kläger ferner auf das (nicht
rechtskräftige) Urteil des FG Münster vom 8. Juni 20095 K 3002/05 U (EFG
2009, 2068) verweist, wonach eine reine Händlergarantie als bloße
Verlängerung der ursprünglichen Werksgarantie kein besonderes eigenes
Gewicht habe und deshalb aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers als
eine unselbstständige Nebenleistung zum jeweiligen Fahrzeugverkauf anzusehen
sei, ergibt sich aus diesem Urteil ebenfalls nicht, dass bei einem
"Kombinationsmodell" die Gesamtleistung insgesamt als Verschaffung von
Versicherungsschutz zu qualifizieren ist.
49
Dasselbe gilt für das vom Kläger vorgelegte
Urteil des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau vom 26. Januar 20107 C 2181/09,
wonach bei einem "Kombinationsmodell" - unabhängig vom Innenverhältnis
zwischen "Händler/Verkäufer" und Versicherer - dem "Käufer/Garantienehmer"
ein direkter Versicherungsanspruch gegenüber dem Versicherer zusteht.
50
ff) Den weiteren Einwand des Klägers, nur
die Beurteilung des "Gesamtpakets" als (umsatzsteuerfreie) "Verschaffung von
Versicherungsschutz" sei systemgerecht und vermeide entsprechend dem Zweck
des § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG, dass die Leistung des Garantiepakets im
"Kombinationsmodell" im Gegensatz zur "reinen Händlergarantie" und im
Gegensatz zum "reinen Versicherungsmodell" sowohl mit Umsatzsteuer als auch
mit Versicherungsteuer belastet werde, hält der Senat nicht für
durchgreifend.
51
Umsatzsteuerfrei sind nach § 4 Nr. 10
Buchst. b UStG nur "die Leistungen, die darin bestehen, dass anderen
Personen Versicherungsschutz verschafft wird". Die Vorschrift rechtfertigt
kein Abgehen von den vom EuGH aufgestellten allgemeinen Grundsätzen zur
umsatzsteuerrechtlichen Qualifizierung von Leistungsbündeln (vgl. dazu oben
unter II.4.a). Sie kann deshalb nicht erweiternd dahingehend ausgelegt
werden, dass eine einheitliche Leistung bereits immer dann steuerfrei ist,
wenn ein Element in der Verschaffung von Versicherungsschutz besteht.
52
c) Damit ist die Garantiezusage als
einheitliche Leistung eigener Art steuerpflichtig, die aus der Sicht des
Durchschnittsverbrauchers nicht durch die Verschaffung von
Versicherungsschutz, sondern durch das Versprechen einer Einstandspflicht
des Händlers im Schadensfall geprägt ist.
53
Sie ist nicht etwa deshalb nach § 4 Nr. 10
Buchst. b UStG steuerfrei, weil sich der Händler für seine Verpflichtung
rückversichert hat. Denn der Umsatz zwischen einem Unternehmer und seinem
Kunden beurteilt sich nach dem Rechtsgeschäft, das zwischen diesen
abgeschlossen worden ist, und nicht danach, ob der Unternehmer für seine
Verpflichtung aus diesem Rechtsgeschäft eine Rückversicherung abgeschlossen
hat.
54
Dem steht das BFH-Urteil in BFHE 201, 343,
BStBl II 2003, 445 nicht entgegen. Denn darin hat der BFH die Frage, ob die
Steuerfreiheit der Garantieleistung auf § 4 Nr. 10 Buchst. b UStG oder auf §
4 Nr. 8 Buchst. g UStG beruht, offengelassen (vgl. auch Klenk, Kommentierte
Finanzrechtsprechung F. 7 UStG § 4, 3/03, S. 251, 252).
55
5. Da die Vorentscheidung von anderen
Voraussetzungen ausgegangen ist, muss sie aufgehoben werden.
56
6. Der Senat entscheidet gemäß § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 FGO in der Sache selbst. Der Rechtsstreit ist entgegen der
Auffassung des Klägers spruchreif.
57
Zwar hat sich das FG - ausgehend von seinem
Rechtsstandpunkt - nicht zu der Frage geäußert, welches der
Leistungselemente der einheitlichen Gesamtleistung des Klägers das Gepräge
gibt.
58
Es ist aber nicht ersichtlich, welche
Tatsachenfeststellungen dazu noch getroffen werden sollen. Auch der Kläger
hat weder in seinem Schriftsatz vom 9. Dezember 2009 noch auf Nachfrage in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat konkrete Tatsachen genannt, die für
die Qualifizierung der im Streitfall vom Kläger erbrachten Gesamtleistung
relevant sein können und die das FG noch feststellen muss.
59
Dass - wie der Kläger hierzu vorgetragen
hat - eine reine Händlergarantie, bei der lediglich die ohnehin bestehende
gesetzliche Gewährleistungspflicht des Verkäufers erweitert wird, am Markt
kaum nachgefragt wird und deshalb offenbar für die Kunden keinen großen Wert
habe, braucht das FG im Streitfall nicht festzustellen. Dies kann
unterstellt werden, weil es für die umsatzsteuerrechtliche Qualifikation des
vorliegend zu beurteilenden "Kombinationsmodells" ohne Relevanz ist.
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